beA: Ausblick und Rechtsprechung
Keine Wiedereinsetzung bei Organisationsverschulden.
Seit zwei Jahren ist die aktive Nutzung des beA Pflicht bei der Korrespondenz mit der Justiz. Die Rechtsprechung hat die Rahmenbedingungen immer klarer definiert: Anwält:innen sind verpflichtet, ihr beA zu kennen und zu können; Schulungen sind unerlässlich. Was erwartet uns im Elektronischen Rechtsverkehr der Zukunft?
Ilona Cosack | Fachbuchautorin | Referentin | beA-Bloggerin und Inhaberin der ABC AnwaltsBeratung Cosack | Fachberatung für Rechtsanwälte und Notare
1. WEITERGABE DER beA-KARTE UND PIN: UNWIRKSAME EINREICHUNG
Obwohl § 26 RAVPV die Weitergabe untersagt und die PIN geheimzuhalten ist, kommt es immer wieder vor, dass Anwält:innen ihre beA-Karte nebst PIN (2-Faktor- Authentifizierung) Kanzleimitarbeitenden überlassen. Da der Versand einer beA-Nachricht ohne eine qualifizierte elektronische Signatur (qeS) nur dann den sicheren Übermittlungsweg darstellt, wenn die Berufsträger:in die Karte selbst verwendet, ist die Einreichung über Angestellte nicht zulässig und führt dazu, dass der Rechtsmittelschriftsatz nicht wirksam übermittelt wurde. Eine Wiedereinsetzung wird nicht gewährt (BGH v. 20.6.2023, 2 StR 39/23).
Praxistipp: Statten Sie alle Mitarbeitenden mit beA-Mitarbeiterkarten aus. Versehen Sie jede Nachricht mit einer qeS, dann kann die Nachricht vom Personal versendet, exportiert und die automatische Eingangsbestätigung kontrolliert werden.
2. ABGABE VON EEB DURCH MITARBEITENDE: GROBES ANWALTSVERSCHULDEN
Organisiert ein Rechtsanwalt den Umgang mit elektronischen Empfangsbekenntnissen (eEB) so, dass es möglich ist, dass das eEB ohne sein Wissen vom Personal abgegeben werden kann, dann handelt es sich um grobes Anwaltsverschulden. Der Anwalt kann sich seiner Verantwortung nicht durch Delegierung entledigen (Verwaltungsgerichtshof Hessen, 6. Senat v. 28.4.2023, 6 A 2124/22.Z.A). Hinzu kommt, dass der Bevollmächtigte aufgrund der Löschregeln des § 27 RAVPV den Beweis nicht führen konnte, da er die beA-Nachrichten nicht exportiert hatte.
Praxistipp: Maßgeblich für die Abgabe von eEB ist die Kenntnisnahme der Anwält:in. Entweder wird das eEB direkt vom Anwalt abgegeben und gesendet oder das eEB wird von der Anwält:in mit Kenntnisnahme-Datum und qeS versehen und vom Personal mit der eigenen beAMitarbeiterkarte versendet.
3. ORGANISATORISCHE ANFORDERUNGEN AN DIE KONTROLLE EINER EINGANGSBESTÄTIGUNG NACH § 130A ABS. 5 SATZ 2 ZPO
Immer wieder hat sich der BGH mit den anwaltlichen Pflichten bei Fristsachen befasst (zuletzt mit Beschl. v. 6.9.2023, IV ZB 4/23. Ausführlich dazu: Cosack, RDi 12/2023, S. 590 ff. mit Checklisten zum Nachweis der wirksamen Ausgangskontrolle). Es sei unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Auch bei beA entsprechen die anwaltlichen Sorgfaltspflichten denen bei Übersendung per Telefax. Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war. Bleibt diese aus, muss der Rechtsanwalt den Sachverhalt überprüfen und gegebenenfalls eine erneute Übermittlung veranlassen. Dies gilt auch, wenn die Versendung über eine Schnittstelle der Anwaltssoftware erfolgt. Des Weiteren muss der Rechtsanwalt Vorkehrungen treffen, damit eine versehentliche Streichung von Fristen unterbleibt.
Schulung erforderlich
Wie die Eingangsbestätigung aufgerufen und ihr Inhalt überprüft werden kann, erfordere eine intensive Schulung der mit dem Versand über das beA beauftragten Mitarbeitenden. Dies gelte sowohl beim Versand über die beA-Webanwendung als auch beim Versand über die Schnittstelle einer Kanzleisoftware. Bereits 2019 hat das LAG Schleswig-Holstein (Beschl. v. 19.9.2019 – 5 Ta 94/19) Anwälte verpflichtet, „… sich die Kenntnisse zur Nutzung dieser technischen Einrichtungen anzueignen …“, und 2020 hat der BGH (Beschl. v. 17.3.2020 – VI ZB 99/19) neben einer Kanzleianweisung die Ausgangskontrolle für fristwahrende Schriftsätze sowie eine zusätzliche abendliche Kontrolle für erforderlich erachtet.
Praxistipp: Beschreiben Sie für Ihre Kanzlei die einzelnen Arbeitsschritte und erstellen Sie daraus Checklisten (ggf. mit Screenshots), damit diese bei Fristsachen als Kontrolle eingesetzt werden können. Nach wie vor herrscht häufig Unsicherheit, wie die automatisierte Eingangsbestätigung aufgerufen und kontrolliert wird.
4. AUSBLICK: WAS ERWARTET UNS IM ELEKTRONISCHEN RECHTSVERKEHR? EBO – MJP
Der Teilnehmerkreis am Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) wächst. Nach dem besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach (beSt) zum 1.1.2023 wird für professionelle Verfahrensbeteiligte (z.B. Insolvenzverwalter, Patentanwälte und Verbände), zum 1.1.2024 das besondere Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) (§ 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO n.F.) Pflicht. Für Bürger (und Mandanten) ist die Einrichtung eines eBO sehr kostspielig und wenig attraktiv. Daher wurde für diese Zielgruppe neu im Oktober 2023 „Mein Justizpostfach“ (MJP) für die verschlüsselte Kommunikation mit der Justiz, Behörden, Anwälten, Notaren und Steuerberatern entwickelt. Derzeit befindet sich das MJP im Pilotbetrieb. Um das MJP nutzen zu können, benötigt man ein Nutzerkonto bei der BundID.
Am einfachsten geht die Einrichtung mit dem elektronischen Personalausweis. Nachdem ein Nutzerkonto eingerichtet wurde, kann man ein MJP einrichten. Aktuell ist eine Kommunikation zwischen beA/beN und MJP noch nicht möglich. Sobald diese Option besteht, berichten wir an dieser Stelle.
5. AUSBLICK: DIE JUSTIZ WIRD DIGITAL(ER)
Zum 1.1.2026 muss die Justiz elektronische Akten führen. „The Länd“ (Baden-Württemberg) hat am 4.12.2023 stolz verkündet, dass es als erstes Bundesland flächendeckend die vollelektronische Gerichtsakte eingeführt hat und damit alle Gerichte in Baden-Württemberg mit der Elektronischen Akte arbeiten.
Auch die Berliner Justiz macht Fortschritte: Zum 4.9.2023 startete die eAkte beim Landgericht Berlin in Zivilsachen, zunächst im „Probe-Echtbetrieb – einer Vorstufe zum späteren Echtbetrieb“. Seit 4.12.2023 ist die eAkte auch beim Kammergericht in Zivil- und Familiensachen eingeführt. Bis 2024 soll die eAkte schrittweise auch bei den zehn Berliner Amtsgerichten eingeführt werden.
6. ZWANGSVOLLSTRECKUNG BALD REIN ELEKTRONISCH MÖGLICH?
Zwar hat der Gesetzgeber mit der „Verordnung zur Änderung der Zwangsvollstreckungsformular-Verordnung (Übergangsregelung)“ die Übergangsregelung zur Frist zur Einführung der neuen ZVFV bis 31.8.2024 verlängert und dabei für die Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Forderungen die Nutzung erst ab 1.5.2025 als verbindlich festgelegt. Die Vorschläge zur Verbesserung der Handhabbarkeit der Formulare werden allerdings gesondert behandelt und daher erst nach dem Abschluss der Änderung der Übergangsregelung weiterverfolgt.
Einen Lichtblick bringt der „Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Zwangsvollstreckung“. Um die Anzahl der Aufträge und Anträge in hybrider Form zu reduzieren, soll der Anwendungsbereich der §§ 754a und 829a ZPO erweitert werden. Dadurch soll in weiterem Umfang als bisher erlaubt werden, anstatt der vollstreckbaren Ausfertigung und anderer Schriftstücke in Papierform elektronische Kopien davon an das Vollstreckungsorgan zu übermitteln.
Es soll geprüft werden, ob professionelle Antragsteller (Anwälte, Inkassounternehmen und Behörden) die Anträge auf Erlass von Durchsuchungsanordnungen und von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen als XJustiz- Datensatz übermitteln müssen. Derzeit werden die Stellungnahmen der Fachkreise und Verbände geprüft.
Es wird wohl keine schnelle Lösung geben, denn im Entwurf heißt es auch: „Langfristig sollte zur Behebung der Problematik hybrider Anträge und Aufträge allerdings eine solche digitale Lösung angestrebt werden, die vor allem aus Gründen des Schuldnerschutzes ein hohes Niveau an Fälschungs- und Manipulationsschutz gewährleisten kann. Eine solche Lösung könnte in der Schaffung einer elektronischen Datenbank für die Zwangsvollstreckung bestehen, die jedoch aufgrund der notwendigen technischen Entwicklungen nicht zeitnah realisiert werden kann.“
7. beA-UPDATES AM LAUFENDEN BAND
Das beA wird fortlaufend weiterentwickelt. Neben dem Beheben von Fehlern wurde mit dem neuesten Update (Dezember 2023) auf die Version 3.23 das Zeitlimit auf 60 Minuten ausgedehnt. Mit der Version 3.19 (August 2023) erhielt das Design des beA einen Relaunch und auch die Benutzerführung wurde geändert. In Planung ist auch eine beA-App der BRAK, damit bei einer Eingangsbenachrichtigung die Neugier (wer schreibt in welcher Sache) schnell befriedigt werden kann. Sobald die beA-App der BRAK in den App-Stores verfügbar ist, berichten wir an dieser Stelle.
„Der ERV ist gekommen, um zu bleiben“
FAZIT: Der ERV ist gekommen, um zu bleiben. Die Justiz träumt von einer „Justiz-Cloud“, in der alle Dokumente als XJustiz-Datensatz zur Verfügung stehen und das „Basisdokument“ (derzeit in Erprobung an den Landgerichten Hannover, Osnabrück, Landshut und Regensburg) als Entscheidungsgrundlage für das Gericht dienen soll. In der Praxis werden alle Anwender:innen auf Kanzlei- und Justizseite lernen müssen, mit der heutigen und zukünftigen Technik umzugehen.