Acht Fragen an Rechtsanwalt Mirko Röder
Die Tendenz geht leider in Richtung „härter, schneller, strenger“
Mirko Röder (60) gehört zu den bekanntesten Strafverteidigern Berlins. Seit über 30 Jahren verteidigt er in spektakulären Prozessen, kennt das deutsche Strafrechtssystem aus dem Effeff und hat die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen rund um die Strafverteidigung hautnah miterlebt. Als junger Jurist erlebte er den Fall der Mauer und als Sohn von Prof. Dr. Karl-Heinz Röder – einst als „Honeckers Mr. Amerika“ bekannt – wuchs er mit einem besonderen Blick auf Ost und West auf. Im Gespräch mit dem Berliner Anwaltsblatt spricht er über seine Erfahrungen, die Lehren seines Vaters und seine Sicht auf das heutige Strafrecht.

Rechtsanwalt Mirko Röder

Professor Dr. Karl-Heinz Röder
Das Interview führte Rechtsanwalt Gregor Samimi
Berliner Anwaltsblatt (BAB): Herr Röder, wenn Sie auf Ihre 30 Jahre als Strafverteidiger zurückblicken – was hat sich im Strafrecht am meisten verändert?
Mirko Röder: Die größte Veränderung liegt in der Wahrnehmung der Strafverteidigung. Früher galt der Verteidiger als Schutzschild gegen staatliche Übermacht, heute sieht man uns manchmal als lästige Bremsklötze der Justiz. Der Ruf nach schärferen Strafen und schnelleren Verfahren wird lauter – aber ein gerechter Prozess braucht Zeit, Gründlichkeit und eine unabhängige Verteidigung. Das ist kein Luxus, sondern die Grundlage unseres Rechtsstaats.
BAB: Sie haben die Wende als junger DDR-Jurist erlebt. Wie hat das Ihren Blick auf das Rechtssystem geprägt?
Mirko Röder: Ich kannte bis dahin ja nur das DDR-Recht, das, sagen wir mal, eine gewisse „staatstragende Tendenz“ hatte. Plötzlich stand ich vor einem System, das auf Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung fußte – ein Aha- Erlebnis! Aber ich habe auch gelernt: Jedes System hat seine blinden Flecken, jedes Rechtssystem ist ein Spiegel seiner Gesellschaft. Wer glaubt, wir hätten heute ein perfektes Justizsystem, sollte sich mal einen Tag in einem überlasteten Amtsgericht gönnen.
Professor Dr. Karl-Heinz Röder, wurde als ,Honeckers Mr. Amerika‘ bezeichnet“
BAB: Ihr Vater, Professor Dr. Karl-Heinz Röder, ehemaliger Direktor des Instituts für Theorie des Staates und Rechts der Akademie in Berlin, wurde als „Honeckers Mr. Amerika“ bezeichnet, der Erich Honecker eine Einladung ins Weiße Haus nach Washington D. C. vermitteln sollte. Er pflegte Kontakte zu Bill Clinton und Jimmy Carter in die USA und hielt dort an namhaften Universitäten Vorlesungen in Staats- und Rechtstheorie. Was hat Sie an Ihrem Vater am meisten beeindruckt?
Mirko Röder: Mein Vater war ein brillanter Diplomat und Jurist, der die DDR nach außen vertrat – und das in einer Zeit, in der Ost und West sich nicht gerade freundschaftlich auf einen Kaffee trafen. Er hatte die Fähigkeit, Brücken zu bauen, auch wenn der Graben manchmal eher einem Abgrund glich. Was mich besonders beeindruckt hat, war sein Pragmatismus: Er wusste, dass Ideologien vergänglich sind, aber zwischenmenschliche Diplomatie bleibt.
BAB: Welche Lehren haben Sie aus seinem Wirken für sich selbst gezogen?
Mirko Röder: Er hat mir beigebracht, dass man mit klarem Verstand, strategischem Geschick und einem guten Gespür für Menschen fast jede noch so verfahrene Situation lösen kann – eine Kernkompetenz für Strafverteidiger. Und er hat mir gezeigt, dass juristische Arbeit nicht nur Paragrafen bedeutet, sondern immer auch Politik, Gesellschaft und Psychologie umfasst.
BAB: Demnächst erscheint die Gedenkschrift für Ihren Vater, der am 13. Juni 2025 90 Jahre geworden wäre. Was können wir darin erwarten?
Mirko Röder: Es wird eine Mischung aus persönlichen Erinnerungen, Anekdoten und Reflexionen über eine Zeit, die viele heute nur noch aus Geschichtsbüchern kennen. Es gibt Spannendes, Nachdenkliches – und natürlich auch Geschichten, die zeigen, dass Diplomatie nicht immer nur auf Konferenzen stattfindet, sondern manchmal auch bei einem guten Whisky in Washington.
BAB: Strafverteidigung ist oft ein Kampf gegen Windmühlen. Gab es Momente, in denen Sie ans Aufgeben gedacht haben?
Mirko Röder: Klar, besonders wenn man merkt, dass der öffentliche Druck größer ist als die Lust, sich mit den Details eines Falles zu befassen. Aber dann erinnere ich mich daran, warum ich diesen Job mache: nicht, um beliebt zu sein, sondern, um Gerechtigkeit zu erkämpfen – und wenn es sein muss, auch gegen den Zeitgeist.
„Die Tendenz geht leider in Richtung härter, schneller, strenger“
BAB: Wie sehen Sie die rechtspolitische Entwicklung der letzten Jahre?
Mirko Röder: Die Tendenz geht leider in Richtung „härter, schneller, strenger“. Wir vergessen dabei oft, dass ein Rechtsstaat nicht daran gemessen wird, wie hart er durchgreift, sondern wie sehr er seine eigenen Prinzipien verteidigt – auch wenn es unbequem ist. Wer Verteidigung schwächt, schwächt am Ende die Gerechtigkeit.
BAB: Was würden Sie jungen Juristen mitgeben, die heute Strafverteidiger werden wollen?
Mirko Röder: Erstens: Macht es nur, wenn ihr wirklich für den Beruf brennt. Strafverteidigung ist kein Job, sondern eine Lebenseinstellung. Zweitens: Entwickelt ein dickes Fell. Und drittens: Vergesst nie, dass auch der schlimmste Mandant ein Mensch ist – und unser Job ist es, ihn zu verteidigen, nicht zu verurteilen.
BAB: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Röder!