Aktuelle Rechtsprechung

Des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg.

Am 23. Mai 2023 referierte Frau Dr. Andrea Baer, Vizepräsidentin des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, zu beachtenswerten Entscheidungen des BGH, des BAG, aber vor allem des LArbG Berlin-Brandenburg. Wer Frau Dr. Baer schon erlebt hat, weiß, wie lebhaft sie aus ihrem Richteralltag berichtet und aus ihren Bedenken und auch Zweifeln bei so mancher Entscheidung des BGH und BAG keinen Hehl macht. Dies fordert uns und führte auch dieses Mal zu lebhaften Diskussionen.

Da am gleichen Tag im Gesetz- und Verordnungsblatt von Berlin die Verordnung über „die elektronische Akte am Arbeitsgericht Berlin“ veröffentlicht wurde, wurde Frau Dr. Baer nach beA und dessen Einführung beim Arbeitsgericht gefragt. Man konnte „zwischen den Zeilen“ hören, dass Frau Dr. Baer zu den Richterinnen gehört, die das Ganze gern vorantreiben würden. Noch gibt es jedoch kein geeignetes Geschäftsstellenverwaltungsprogramm, welches den elektronischen Posteingang und Postausgang regelt. Wenn alles gut läuft, wird der elektronische Postausgang spätestens im Herbst 2023 kommen. Der elektronische Posteingang hingegen nicht. Dies war somit die ideale Überleitung zum ersten Thema, nämlich:

Claudia Frank | Rechtsanwältin | Fachanwältin für Arbeits- und Steuerrecht | Im Vorstand des BAV | Probandt PartGmbB

DER ELEKTRONISCHE RECHTSVERKEHR

Die von uns versandten Klagen und Schriftsätze müssen per beA an das Arbeits- und Landesarbeitsgericht versandt werden. Dort erfolgt in Berlin noch der Ausdruck, da es noch keine automatische Weiterleitung von der Poststelle aus gibt. Maßgeblich beim Arbeitsgericht ist also weiterhin die Papierakte.

„Wie kommt der Antrag auf Erlass einer Eilverfügung sofort zum Richter?“

So die Frage einer Kollegin. Frau Dr. Baer gab uns den Hinweis, in allen Eilfällen auf Seite 1 ganz groß zu vermerken: „Eilt, bitte sofort vorlegen!“

Die Frage, ob ein Schriftsatz ggf. auch noch in der mündlichen Verhandlung übergeben werden kann, wurde von Frau Dr. Baer sehr diplomatisch verneint. RichterInnen dürfen keine Schriftstücke mehr von Anwälten direkt entgegennehmen. Es ist jedoch nicht sinnvoll, den Schriftsatz zurückzuweisen. Die Anwälte sollen das Wesentliche aus dem Schriftsatz vortragen; schließlich handelt es sich um eine mündliche Verhandlung.

Wichtig ist, dass der vollständige Name des Rechtsanwaltes oder der Rechtsanwältin, von welcher der Schriftsatz stammt, sich am Ende des Schriftsatzes befindet. Bei einem Einzelanwalt ist die Zuordnung eines Schriftsatzes auch ohne Namen möglich. Schwierig wird es jedoch, wenn der Schriftsatz von einer Kanzlei mit mehreren Berufsträgern versandt wurde und sich am Ende nur das Wort „Rechtsanwalt“ oder „Rechtsanwältin“ befindet. Der Schriftsatz kann dann zurückgewiesen werden und ist bei Gericht nicht eingegangen. Sofern eine Kollegin nicht selber den Schriftsatz versenden kann und eine Kollegin bittet, muss die Kollegin entweder ihren eigenen Namen hinzufügen oder mit qualifizierter Signatur versenden. Bei der Versendung für eine Kollegin am besten immer mit qeS. Anderenfalls, so das BAG, ist das Dokument nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden, sofern die Autorin und der Versender nicht übereinstimmen.

Während das BAG bereits 2019 zu dem Ergebnis kam, dass bei fehlender Übereinstimmung der einfachen Signatur und der qeS-Signatur die qualifizierte elektronische Signatur maßgebend ist, hat der BGH mit Beschluss vom 18. Oktober 2022 erklärt, dass dies nicht ausreichend sei. Der Beschluss erging allerdings in einem Strafverfahren. Gleichwohl ist hier größte Sorgfalt anzuwenden.

RICHTIGE ADRESSE UND EINGANG BEI GERICHT

Eigentlich ein altes Thema und betrifft auch alle Fachbereiche. Das LAG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 14. März 2022 entschieden, dass eine falsche Gerichtsangabe dazu führt, dass der Schriftsatz nicht rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist und es keine Wiedereinsetzung gibt.

Der BGH hatte dies ebenfalls im November 2022 entschieden. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass den Anwalt kein Verschulden trifft. Das Fehlverhalten von Büropersonal ist nur dann nicht der Partei als Verschulden zuzurechnen, wenn der Anwalt seine Kanzlei „ordnungsgemäß organisiert“, also zuverlässiges Personal auswählt und dies auch ausreichend überwacht. Dies war in dem vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zu entscheidenden Rechtsstreit nicht der Fall und so wurde die Berufung mit Urteil vom 14. März 2022 (2 Sa 1699/21) verworfen.

„Krankheit ist kein technischer Grund im Sinne des § 130d Satz 2 ZPO“

Natürlich gibt es immer wieder Probleme beim Versenden von beA. Bei technischen Problemen haben wir die Möglichkeit der Wiedereinsetzung. Aber was ist bei Krankheit? Ein Anwalt hatte die Behauptung aufgestellt, er sei aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage gewesen, den Schriftsatz über das beA zu versenden. Der BGH hat am 25. Januar 2023 (IV ZB 7/22) entschieden: Krankheit ist kein technischer Grund im Sinne des § 130d Satz 2 ZPO. In dem vom BGH zu entscheidenden Fall hat der Prozessbevollmächtigte nicht per beA, sondern per Fax die Berufungsbegründung rechtzeitig beim Berufungsgericht eingereicht. Das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass diese Berufung unzulässig sei, weil die Begründung nicht in der vorgeschriebenen Form eingegangen ist. Bei einer Erkrankung am letzten Tag der Frist könne man dem Anwalt nur dann ein Verschulden nicht vorwerfen, wenn er aufgrund der Erkrankung weder einen Vertreter kurzfristig einschalten noch einen Fristverlängerungsantrag habe stellen können. Auch der Einzelanwalt müsse ihm zumutbare Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall treffen. All diese Entscheidungen sind letztendlich für alle Anwälte, die Schriftsätze per beA an die Gerichte übersenden müssen, von Relevanz.

ENTGELT/GLEICHBEHANDLUNG/AUSKUNFTSANSPRÜCHE

Der Gleichbehandlungsgrundsatz spielt vor allem beim Entgelt eine große Rolle. Um die Gleichbehandlung und die Bezahlung von höherem Gehalt durchzusetzen, bedarf es in sehr vielen Fällen einer Auskunft des Arbeitgebers. Ein Auskunftsanspruch ist jedoch im Gesetz nicht geregelt. Gleichwohl hat das BAG mit Urteil vom 12. Oktober 2022 einen solchen Auskunftsanspruch für möglich erachtet und den Anspruch auf § 242 BGB gestützt. An verschiedenen Beispielen hat Frau Dr. Baer gezeigt, wie schwer es ist, die Ungleichbehandlung zu dokumentieren. Im Falle von Bonuszahlungen muss der Arbeitnehmer sogar darlegen, dass seitens des Arbeitgebers eine nicht gerechtfertigte Gruppenbildung vorliegt und dafür keine erkennbaren Gründe vorliegen.

Spätestens seit dem Urteil des BAG vom 16. Februar 2023 ist bekannt, dass bei der Entgeltgleichheit von Männern und Frauen das Verhandlungsgeschick kein Grund für eine Differenzierung ist.

ANNAHMEVERZUGSLOHN

Sicherlich haben viele von Ihnen zwischenzeitlich diverse Entscheidungen gelesen, wonach die gekündigte Arbeitnehmerin nicht mehr so ohne Weiteres am Ende eines Rechtsstreits den Annahmeverzugslohn geltend machen kann. Sofern sie sich entweder bei der Arbeitsagentur nicht gemeldet oder die Vermittlungsvorschläge der Agentur nicht ernst genommen hat, kann ihr böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs vorgeworfen werden.

„Sofern sie sich entweder bei der Arbeitsagentur nicht gemeldet oder die Vermittlungsvorschläge der Agentur nicht ernst genommen hat, kann ihr böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs vorgeworfen werden“

Diese Änderung in der Rechtsprechung beruht sicherlich darauf, dass wir in Deutschland mittlerweile in allen Bereichen einen Fachkräfte- oder auch nur Personalmangel haben. Das BAG hat mit Urteil vom 12. Oktober 2022 entschieden, dass eine fehlende Meldung bei der Arbeitsagentur als „böswilliges Unterlassen“ angesehen werden kann. Auch hat der Arbeitgeber – so das Urteil des BAG vom 27. Mai 2022 – einen Anspruch gegen den Arbeitnehmer auf Auskunft über etwaige Vermittlungsvorschläge der Arbeitsagentur. Beim Annahmeverzug spielt natürlich auch die Art und Weise, wie sich der gekündigte Arbeitnehmer oder die gekündigte Arbeitnehmerin bewirbt, eine Rolle. Eine Bewerbung, die mangelnden Leistungswillen erkennen lässt, kann auch dazu führen, dass ein Annahmeverzugslohn nicht zu zahlen ist.

Der Begriff „böswilliges Unterlassen“ im Zusammenhang mit dem Annahmeverzugslohn wird sicherlich die Gerichte noch viele Jahre beschäftigen und bietet ein durchaus spannendes Betätigungsfeld.

DIE KÜNDIGUNG UND DIE DARLEGUNGS- UND BEWEISLAST

Der berühmte Griff in die „offene Kasse“ war Gegenstand eines Urteils des BHG vom 27. September 2022. Zunächst muss der Arbeitgeber die Kündigungsgründe dar- und ggf. auch unter Beweis stellen. Dann liegt es jedoch am Arbeitnehmer, greifbare Anhaltspunkte zu nennen, die die Entschuldigungs- oder Rechtfertigungsgründe untermauern. Eine der schwierigsten Kündigungen sind die eines Low Performers und gleichwohl immer wieder Gegenstand von Kündigungsschutzklagen, die jedoch meist zu Lasten des Arbeitgebers ausgehen. Das LAG Köln hat in einem Urteil vom 3. Mai 2022 entschieden, dass der Arbeitnehmer zur Ausschöpfung seiner Leistungsfähigkeit vortragen muss, sofern der Arbeitgeber eine Minderleistung von 1/3 dar- und auch unter Beweis gestellt hat.

„Eine der schwierigsten Kündigungen sind die eines Low Performers und gleichwohl immer wieder Gegenstand von Kündigungsschutzklagen, die jedoch meist zu Lasten des Arbeitgebers ausgehen“

Zwei Stunden sind natürlich im Arbeitsrecht eine viel zu kurze Zeit, zumal wir bei so manchen Problemen die Diskussion führen wollten. Dankenswerterweise haben wir ein Skript erhalten, welches weitere wichtige und nicht immer veröffentlichte Entscheidungen auflistet. Die Rechtsprechung ist eben doch auch im Wandel und das lässt hoffen.

Exklusiv für Mitglieder | Heft 07/08 2023 | 72. Jahrgang