17 Jahre Arbeitskreis Verkehrsrecht

Der 17. Geburtstag ist in der Regel kein besonderer Anlass für eine Feier oder einen Artikel für das Anwaltsblatt. Wenn aber eine schon lange geplante Feier zum 15. Geburtstag auf Grund der Corona-Pandemie ins Wasser fällt, dann ist die erste Präsenzveranstaltung nach zwei Jahren ein willkommener Anlass, auch den 17. Geburtstag zu feiern und auf die vergangenen 17 Jahre zurückzublicken.

Roman Becker | Fachanwalt für Verkehrsrecht | Rechtsanwalt und Mediator | Sprecher des Arbeitskreises Verkehrsrecht

2004 wurde nach vielen Jahren endlich von der Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer der lang ersehnte Titel Fachanwältin bzw. Fachanwalt für Verkehrsrecht eingeführt. Die ersten Fachanwaltstitel wurden in Berlin im Oktober 2005 von der Rechtsanwaltskammer verliehen. Die Zahl der Anbieter von Fortbildungsveranstaltungen war zu jener Zeit recht gering, und da es bis zur Einführung des Fachanwaltstitels keine Pflichtfortbildung im Bereich des Verkehrsrechts gab, gab es auch so gut wie keine Fortbildungsveranstaltungen. Lediglich die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht (ARGE) des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) führte schon vor der Einführung des Fachanwaltstitels Fortbildungsveranstaltungen durch und besaß dadurch eine Art Monopolstellung. Allerdings bot die ARGE Verkehrsrecht in Berlin ihre Fortbildungsveranstaltungen nur einmal im Jahr an. Durch die Einführung des Fachanwaltstitels und die Notwendigkeit, Fortbildungsstunden nachzuweisen, war aber ein deutlich größerer Bedarf an Fortbildung entstanden. Zu jener Zeit war Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg Vorsitzender des Berliner Anwaltsvereins. Während seiner Amtszeit war eines seiner vielen Anliegen, die Attraktivität des Berliner Anwaltsvereins zu steigern. Dazu gehörte, den Kolleginnen und Kollegen verstärkt die Gelegenheit zum gemeinsamen Austausch zu geben. Die Mitglieder des Anwaltsvereins sollten ermutigt werden, sich auch außerhalb der Kanzlei zu treffen, zu diskutieren, Meinung zu bilden und Meinung auch nach außen hin zu vertreten. Auch die lokale Vernetzung der Kolleginnen und Kollegen untereinander war für Rechtsanwalt Schellenberg ein wichtiges Anliegen.
Der Berliner Anwaltsverein wollte hierfür die entsprechende Plattform bieten und die Kolleginnen und Kollegen dabei unterstützen. Der Vorstand des Berliner Anwaltsvereins unter dem Vorsitz von Herrn Rechtsanwalt Schellenberg gründete daraufhin den rechtlich unselbstständigen „Berliner Arbeitskreis für Verkehrsrecht“. Damit war der Berliner Anwaltsverein der erste örtliche Anwaltsverein, der zur Erfüllung der oben genannten Ziele einen Arbeitskreis gegründet hat. In dem Gründungsbeschluss des Berliner Anwaltsvereins heißt es unter anderem, dass der Arbeitskreis sich eine eigene Geschäftsordnung geben kann, regelmäßige Sitzung durchführt und Fortbildungsveranstaltungen anbieten kann. Die konstituierende Sitzung des Arbeitskreises fand im Juni 2005 statt. Wenig glamourös in einem kleinen Besprechungszimmer, das direkt neben dem Büro des Geschäftsführers des Berliner Anwaltvereins liegt, kamen acht Kollegen zusammen, die sich hin und wieder schon mal über den Weg gelaufen waren und nun versuchten, an einem runden Tisch Platz zu finden. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wurde vereinbart, wie die Sitzungen in Zukunft abgehalten werden sollen. Man einigte sich darauf, dass sich der Arbeitskreis an jedem zweiten Donnerstag eines Monats trifft, und es wurden mit Rechtsanwalt Markus Gülpen und Rechtsanwalt Roman Becker die ersten Sprecher des Arbeitskreises gewählt. Zudem wurde vereinbart, dass bei jedem Treffen ein Mitglied des Arbeitskreises ein Referat zu einem verkehrsrechtlichen Thema hält. Bei nur acht Mitgliedern wurde sehr schnell klar, dass der Kreis erweitert werden musste, wenn man nicht Gefahr laufen wollte, zweimal im Jahr mit einem Referat an der Reihe zu sein. Doch die Mitgliedergewinnung verlief anfangs nur schleppend. Eine kleine Wende brachte ein Referat zur damals viel diskutierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Thema EU-Führerschein und deutscher MPU, in dessen Anschluss ein Kollege vorschlug, einen ihm bekannten Verkehrstherapeuten einzuladen, damit dieser den Mitgliedern etwas zum Thema Alkohol, Fahreignung und MPU vorträgt. Für diese Veranstaltung wurde erstmals im Anwaltsblatt geworben und es bestand ein so großes Interesse an dieser Veranstaltung, dass hierfür der kleine Saal im DAV-Haus bereitgestellt wurde. Die Einladung externer Referenten erwies sich also in gewisser Hinsicht als zukunftsweisend, sodass Marcus Gülpen, der außerordentlich gut vernetzt ist, seine Kontakte spielen ließ und unter anderem Rechtsanwalt Kurt Reinking, Richter Christoph Eggert, Rechtsanwalt Michael Kleine-Cosack und Rechtsanwalt Joachim Otting als Referenten gewinnen konnte. Die zunehmend gut besuchten Fortbildungsveranstaltungen des Arbeitskreises fanden monatlich statt, waren kostenlos (nur selten wurde für Kost und Logis der angereisten Referenten eine kleine Pauschale erhoben) und es wurden Fortbildungsbescheinigungen ausgestellt, die von der Rechtsanwaltskammer als Fortbildung gemäß der Fachanwaltsordnung anerkannt wurden. Für diese Anerkennung durch die Rechtsanwaltskammer hat sich Rechtsanwalt Schellenberg eingesetzt, denn anfangs hatte die Rechtsanwaltskammer Vorbehalte, dass sich Rechtsanwälte, die sich gegenseitig Vorträge halten, die Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung bescheinigten.

„Das Angebot des Arbeitskreises ist unschlagbar“

Da zu den Fortbildungsveranstaltungen aber zunehmend externe Referenten eingeladen wurden, gehörten die Vorbehalte bald der Vergangenheit an. Das Angebot des Arbeitskreises Verkehrsrecht war damit unschlagbar, wurde aber vom DAV und dessen ARGE Verkehrsrecht sehr kritisch gesehen. Der Arbeitskreis wurde als Konkurrent und seine Tätigkeit als überflüssig angesehen, da doch die ARGE bereits Fortbildungsveranstaltungen anbieten würde. Auch wurde nicht gerne gesehen, dass einige Referenten, die wir für den Arbeitskreis gewinnen konnten, auch beim sogenannten „Wanderzirkus“ der ARGE Verkehrsrecht auftraten. Es gab mehrere hitzige Gespräche, die Rechtsanwalt Schellenberg und Rechtsanwalt Carsten Langenfeld, damaliger Geschäftsführer des BAV, mit den Verantwortlichen des DAV und der ARGE führen mussten.

„Die Vernetzung der Kolleg*innen ist ein großer Vorteil“

Für Rechtsanwalt Schellenberg lag der Vorteil eines Arbeitskreises bei der lokalen Vernetzung der Kolleginnen und Kollegen, die der DAV und seine ARGE, die nur auf Bundesebene tätig sind, nicht bieten können. Aber auch beim Vorstand des Berliner Anwaltsvereins selbst war anfangs die Skepsis groß und Rechtsanwalt Schellenberg musste die Kolleginnen und Kollegen davon überzeugen, dass die Einführung eines Arbeitskreises nur Vorteile bringt.
Die kleinen Scharmützel mit dem DAV haben bei den Überlegungen zur zukünftigen Ausrichtung des Arbeitskreises dazu geführt, dass in erster Linie Referentinnen und Referenten aus solchen Bereichen und Institutionen eingeladen werden sollen, mit denen die Kolleginnen und Kollegen tagtäglich zu tun haben, also Richter, Staatsanwälte, Polizei, Führerscheinbehörde, Kfz-Sachverständige, Verkehrspsychologen, Gutachter für Unfallrekonstruktion etc. aus Berlin.
Die weitere Entwicklung des Arbeitskreises kann man durchaus als Erfolgsgeschichte bezeichnen, die von den vielen unterschiedlichen Referenten, die zu Gast waren und teilweise regelmäßig vor dem Arbeitskreis referieren, geprägt ist.
So beehrte am 12. April 2007 der Leiter des Verkehrsstabs des Polizeipräsidenten den noch jungen Arbeitskreis und erläuterte unter anderem das kurz zuvor eingeführte neue Informations- und Kommunikationssystem (POLIKS) der Berliner Polizei. Eine gemeinsame Fortbildungsveranstaltung von Polizei und Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten war dabei keine Selbstverständlichkeit. Die Polizei hat bis dahin gemeinsame Veranstaltungen nur mit der Staats- und Amtsanwaltschaft und den Strafgerichten durchgeführt. Es hat schon einige Überzeugungskraft gekostet, Vorbehalte gegen eine solche Veranstaltung abzubauen. Diese gemeinsame Veranstaltung schien aber bei der Polizei einen positiven Eindruck hinterlassen zu haben, denn als wir einige Jahre später anfragten, ob die Polizei sich eine weitere gemeinsame Veranstaltung vorstellen könne, meldete sich kurz darauf der nunmehr verantwortliche Stabsleiter und nahm auf einen internen Vermerk des damaligen Stabsleiters Bezug, der seinen Besuch beim Arbeitskreis Verkehrsrecht als positiv und empfehlenswert bezeichnete.
Eine ganz besondere Beziehung, die nicht unerwähnt bleiben darf, bestand zwischen dem Arbeitskreis und dem langjährigen Leiter des Referats „Fahrerlaubnisse“ der Berliner Führerscheinbehörde, Herrn Thomas Mach. Dieser war von Anfang an von der Idee einer gemeinsamen Fortbildung begeistert. Von 2008 bis zu seiner Pensionierung 2020 war Herr Mach jährlich Gast „in der Höhle der Löwen“, wie er seinen Auftritt vor dem Arbeitskreis stets nannte. Die Mitglieder des Arbeitskreises wurden über aktuelle Gerichtsurteile und bevorstehende Änderungen im Fahrerlaubnisrecht informiert, und da Herr Mach unter anderem als Leiter der größten Führerscheinbehörde Deutschlands auch an der Reform des Punktesystems mitwirkte, erfuhren die Kolleginnen und Kollegen des Arbeitskreises schon lange vor allen anderen, wie das neue Punktesystem funktionieren wird und welche Änderungen es für unsere Mandantinnen und Mandanten mit sich bringen wird. Herr Mach sparte auch nicht mit Hinweisen, wie bei der ein oder anderen Entscheidung seiner Behörde am besten vorzugehen sei, um den Mandanten zu helfen. Zu seinem Selbstverständnis gehörte es auch, in komplizierten Fällen selbst Ansprechpartner zu sein, um eine Lösung zu finden.
Gerade diese Veranstaltungen mit der Führerscheinbehörde stehen für ein wichtiges Ziel des Arbeitskreises, nämlich durch den Kontakt zu den Behörden und den Handelnden, mit denen wir tagein, tagaus zu tun haben, eine andere Sichtweise einzunehmen zu können und die Interessen (vielleicht auch Zwänge) des Gegenübers zu verstehen, um zum einen zu versuchen, gemeinsam eine Lösung zu finden, und um zum anderen besser in der Lage zu sein, den Mandanten das Vorgehen der Gegenseite zu erklären und sie besser zu beraten.
Über die WhatsApp-Gruppe des Arbeitskreises sind die Kolleginnen und Kollegen inzwischen noch besser miteinander vernetzt und der Chat wird genutzt, um sich auf kürzestem Wege auszutauschen, Fragen zu stellen, erstrittene Urteile oder interessante Artikel zu teilen und nach Terminvertretungen zu suchen.
Ein besonderes Kapitel in der 17-jährigen Geschichte des Arbeitskreises nimmt natürlich die Corona-Pandemie ein. Die letzte Präsenzveranstaltung fand am 12. März 2020 statt. Einen Tag später wurden die ersten Lockdown-Maßnahmen verkündet. Die Veranstaltungen im April und Mai entfielen, weil alle erst einmal damit beschäftigt waren, die Coronamaßnahmen in ihren Kanzleien umzusetzen und geplante Referenten absagten.

Der BAV hatte jedoch besonders schnell reagiert und schon in der letzten Märzwoche alles in die Wege geleitet, damit die Arbeitskreise online stattfinden können.
Im Juni 2020 war es dann für den Arbeitskreis Verkehrsrecht soweit und die erste Online-Veranstaltung fand statt. Anstatt wie schon seit einem halben Jahr zuvor geplant im Innenhof des DAV-Hauses auf den 15. Geburtstag des Arbeitskreises anzustoßen, saßen nun viele Kolleginnen und Kollegen zuhause oder im Büro vor dem Computer und nahmen an unserer ersten digitalen Sitzung teil.
Die Zahl der Online-Teilnehmer wuchs in den darauffolgenden Monaten stetig und war höher als die durchschnittliche Teilnehmerzahl bei den bisherigen Präsenzveranstaltungen. Und unser noch im Mai gegebenes Versprechen, bis zum Ende des Jahres so viele Online-Stunden anzubieten, dass keiner Sorge haben muss, auf Grund der Pandemie die Pflichtstundenzahl nach der FAO in diesem Jahr nicht zu erreichen, haben wir eingehalten.
Gleichwohl gab es schon vor der zweiten Online-Sitzung Kritik von einigen Kollegen an dem neuen digitalen Format. Ihr Argument: Auch wenn mit erheblichem Aufwand als Ersatz für die persönlichen Treffen eine Online-Veranstaltung angeboten werde, so würde diese keinesfalls den persönlichen Kontakt und Austausch unter den Kolleginnen und Kollegen ersetzen. Der Arbeitskreis habe endlich mal ein Forum geboten, wo man im persönlichen Umfang viele wertvolle Erkenntnisse gewinnen konnte, was man stets als persönliche Bereicherung empfunden habe. Bei der höchsten Wertschätzung für die bisherigen Veranstaltungen befürchte man aber, dass es mit den Online-Veranstaltungen damit nun vorbei sei.
Nun wird man im Rückblick auf den weiteren Verlauf der Pandemie sagen können, dass diese Kritik zur Unzeit kam. Und auch die Kritiker waren am Ende dankbar für das über zwei Jahre aufrechterhaltene Angebot. Aber für uns brachte die Kritik auch zum einen auf den Punkt, wofür der Arbeitskreis in den Augen der Kolleginnen und Kollegen steht, und zum anderen war sie für uns höchstes Lob für die bisherige Arbeit.
Diese Arbeit ruht inzwischen auf den Schultern von insgesamt vier Sprechern. Neben Rechtsanwalt Marcus Gülpen und Rechtsanwalt Roman Becker, die die Veranstaltungen planten und sich um die Referenten kümmerten, ist Rechtsanwalt Maximilian Gutmacher seit Jahren unter anderem für die Versendung der Einladungen zu den Veranstaltungen zuständig. 2016 stieß Rechtsanwalt Bert Wittenburg zum Sprecherkreis dazu, und als 2018 Marcus Gülpen nicht mehr zur Sprecherwahl antrat, nahm Rechtsanwalt Marc Mühlan dessen Position ein.
Der Arbeitskreis Verkehrsrecht war der erste Arbeitskreis, den der BAV gegründet hat. Es hat mit acht Kollegen angefangen, heute zählen wir über 120 Mitglieder, von denen 35% Kolleginnen sind.
Dem Beispiel des Arbeitskreises Verkehrsrecht folgten weitere Arbeitskreise. Inzwischen treffen sich in 13 Arbeitskreisen Kolleginnen und Kollegen regelmäßig zum kollegialen Austausch und zur fachlichen Fortbildung.
Am 9. Juni 2022 haben wir die erste Präsenzveranstaltung nach zwei Jahren Pandemie dankbar zum Anlass genommen, zusammen mit vielen Kolleginnen und Kollegen den 17. Geburtstag zu feiern. Eine besondere Freude war es uns, Marcus Gülpen, Gründungsmitglied und langjähriger Sprecherkollege des Arbeitskreises, als Referenten für diesen Tag gewinnen zu können. Zur Feier des Tages hat der BAV uns den Innenhof des DAV-Hauses bereitgestellt und mit Buffet und Getränken für das leibliche Wohl gesorgt.
Die Planungen für das nächste Jahr laufen bereits und wir freuen uns darauf, alte, aber auch neue Kolleginnen und Kollegen bei uns im Arbeitskreis Verkehrsrecht begrüßen zu dürfen. Und wer weiß: Das Erreichen der Volljährigkeit ist vielleicht wieder Anlass für eine Feier.

Exklusiv für Mitglieder | Heft 01/02 | 2023 | 72. Jahrgang