Anwälte und das Kanzleimanagement

Managementliteratur für Kanzleien

Anwälte und Kanzleimanagement, ein Oxymoron. Gilt auch für Anwälte und Führung. Offenbar ein Angstthema: Viele Anwaltsdiven betonen beharrlich die „Hierarchiefreiheit“ ihres internen Diskurses, um Führung weder zu akzeptieren noch sie selbst ausüben zu müssen. Ihr Argumentationsbooster ist dabei jener – angeblich durch Hierarchien gefährdete – „Individualismus“, der jeden Konsens locker aushöhlt, den sie laut Partnersitzungsprotokoll „alle gemeinsam“ anstreben. Folgerichtig wählen sie immer wieder gern auch in 7-er Partnerrunden zwei „Geschäftsführer“, deren Entscheidungen sie anschließend durch Veto und Endlosdebatten torpedieren.

Johanna Busmann | busmann training® | www.anwalts-coach.de
Markus Hartung | Rechtsanwalt, Mediator | www.markushartung.com

Ist das wirklich so? Im DAV gibt es eine AG Kanzleimanagement, und wenn man sich den derzeitigen Zustand ansieht, dann scheint sich genau das zu bestätigen: Einen geschäftsführenden Ausschuss gibt es nicht mehr, die Zahl der Mitglieder liegt im unteren dreistelligen Bereich, ein höchst ehrenwerter BGH-Anwalt und DAVVorstandsmitglied agiert als AG-Verweser und versucht, zu retten, was vielleicht noch zu retten ist. Vielleicht ist Anwälten mit Managementthemen nicht mehr zu helfen; sie brauchen und wollen es nicht.

Es gibt eine seltsame Diskrepanz zwischen diesem Befund und dem Erfolg von Führungs- und Managementliteratur für Anwaltskanzleien (siehe auch in BAB 9/2024, S. 332). Wir stellen heute zwei Werke von Benno Heussen und von Claudia Schieblon vor, die bei aller Unterschiedlichkeit eins gemeinsam haben: Sie sind seit 2009 bzw. 2011 in 4. bzw. in 5. Auflage erschienen. Schon das allein weckt Zweifel, ob man den Spott über Anwälte und Management noch fortsetzen sollte. Die Rezension der 4. Auflage von Heussen/Anders „Anwaltsunternehmen führen“ unternimmt Johanna Busmann, die Rezension der 5. Auflage des von Claudia Schieblon herausgegebenen Werks „Kanzleimanagement in der Praxis“ stammt von Markus Hartung. Wundern Sie sich nicht über die unterschiedlichen Stile – so sind wir eben.1Transparenzhinweis: Markus Hartung hat in der 4. Auflage des Heussen- Buchs zwei Kapitel (mit-)geschrieben. In dem Schieblon-Buch war er von der 1. bis zur 4. Auflage Autor zweier Kapitel, die mit der 5. Auflage in jüngere Hände gegangen sind.

I. HEUSSEN/ANDERS: ANWALTSUNTERNEHMEN FÜHREN

Heussen/Anders, Anwaltsunternehmen führen.
C.H.BECK, 4., neu bearbeitete und erweiterte Aufl. 2024, 59,00 Euro ISBN 978-3-406-81046-6

Ein Kracher war schon die erste Auflage, denn sie schickte sich an, die liebgewonnene konsensuale Wucht ergebnisferner Partnerdiskussionen sowie weitere anwaltliche Beliebigkeiten im Binnenauftritt zu ersetzen durch „Führung“.

Das tat weh. Selbst heute noch, 15 Jahre später, fühlen sich manche Anwälte erst dort wohl, wo die Anzahl der Entscheider so groß ist wie die Anzahl der Berufsträger.

Heussen und die Organisation

In dieser mentalen Gemengelage fällt Benno Heussen auch heute wieder auf, denn er ordnet strukturelle und individuelle Missgriffe und deren Folgen für Kollegen, Mandanten und Mitarbeiter aus ureigener Erfahrung: Er hat jede Organisationsform von Kanzleien persönlich mitgemacht und mitgestaltet: Einzelkanzlei, Kleinkanzlei, mittelständische Sozietät und Großkanzlei.

Seit Anfang der 90er-Jahre warnt Heussen davor, Partner ohne entsprechende Aus- und Fortbildung eine Kanzlei führen zu lassen. Sie trennen daher kaufmännische Bereiche nicht systematisch von der Leistungserbringung der Kanzlei ab. Sie sind zudem in der Führungsrolle unbezahlt, ungeahndet und selbst bei größten Misserfolgen unkündbar. Dem Unternehmen schaden sie mit ihrer strukturell bedingten Passivität, denn „die Fähigkeit, das Ganze zu sehen, setzt die Relativierung der eigenen Interessen voraus“ (S. 69).

Heussen und die Führungsstruktur

„Ab 11 wird‘s schwierig“, pflegt er seit Jahren zu sagen. Er meint damit die Anzahl der Entscheider in einer Anwaltskanzlei und schaut über den Tellerrand: „Es gibt keine Mannschaftssportart mit mehr als 11 Teilnehmern“ (S. 48). Speziell in der Dynamik von Fusionen ist defizitäres Management ablesbar an „verwässerten Unternehmenskulturen, angespannten Finanzen und gefährdetem Partnerstatus“ (S. 56). Wenn erhöhte Sichtbarkeit allein durch die schiere Anzahl der Berufsträger/Standorte/ Rechtsgebiete garantiert werden soll, wird das ökonomisch schiefgehen, denn der „einzige Maßstab darf nur die Qualität der Leistung sein“ (S. 55).

Heussen und die Sprache

Was haben Jesus, der Fischkoch des Sternerestaurants Bareiss und papierlose Toiletten miteinander zu tun? Na klar, alle werden von Heussen argumentativ verwertet.

Seine Sprache ist humorvoll, frech und gern auch mal postulataffin. So ist aus seiner Erfahrung das für Anwaltskanzleien typische „Schattenmanagement […] dadurch gekennzeichnet, dass niemand offen Verantwortung übernimmt, aber jeder die Entscheidungen des anderen kritisiert“ (S. 16). Heussen findet in der Kanzleiwelt Trüffelschweine, Leithammel und „Vierer ohne Steuermann“, die zur Führungsvermeidung beitragen. Man erkennt viel wieder.

Heussen und das anwaltliche Missmanagement

Unfassbar erscheinen manche Beispiele über fehlende Verträge (Kündigung eines Sozietätspartners auf einem nicht unterschriebenen, abgerissenen Stück Papier; rechtssicher wegen fehlenden Sozietätsvertrags, S. 66), über das anwaltliche Honorar („Nur in 43 % aller Fälle entspricht die anwaltliche Rechnung den [mündlichen] Ankündigungen.“ S. 117, Zitat Prof. Kilian) und über die tagelange Partnerarbeit an den „core values“, also den zentralen Werten einer Kanzlei, die niemand anschließend befolgt, weil sie nicht schriftlich jedem Mitarbeiter bekannt gemacht werden (S. 222). Ein Klassiker scheint wohl immer noch in manchen Sozietäten die Bevorzugung des RVG vor einem Zeithonorar, denn so können Anwälte „jeder Diskussion über die Bewertung ihrer Leistung ausweichen“ (S.109).

Heussen und das Honorar

Dankbare Mandanten zahlen pünktlich. Eine denkwürdige Skizze (S. 119) ermutigt, die RVG-Rechnung im gerichtlichen Verfahren unmittelbar nach der Beweisaufnahme zu stellen (!), denn: „Wer konsequent in die Vorleistung geht, kann […] auch pünktliche Zahlung verlangen“ (S. 118). Und ständige Mahnung seit 2009: Wer sein Honorar nach den finanziellen Möglichkeiten des Mandanten richtet, hat „noch nicht genügend Gedanken über die richtige Mandatsstruktur investiert“ (S. 110).

Heussen und die Co-Autoren

Georg Anders (als Mitherausgeber der 4. Auflage), Christian Solmecke und Markus Hartung sind Rechtsmarktkenner. Sie bringen neue Zeiten und aktuelle Zahlen in ein altehrwürdiges Buch und lesen sich dabei äußerst konkret, informativ, motivierend und (was mittelständische Kanzleien angeht) besonders aufrüttelnd: Compliance, Rechtsformen und ihre Haftungsrisiken, Legal Tech (neu verfasst), Internationales und erfolgreiche Kanzleigründung in KI-gestützten Zeiten.

Fazit

Viel ist passiert zwischen der 1. und dieser 4. Auflage. In der Zwischenzeit lernten lernwillige Anwälte, dass sie sich keinesfalls vor Legal Tech, mitdenkenden Mitarbeitenden und kühl kalkulierten eigenen Stundensätzen fürchten müssen, sondern einzig vor ihrer Passivität in Managementfragen. Diese Passivität beendet das Buch von Heussen.

Schieblon (Hrsg.). Kanzleimanagement in der Praxis

Handbuch, Hardcover Springer Gabler, 5., vollständig überarbeitete und erweiterte Aufl. 2024, 74,99 Euro ISBN 978-3-658-42927-0

Claudia Schieblon versteht es wie kaum eine andere, Autoren zusammenzubringen, um dann Bestseller herauszugeben. Die Autoren verstehen, wovon sie schreiben, weil sie es durch ihre eigene Managementtätigkeit bewiesen haben. Das allein ist jedoch keine hinreichende Voraussetzung, um als Autor in Betracht zu kommen. Man muss in der Lage sein, das eigene Wirken zu hinterfragen. Bloße war stories sind sterbenslangweilig.

Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass mit jeder Auflage Kapitel und neue Autoren dazukommen, andere Kapitel wegfallen, so dass die Neuauflagen zwar nicht komplett neue Werke sind, aber Käufer der 1. Auflage würden das Buch heute nicht wiedererkennen.

Dies hier ist eines dieser Bücher, die in jede Kanzlei gehören, vom Einzelanwalt bis zur größeren Einheit. Denn die Betrachtung einer Kanzlei als Unternehmen erfordert professionelle Kanzleistrukturen und eine Strategie, wie man sich auf dem Markt positionieren will. Die 5. Auflage ist in drei Hauptteile aufgeteilt (Kanzleimanagement, Strategische Ausrichtung und Geschäftsentwicklung) und startet mit Kapiteln über Leadership und dann über Karrierewege in Kanzleien, zwei zentral wichtige Aspekte der Kanzleiführung und -entwicklung. Weiterhin gibt es einen zuverlässigen Überblick über Gewinnverteilungssysteme, weiterhin über vermeintliche Modethemen wie über New Work und Nachhaltigkeit in Wirtschaftskanzleien – aber nach der Lektüre realisiert man, wie zentral wichtig das ist. Das Buch richtet sich an verschiedene Kanzleitypen, zu den Autoren gehört etwa der Managing Partner des deutschen Teils der größten Kanzlei der Welt und der Mitgründer einer sehr erfolgreichen Gesellschaftsrechtsboutique. Natürlich werden Themen wie KI, Projektmanagement, Innovationsmanagement behandelt, und ich kann nicht sagen, was ich dort vermissen würde. Jede und jeder findet in dem Buch sofort mindestens vier Kapitel, an denen er oder sie hängenbleiben wird. Unser Tipp für beide Bücher: kaufen (und lesen!).

Heft 11 | 2024 | 73. Jahrgang

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    Transparenzhinweis: Markus Hartung hat in der 4. Auflage des Heussen- Buchs zwei Kapitel (mit-)geschrieben. In dem Schieblon-Buch war er von der 1. bis zur 4. Auflage Autor zweier Kapitel, die mit der 5. Auflage in jüngere Hände gegangen sind.