Bedrohte Anwältinnen und Anwälte 2024
Wir machen auf die Lage in der Türkei aufmerksam. Mit der orange-roten Schleife ein Zeichen setzen
Der 24. Januar eines jeden Jahres ist der Welttag der bedrohten Anwälte und Anwältinnen. Neben Journalistinnen und Journalisten sind auch Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen in vielen Ländern massiven Bedrohungen ausgesetzt, weil sie ihren Beruf ausüben. Für die Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen im DAV war dies Anlass, sich diesem wichtigen Thema anzunehmen.
Panel in München im Dezember 2022
IDEE FÜR DIE ORANGE-ROTE SCHLEIFE ALS SYMBOL
Es begann in München im Dezember 2022 auf der Herbsttagung der AG Anwältinnen. Auf einem Panel zum Thema der Bedrohung von Anwältinnen und Anwälten berichtete die türkische Rechtsanwältin Hürrem Sönmez über ihre Arbeit in der Türkei und schilderte, dass eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die sich für Aktivisten, die an den Demonstrationen im Gezi-Park teilgenommen haben, einsetzen oder Beteiligte verteidigen, auch heute, knapp zehn Jahre nach den Demonstrationen, mit Repressalien und Haft rechnen müssen. Viele von den Strafverteidigern hätten aufgrund ihrer Tätigkeit schon in Haft gesessen oder stünden, je nachdem, wen sie vertreten, schon mit einem Bein im Gefängnis. Die Anwälte würden schon deswegen zum Ziel von Repressalien durch den Staat, weil ihre Arbeit politischen Machtinteressen zuwiderlaufe. Dies gelte besonders, wenn sie Personen verteidigen, die sich für die Demokratie oder Pressefreiheit einsetzen. Die Veranstaltung im Dezember 2022 wollte aufklären, aber auch versuchen, einen Weg zu finden, wie wir in Deutschland als Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte den Kolleginnen und Kollegen in ihrem Heimatland helfen können. Auf diese Frage teilte Frau Sönmez mit, dass es wichtig sei, Aufmerksamkeit für die Bedrohten oder Inhaftierten zu schaffen und immer wieder darüber zu reden. Diese sei ihres Erachtens ein effektiver Schutz für die Kollegen und Kolleginnen. Sie selbst sehe sich verpflichtet, trotz des erheblichen persönlichen Risikos weiterzumachen.
Stefan von Raumer, Vizepräsident des DAV, und Dr. Margarete Gräfin von Galen, die ebenfalls an der Diskussion in München teilnahm und jahrelang in ihrer Eigenschaft als Präsidentin des CCBE (internationale europäische Anwaltsorganisation) mit der Bedrohungslage der Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen beschäftigt war, berichteten in München damals von ihrer Arbeit in verschiedenen Verbandspositionen und den Erfahrungen zu dem Thema. Dr. Margarete Gräfin von Galen schlug vor, ein Symbol in Form einer Schleife für die Unterstützung bedrohter Anwältinnen und Anwälte zu schaffen, um eine Sichtbarkeit für das Anliegen zu erreichen.
„Die zweifarbig gestaltete Schleife schafft Aufmerksamkeit und Gesprächsstoff zugleich und hilft, Projekte zugunsten bedrohter Anwältinnen und Anwälte zu unterstützen“
Die Idee der jetzt schon zum zweiten Mal auf dem Deutschen Anwaltstag gegen Spende ausgegebenen orangeroten Schleife war geboren. Die AG Anwältinnen nahm die Anregung auf und „erfand“ die orange-rote Schleife. Die zweifarbig gestaltete Schleife schafft Aufmerksamkeit und Gesprächsstoff zugleich und hilft, Projekte zugunsten bedrohter Anwältinnen und Anwälte zu unterstützen.
2023 – LAGE IN AFGHANISTAN, SPENDE BAHAAM E.V.
Die AG Anwältinnen hat im Jahr 2023 beginnend am Deutschen Anwaltstag in Wiesbaden für die bedrohten Anwältinnen und Anwälte in Afghanistan zu Spenden aufgerufen und gegen eine Spende eine orange-rote Schleife ausgegeben. Afghanistan war und ist das Land, aus dem nur einige Anwältinnen und Anwälte fliehen konnten, als die Taliban die Macht übernommen haben. Frauen waren als Anwältinnen und Staatsanwältinnen tätig und haben nach der Machtübernahme und der Freilassung von Gefangenen durch die Taliban um ihr Leben fürchten müssen. Die von den Anwältinnen und Staatsanwältinnen hinter Gitter gebrachten Gewaltverbrecher sannen auf Rache. Nur wenige Anwältinnen und Anwälte gelangten nach Deutschland und sind hier aufgenommen worden. Ein großer Teil der verfolgten Kolleginnen und Kollegen aus Afghanistan ist aufgrund des großen Engagements der Pariser Rechtsanwaltskammer jetzt in Frankreich beheimatet.
Mit der Spendenaktion wurde im Jahr 2023 das Berliner Projekt für afghanische Frauen Bahaam e.V., die Geflüchteten Onlinesprachkurse vermitteln, unterstützt. Onlinesprachkurse sind wichtig, weil die Frauen in Deutschland zu Hause auf die Kinder aufpassen und keine Möglichkeit haben, in Präsenz die Sprache zu erlernen. Dies ist ein Teil der Eingliederung in die Gesellschaft und schafft die Möglichkeit, auch in Deutschland wieder berufstätig zu werden.
2024 – TÜRKEI, FORTFÜHRUNG DER AKTION
Da die Bedrohung von Kolleginnen und Kollegen nicht abnimmt, sondern eher zunimmt, hat die AG Anwältinnen beschlossen, die Aktion weiter fortzuführen und jedes Jahr ein neues Land in den Fokus zu rücken. Im Jahr 2024 wird auf die Lage der türkischen Kolleginnen und Kollegen aufmerksam gemacht. Grund dafür ist unter anderem, dass immer noch Anwältinnen und Anwälte in Haft sitzen, wie zum Beispiel der Kollege Can Atalay, oder weiterhin Kollegen und Kolleginnen mit Repressalien rechnen müssen, wenn sie wider den Interessen des Staates Personen verteidigen.
Can Atalay wurde im Jahre 2022 im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten wegen Beihilfe zum Umsturzversuch zu 18 Jahren Haft verurteilt. Trotzdem hat er es geschafft, sich im Mai 2023 in der Türkei zum Abgeordneten wählen zu lassen. Obwohl das türkische Verfassungsgericht die Freilassung von Can Atalay anordnete und die Sache zur Verhandlung zurückverwies, hat der dann zuständige Strafsenat das Urteil des Verfassungsgerichts ignoriert und an der Verurteilung festgehalten. Mittlerweile hat Can Atalay seinen Abgeordnetenstatus verloren. Ein weiteres Beispiel für die Gefährlichkeit bei der Ausübung des Anwaltsberufs zeigt ein Fall aus dem Oktober 2023. Aufgrund eines anonymen telefonischen Hinweises wurden Rechtsanwältin Bilgi Topçu sowie die Kollegen Ceren Yilmaz und Fatih Gökçe als Mitglieder der progressiven Anwaltsvereinigung ÇHD festgenommen, ohne dass hierfür ein Grund bestand. Die Anwälte sind inzwischen wieder freigelassen worden. Der Kollege Ceren Yilmaz darf allerdings das Land nicht verlassen.
„Der Einsatz für die bedrohten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist auch ein Einsatz für den Rechtsstaat“
Spendenziel für die bedrohten Anwälte und Anwältinnen in der Türkei ist im Jahr 2024 die Nichtregierungsorganisation (NGO) Media and Law Association (MLSA). Der türkische Menschenrechtsanwalt Veysel Ok hat die Organisation gegründet.
Wer die MLSA ist und was sie unterstützt, hat der Gründer der MLSA und Rechtsanwalt Veysel Ok in einem Interview, dass er der Friedrich-Naumann-Stiftung am 5. Dezember 2022 gegeben hat, wie folgt beschrieben:
„Unsere Hauptaufgabe besteht darin, Journalistinnen und Journalisten, die attackiert werden und vor Gericht müssen, pro bono juristischen Beistand zu leisten. Wir vertreten sie sowohl in der Türkei als auch vor internationalen Gerichten. Derzeit haben wir mehr als 160 Klientinnen und Klienten, darunter Journalisten, Journalistinnen, Künstlerinnen, Aktivistinnen und Rechtsanwälte und Anwältinnen. Als einzige Organisation in der Türkei beobachten wir außerdem systematisch Verfahren. Dadurch überwachen wir fast alle Fälle von Meinungsfreiheit in der Türkei und erstellen regelmäßig Berichte über Verstöße gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Wir schicken diese Berichte an lokale und internationale Behörden und tragen dazu bei, dass die Probleme mit fairen Verfahren lösungsorientiert angegangen werden. Mit dem Projekt FreeWebTurkey kämpfen wir gegen die Internetzensur im Land und bemühen uns, die allgemeine Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Wir organisieren auch gezielte Schulungen, die sich an Journalistinnen und Journalisten sowie an Anwältinnen und Anwälte (wenden).“ Zitiert aus: Friedrich-Naumann-Stiftung am 5.12.2022, https://www.freiheit.org/de/tuerkei/veysel-ok.
Spendenbox auf dem DAT 2024 in Bielefeld
Auf dem Anwaltstag in Bielefeld gelang es erfreulicherweise, ohne dass eine besondere Veranstaltung zu diesem Thema stattfand, Spenden in Höhe von 1.397,00 Euro einzusammeln, über die sich MLSA außerordentlich gefreut hat. Der Einsatz für die bedrohten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist auch ein Einsatz für den Rechtsstaat.