Anwaltskanzleien und Changeprozesse
Veränderung managen
Veränderungen kann man kaum planen, sie passieren. Den Umgang mit Veränderungen allerdings kann man managen. AnwältInnen können eigene, innere Hal-tungen und Mindsets betrachten und anpassen. Man kann lernen, Veränderungsprozessen den Schrecken zu nehmen – besonders für Mitarbeitende. Das gilt für Kanzleien wie für andere Unternehmen. Das wohl noch immer wichtigste Thema ist die Digitalisierung der Rechtsdienstleistung. Hier liegt der Schwerpunkt des Beitrags.

Liane Allmann| Dipl.-Betriebswirtin | Inhaberin der auf Anwälte| spezialisierten Kommunikations-Agentur Kitty & Cie
Exklusiv für Mitglieder | Heft 12/2022 | 71. Jahrgang
CHANGEMANAGEMENT IN ANWALTSKANZLEIEN? WAS IST DAS?
Aktuell wird Changemanagement in Verbindung mit der digitalen Transformation in Kanzleien viel diskutiert. Aber was konkret versteht man nun unter Changemanagement? Es ist die bewusste und aktive Planung, Implementierung, Kontrolle und Stabilisierung von Veränderungen. Dabei ist egal, welcher Art diese Veränderungen sind. Wichtig für die Kanzlei ist, dass es um Veränderungen geht, die einen wesentlichen Teil der Kanzlei-AkteurInnen (PartnerInnen, Associates und Mitarbeitende) betreffen und die zum Teil heftige Emotionen auslösen. Ziel ist die Akzeptanz.
Aufgabe eines guten Kanzleimanagements oder der Kanzleiführung ist es, Veränderungsnotwendigkeiten zu erkennen, Prozesse zu definieren und allen Beteiligten Vertrauen zu schenken, um Blockaden aufzuweichen. Gerade für Mitarbeitende ist in dieser Zeit eine saubere und klare interne Kommunikation essenziell. Aber auch die externe Kommunikation ist ein wertvolles Instrument – gerade in Richtung der Mandantschaft oder potenzieller Targets. Denn auch sie spüren das Ergebnis von Veränderungsprozessen.
VERWALTEN ODER GESTALTEN?
Der große Nutzen eines professionellen Changemanagements ist, dass sich Kanzleien aktiv entscheiden und damit die Prozesse steuern, anstatt von Ereignissen gesteuert zu werden. Regelmäßig wird in Kanzleien argumentiert, dass das Tagesgeschäft das Kanzleimanagement oder die PartnerInnen davon abhalte, sich mit strategischen Überlegungen oder Veränderungen in der Kanzlei auseinanderzusetzen. Für mich ein klares Zeichen dafür, dass die Steuerung fehlt und das Management blinde Flecken hat. Dabei liegt der wirtschaftliche Vorteil auf der Hand: Wer in der Lage ist, Veränderungsprozesse in der Kanzlei als natürlich anzunehmen und sich Prozessverläufe klarzumachen, spart Zeit, Geld und vor allen Dingen Nerven. Außerdem kann er auf Dynamiken des Marktes schneller reagieren und verliert einfach keine Zeit.
„Eine Hauptaufgabe der Kanzleien ist die Antwort auf die Frage ‚Was bedeutet Digitalisierung für unsere Kanzlei?‘“
Durch Versäumnisse in der internen Kommunikation ist allerdings die Stimmung in Kanzleien oft schlecht. Wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, keinerlei Mit-bestimmungsrecht zu haben, oder das Gefühl, dass ihre Meinung ohnehin niemanden interessiert, wertet das Mitarbeitende ab. Dieses Gefühl der „desinteressierten Führung“ führt zu einer Reduktion der Loyalität und im schlimmsten Falle zur Kündigung. In Zeiten des Fachkräftemangels und des sogenannten „War for Talents“ sollte sich eine Kanzlei also ganz genau überlegen, wie sie ehrlich kommuniziert. Feststehende Hierarchien wer-den in aktiven Changeprozessen nicht selten gesprengt. Das führt auch auf der Ebene der PartnerInnen zu Irritationen und, wenn auch selten so formuliert, zu Ängsten. Ängste und Verunsicherung sind die starken Hemmnisfaktoren im Veränderungsprozess. Hier ist Kanzleiführung gefragt. Sie muss sensibel sein und sich der Rollen aller AkteurInnen, ihrer Interessen, ihrer inneren Hal-tung und Stellung sowie ihrer Ängste bewusst werden. Alles kein Hexenwerk! Das alles kann man in Trainings oder innovativen Kanzleiveranstaltungen wie „Bar-camps“ erarbeiten. Im allerbesten Fall gemeinsam.
Das Wichtigste jedoch ist, dass zunächst die Kanzleileitung sich öffnet: besonders bei Wirtschaftskanzleien, oft männlich dominiert und narzisstisch infiziert, eine Herausforderung. Changemanagement muss als die eigene – und in Bezug auf die Sachbearbeitung nicht weni-ger wertvolle – Aufgabe betrachtet werden. Die Auslagerung des Changemanagements und die Realisation durch Externe ist nicht möglich. Das wäre so, als wollten Sie das Kinderkriegen oder eine Diät outsourcen. Das funktioniert nicht. Die externe Begleitung des Changeprozesses, die Beratung und der Austausch mit erfahrenen ChangemanagerInnen und die konstruktive Moderation und Gestaltung von Workshops hingegen sollte sogar extern realisiert werden.
ENTWICKLUNGEN AUF DEM ANWALTSMARKT
Legal-Tech, „KI“ und/oder Blockchain: Gerade größere Kanzleien widmen sich diesen Themen, einige bereits mit eigenen Dezernaten. Jedes Jahr finden Legal-Tech-Konferenzen statt.
Eine Hauptaufgabe der Kanzleien ist die Antwort auf die Frage „Was bedeutet Digitalisierung für unsere Kanzlei?“. Grundsätzlich gibt es drei Hauptgebiete, die hier beispielhaft aufgezeigt sind:
1. Digitalisierung der eigenen Kanzlei
Hierzu zählen alle Prozesse, die der Qualitätssicherung der Kanzlei und der Effizienzsteigerung der eigenen Arbeit dienen. Das Führen der elektronischen Akte gehört dazu und im besten Fall aus den Bedürfnissen der Mandatsbetreuung heraus automatisierte Prozesse.
2. Digitalisierung anwaltlicher Expertise
Automatisierte Vertragserstellungen oder automatisierte Zugriffe auf von allen AnwältInnen befüllte Wissensdatenbanken wären ein Beispiel. Auch Legal Project Management gehört dazu.
3. Entwicklung neuer, digitaler Geschäftsmodelle
Tools, die MandantInnen die Möglichkeit bieten, sich eine Kanzleileistung direkt einzukaufen: Beispiel wäre eine Risikoanalyse. Großen Nutzen können auch verknüpfte Angebote verschiedener DienstleisterInnen bringen. Beispielsweise die Entwicklung eines Compliance-Management-Systems und die Kombination mit einem eLearning-System. So können bei MandantInnen Compliance-Regelungen mit der Wissensabfrage bei Mitarbeitenden automatisiert werden.
Change erfordert viel innovative Energie, disruptive Erfolge und Freude, wenn es gut werden soll. Gerade hier haben sich moderne Trainings- und Tagungsmethoden mit Fun-Faktor bewährt. Schlussendlich wird Innovation dadurch erreicht, dass man sich einem Thema aus völlig neuer Perspektive, also im besten Falle ohne jedwede Blockaden, nähert.
DIGITALISIERUNG DES VERTRIEBS ANWALTLICHER DIENSTLEISTUNG
Der Change durch die Digitalisierung greift in weite-re Kanzleibereiche ein. Der Vertrieb der anwaltlichen Dienstleistung ist dafür ein Beispiel. Eine Analyse von Kanzleihomepages hat ergeben, dass es sich regelmäßig lediglich um eine erweiterte Visitenkarte im Internet handelt. Nur sehr wenige (Wirtschafts-)Kanzleien verstehen die eigene Homepage als „automatisiertes Pitch-Deck“, das Recht- oder Informationssuchenden Angebote liefert, die sie wirklich brauchen, und weitere Angebote bietet, an die sie vielleicht noch gar nicht gedacht haben, ähnlich wie bei Amazon: „Dieser Artikel könnte Sie auch interessieren“.
WANN SCHEITERN CHANGEPROJEKTE IN KANZLEIEN?
Changeprojekte scheitern oft oder ziehen sich sehr lange hin. Grade bei kleineren Einheiten ohne straffes Management. Man denke nur an die Erstellung einer neuen Kanzleihomepage oder an die Einführung einer Kanzleisoftware. Horror! Gründe für das Scheitern von Changeprojekten liegen laut einer Changemanagement-Studie von Capgemini aus 2010 unter anderem in folgen-den Punkten begründet.
- Zu viele parallele Aktivitäten ohne Priorisierung und/oder Abstimmung
- Interessenkonflikte der Beteiligten
- Fehlende „Unterstützung von oben“ (bei 40 % der Be-fragten)
- Fehlendes Monitoring bzw. Erfolgskontrolle
- Mangelnde Einbettung des Changemanagement-Prozesses in die Unternehmensstrategie
Meine Beobachtung aus der Begleitung von Changeprojekten in Kanzleien zeigt weitere Hemmnisse.
- Unzureichende Kommunikation
- Mangel an der Zuweisung von Verantwortlichkeiten
- Schlechtes Projektmanagement
- Starke Frustrationen, die zum Teil aus vergangenen gescheiterten Projekten resultieren (resignativer Still-stand)
- Mangel an Überzeugungskraft der PartnerInnen in Richtung der Mitarbeitenden (oft Mangel an Leadership)
- Fehlen einer Veränderungseinsicht / mangelnder Handlungsdruck
- Mangel an Veränderungs- und Fehlerkultur in der Kanzlei
- Investitionsunwillen
WANN GELINGEN CHANGEMANAGEMENT-PROJEKTE IN KANZLEIEN?
Erfolgreiche Changemanagement-Projekte benötigen neben einer sehr guten Steuerung eine positive Grundstimmung gegenüber Veränderungen in der Kanzlei. Darum gilt es, eine Kanzleikultur zu kreieren, die konservative Wertewelten mit innovativen Möglichkeiten verknüpft. Deshalb stellt sich im Changeprozess nicht nur die Frage „Was soll verändert werden?“, sondern gleichberechtigt auch: „Was soll erhalten bleiben?“
Erfolgreiche Veränderung ist ein komplexes Geflecht aus Analyse, Information, bereits bestehender Organisationskultur, Motivation und Bedürfnis der Mitarbeitenden bis hin zu gemeinsamen Trainings oder gar Coachings.
CHANGEPROJEKT DIGITALISIERUNG: HERAUSFORDERUNG FÜR KANZLEIEN
Kanzleien, die über die Digitalisierung der eigenen Dienstleistung nachdenken, darüber, wie sie neue, verkaufbare, Produkte kreieren können oder darüber, wie sie mit den MandantInnen besser zusammenarbeiten können, müssen sich sehr stark mit eigenen Prozessen und den gelebten Prozessen der Mandantschaft auseinandersetzen. Die Herausforderungen der Mandantschaft sind dabei richtungsweisend für die eigene Dienstleistungsentwicklung. Ich arbeite mit Ablaufdiagrammen, betrachte jeden einzelnen Schritt und finde so Potenziale. Mich treibt stets die Frage: Wie können wir diesen Teilprozess verbessern, effizienter gestalten oder smarter leben? Grundsätzlich gilt: Dort, wo es MandantInnen schmerzt, ist unser Produkt. RechtsanwältInnen sind in aller Regel ungeübt im Umgang mit Projektmanagement. Hier meine Empfehlungen für erfolgreiches Change- oder allgemeines Projektmanagement in Kanzleien:
- Formulieren Sie ein klares Ziel und verschriftlichen Sie das Ergebnis.
- Beschreiben Sie die Ist-Situation und den Veränderungsbedarf in der Kanzlei.
- Budgetieren Sie konkret.
- Vergeben Sie Zuständigkeiten und Verantwortungen.
- Regeln Sie ganz konkret den Informationsfluss.
- Vereinbaren Sie regelmäßige Termine, die den Stand der Dinge aufzeigen.
- Erstellen Sie eine Timeline und gleichen Sie sie regel-mäßig mit der Realität ab.
- Implementieren Sie ein lebbares Projektcontrolling.
- Bewerten Sie das Projekt am Ende mit allen Beteilig-ten und leben Sie aktiv eine offene Fehlerkultur.
DIE IMMER LERNENDE KANZLEI – EIN FAZIT
Changemanagement-Projekte in Kanzleien können wunderbar gelingen. Dazu ist es notwendig, die Architektur des Wandels auf ein gutes Fundament zu stellen – sprich: Bevor Prozesse in Kanzleien verändert werden (sollen), gilt es, sich als Kanzleiführung ernsthaft mit Projekten auseinanderzusetzen und Bedenken offen zu diskutieren. Bereits hier wird der Grundstein für ein Gelingen von Veränderungen in der Kanzlei gelegt.
Im besten Falle, und mit Übung, führen professionelles Changemanagement, der Angstabbau, der daraus resultiert, und die Professionalität, die damit für alle Beteiligten spürbar wird, zu einer immer lernenden Kanzlei. So wird nicht nur das Bewusstsein für potenzielle Prozessverbesserungen innerhalb der Kanzlei erhöht, sondern eine Achtsamkeit in Richtung Mandantschaft zu neuen Produkten und Angeboten erreicht. Wer einmal ein tolles Changemanagement und die beflügelnde Energie von gemeinsam geschaffenen Erfolgen erlebt hat, findet Freude daran.
Kommunikation ist ein Erfolgsfaktor. Nicht nur die externe, auch die interne Kommunikation ist wichtig – und das von Anfang an. Gespräche mit PartnerInnen sind genauso wichtig wie Gespräche unter und mit Mit-arbeitenden. Die Akzeptanz von Veränderungen steht im diametralen Verhältnis zur Kommunikation. Reden hilft – feiern auch! Feiern Sie Etappen und (Teil-)Erfolge gemeinsam. Das muss nicht unbedingt eine Bottleparty bedeuten. Es genügt oft, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen und zu formulieren, wie stolz man ist, Teil des Teams zu sein – gerade als PartnerIn. Das bringt nicht nur Sympathie ein, sondern erhöht die Loyalität signifikant.