Anwältin geht in die Schule

Wissen und Gedanken über Rechtsstaatlichkeit in die Klassenzimmer bringen

Das Projekt des BAV: „ Anwälte gehen in die Schule“ wird glücklicherweise immer mehr von den Berliner Schulen angenommen. Jeder Besuch trägt dazu bei, dass Lehrer anderer Schulen darauf aufmerksam werden und uns „anfragen“. Ende November kam eine Anfrage vom Spandauer Kant-Gymnasium und ich hatte zugesagt. Mein „Strafrechtsfall“, den ich vor einem Jahr schon vorbereitet hatte, passte zur Jahreszeit. Der Lehrer der 8. Klasse am Spandauer Kant-Gymnasium, Herr Klein, hatte in den Herbstferien eine Anfrage gestellt. Da ich schon in einigen Schulen war, auch mit hohem Migrationsanteil, bin ich davon ausgegangen, dass eine Schule in Spandau für mich „ein Leichtes“ sein wird. Doch weit gefehlt.

Claudia Frank | Fachanwältin für Arbeits- und Steuerrecht | Probandt PartGmbH

Die Erwartungen, die an mich gestellt wurden, waren nicht klar definiert, was mir schnell bewusst wurde. Ich kam in eine Klasse mit 30 Schülern, gemischt und auch unterschiedlichen Alters. Von 13 bis 16 Jahren war alles vertreten. Unterschiedlich waren auch die Charaktere. Von schüchtern, gelangweilt, indifferent bis sehr lebhaft und motiviert. Diese Klasse war eine Herausforderung. Herr Klein teilte mir in einem kurzen Gespräch mit, dass sich die „Jugendlichen der Klasse 8b intensiv mit dem Thema der sogenannten Chatkontrolle im Hinblick auf die Grundrechte beschäftigt haben.

Den Jugendlichen wurde verdeutlicht, dass der Schutz der Privatsphäre und die Sicherheit der Gesellschaft gegeneinander abgewogen werden müssen.“ Somit waren weder die Grundrechte noch deren „Schranken“ den Schülern unbekannt, was mir den Einstieg erheblich erleichtert hat. Mein Credo: „Das Grundgesetz ist etwas ganz Großartiges und der Rechtsstaat schützenswert“, stand ganz oben auf meiner Liste.

Ich versuchte, die Schüler zu Fragen zu animieren, was mir nicht bei allen gelungen ist. „Chatten“ und die Gefahr des Missbrauchs waren ein Thema, das tatsächlich viele beschäftigt hat, und ich dachte mir, es muss für einige ein tägliches Problem sein – wobei ich dieses nicht lösen kann. Der Begriff des „Rechtsstaats“ lässt sich bei Jugendlichen am besten anhand der Staaten erklären, welche kein Rechtsstaat sind. Leider ist in dieser Hinsicht meine Aufzählung mittlerweile lang und die Jugendlichen hörten gespannt zu. Es war sicherlich bei einigen ihr Heimatland dabei, oder das ihrer Eltern. Meine Ausführungen fielen auf fruchtbaren Boden, was mich wiederum freute.

„Als Tipp: Vor dem Gang in die Schule fragen, ob die Klasse schon einmal bei Gericht war und welche Kenntnisse vorhanden sind“

Es ist schwer, in 90 Minuten unseren Rechtsstaat, den Aufbau der Gerichte, die zahllosen Gesetze und unsere tägliche Arbeit in all seinen Facetten zu erklären, ohne dass die Kinder dabei einschlafen oder nicht mehr zuhören. So habe ich den Aufbau der Gerichte auch nur kurz dargestellt, da diese Klasse noch nie in einem Gericht war, mithin auch keiner Verhandlung zugehört hat und auch gar nicht wusste, welches Gericht für welches Rechtsproblem zuständig ist. Als Tipp an dieser Stelle: Vor dem Gang in die Schule fragen, ob die Klasse schon einmal bei Gericht war und welche Kenntnisse vorhanden sind.

Der Lehrer hatte mich gewarnt: Mehr als sieben Minuten könnten sich die Schüler nicht konzentrieren. Ich dachte, das glaube ich nicht, und war dann doch überrascht. Als ich spürte, dass zwar einiges Wissen über unseren Rechtsstaat bei den Schülern vorhanden ist, und auch Interesse, aber die Fragen ausblieben, bin ich zu einem Rollenspiel übergegangen. Die Verteilung der Rollen, Angeklagter, Verteidiger, Richter, Zeugen, Schöffen und Sachverständige, war problemlos. Da es eine große Klasse war, habe ich zwei Gruppen gebildet. In einer Gruppe hatten sich nur Schülerinnen gemeldet, während in der zweiten Gruppe vor allem Jungs das „Sagen“ hatten.

Was war der Gegenstand der Verhandlung: Ein Taxifahrer wird von seinem Chef aufgefordert, Fahrten zu übernehmen, weil ein Kollege krank wurde. Der Taxifahrer hat jedoch schon Alkohol getrunken, als er den Anruf von seinem Chef bekommt. Er lässt sich überreden und fährt los. Er passt nicht auf und fährt mit dem Taxi und Fahrgast in einen Weihnachtsmarkt, der schlecht beleuchtet ist, auch nicht gut gekennzeichnet. Der Taxifahrer fährt in eine Weihnachtsbude und sein Fahrgast wird dabei verletzt. Die Polizei nimmt den Unfall auf. Der Schaden wird vom Sachverständigen ebenfalls errechnet.

Die jeweiligen Rollen wurden von mir erklärt und ich hatte auch für jeden kleine Zettel vorbereitet, anhand derer die Jugendlichen ablesen konnten, was sie sagen sollten. Die Mädchen der Klasse hatten die Gerichtsverhandlung mithilfe der kleinen Zettel – und auch mit meiner Anleitung – schnell durchgespielt. Bei den Jungs war es schwieriger. Einige wussten alles besser und es kostete mich viel Mühe, diese zu mehr Ruhe und Mitdenken zu bringen. Irgendwann wurden dann die Urteile verkündet, die, wie immer, ganz unterschiedlich ausfielen. Die Mädchen haben sich ein sehr gutes Strafmaß ausgedacht, während die männlichen Schüler so hart geurteilt haben, dass man sich fragen muss, wie kommen diese zu so drastischen Strafen. Natürlich haben wir über die Gerichtsverhandlung noch diskutiert.

Nach dem Rollenspiel war die Konzentration am Ende und die Schüler sehnten das Ende herbei. Auch ich war nach 90 Minuten froh, dass ich meine Aufgabe erledigt hatte. Leider durften Fotos nicht oder nur von hinten gefertigt werden. Einige Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder von vorne fotografiert werden. Ich frage mich, ob die Eltern sich das wirklich gut überlegt haben? Die Schüler stellen sich ja selbst ununterbrochen ins Netz ein.

Die Tür zum Klassenzimmer blieb immer offen … ich habe nicht nach dem Grund gefragt. Als ich Lehrer Klein auf mein Gefühl ansprach, dass es schwer ist, die Schüler zu motivieren – die Schüler hatten wohl kein so hohes Interesse – bestätigte er, dass die 8. Klassen an dieser Schule tatsächlich ein „Problem“ seien. Die Eltern sind der Ansicht, alles sei Aufgabe der Lehrer und die Note ausreichend ist doch so schlecht nicht, eben „ausreichend“ im wahrsten Sinne des Wortes.

„Die positiven Reaktionen zeigen, dass wir gerade in diese Schulen gehen müssen, um dort den Gedanken der Rechtsstaatlichkeit nahezubringen“

Während wir uns so unterhielten, kam eine Schülerin zu mir und bedankte sich. Lehrer Klein schrieb mir einige Tage später: „Bei Gesprächen mit Jugendlichen, die ich nach Ihrem Besuch geführt habe, empfand es ein Großteil als Gewinn, dass Sie als Expertin von außen Ihre Perspektive dargestellt haben. Eine Schülerin fragte mich, ob Sie nun häufiger vorbeikämen, um über andere rechtliche Themen zu sprechen.“ Darüber war ich erstaunt, aber es hat mich auch gefreut.

Ich bewundere Lehrer Klein, wie er sich selbst motiviert und sich Gedanken macht, wie er den Schüler mehr Ansporn geben könnte. Sicherlich hat sich Herr Klein auch von meinem Besuch ein Aufrütteln erhofft. Ob ich dem gerecht wurde, weiß ich nicht. Doch die positiven Reaktionen zeigen, dass wir gerade in diese Schulen gehen müssen, um dort den Gedanken der Rechtsstaatlichkeit nahezubringen. Es ist schon erstaunlich, wie wenig Wissen, auch oder gerade bei Erwachsenen, vorhanden ist, geht es um Recht und „Gerechtigkeit“. Dabei sind wir doch täglich, alle, in zahllosen rechtlichen Vorgängen eingebunden. Ich werde mich weiterhin einbringen und in Schulen gehen, um dieses, unser Wissen zu vermitteln. Ich hoffe, viele von Ihnen machen es mir nach und sprechen auch mit den Lehrern in den Schulen über unser Projekt. Nein, ich will keine Juristen, ich möchte Kindern und Jugendlichen Wissen an die Hand geben, damit sie die Demokratie schätzen und nicht mit Füßen treten.

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Heft 03 | 2024 | 73. Jahrgang