Begrüssungsrede zum Berliner Anwaltsessen
Vom Vorsitzenden des Berliner Anwaltsvereins Uwe Freyschmidt
Meinungsvielfalt und die Freiheit, seine Meinung ohne Angst vor Sanktionen äußern zu können, ist – darüber brauchen wir als Juristen nicht zu diskutieren – eine wesentliche, schützenswerte Säule unserer Demokratie. Die Meinungsfreiheit lässt zunächst einmal alle Meinungen zu, gleich welchen Inhalts. Die kommunikative Entfaltung wird rechtlich nicht unterteilt in gute, etwa regierungsfreundliche, und schlechte, etwa regierungskritische und damit vermeintlich sanktionswürdige Äußerungen. Meinungen dürfen extrem sein, sie dürfen schlecht begründet sein, sie dürfen polarisieren, sie dürfen auch unsere Staatsvertreter aufs Schärfste kritisieren.
Uwe Freyschmidt | Rechtsanwalt | Fachanwalt für Strafrecht | Vorsitzender des Berliner Anwaltsvereins
Soweit die aktive Seite, die den Sendern einer Nachricht weitestgehende Meinungsfreiheit auf der Basis der Rechtsprechung des BVerfG zugesteht. Auf der anderen, der Empfängerseite, ist jedoch zweifellos festzustellen, dass Hass und Hetze in den sozialen Medien zugenommen haben. Viele empfinden das als nicht mehr hinnehmbar. Vor diesem Hintergrund gibt es nicht nur in Deutschland – sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern – eine wichtige Diskussion, wie dieser Entwicklung begegnet werden kann.
„Hass und Hetze sind keine juristisch greifbaren Kategorien und insoweit nicht per se illegal“
Das Problem dabei: Hass und Hetze sind keine juristisch greifbaren Kategorien und insoweit nicht per se illegal. Die Grenze der Erlaubtheit derartiger plakativer Meinungsäußerungen, auch wenn sie als Hassrede häufig schwer erträglich erscheinen, wird immer durch das Recht, insbesondere das Strafrecht, gezogen. Wir haben uns mithin immer zu fragen, ob eine Hassrede strafrechtlich relevante Inhalte enthält, sich etwas als strafbare Beleidigung, als Bedrohung, als Volksverhetzung oder als Belohnung oder Billigung von Straftaten darstellt. Erst wenn hasserfüllte Äußerungen zum Beispiel die persönliche Ehre als Teil der Personenwürde verletzen, greift das Strafrecht als Ultima Ratio ein.
Derart offensichtlich rechtswidrige Inhalte sind von den Anbietern sozialer Netzwerke nach den Regelungen des im Jahr 2017 in Kraft getretenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes nach einer Beschwerde innerhalb von 24 Stunden zu löschen, ansonsten drohen ihnen Bußgelder. Dabei stehen nach Angaben der Online-Plattformen Löschungen wegen Volksverhetzung und Beleidigung im Vordergrund.
Es wäre aus Gründen der rechtlichen Klarheit derartiger Regulierungen wünschenswert, wenn die Diskus sion über die Hassrede mit ihrer notwendigen Einordnung als Hasskriminalität und den entsprechenden Sanktions- und Reaktionsmöglichkeiten damit beendet wäre, sie nimmt aber – auch durch den Einfluss europäischer Vorgaben – offenbar wieder Fahrt auf. Denn in Europa ist seit dem 17. Februar 2024 der Digital Service Act (DSA) in Kraft getreten.
Der DSA sieht das Konzept der Meldung illegaler Rechtsinhalte über sogenannte Trusted Flagger vor. Bei den Trusted Flaggern soll es sich – nach der Konzeption des Gesetzgebers – um Organisationen mit besonderer Expertise in der Erkennung und Meldung illegaler Inhalte handeln. Diese Organisationen müssen nicht unabhängig sein, das heißt, sie können durchaus auch staatlicher Förderung unterliegen, wie etwa der erste in Deutschland benannte Trusted Flagger, die Jugendstiftung REspect aus Baden-Württemberg.
Wenn diese, in Deutschland von der Bundesnetzagentur als besonders vertrauenswürdig eingestuften, quasi staatlich-privaten Zensurinstanzen bestimmte Netzinhalte den Online-Plattformen zukünftig als illegal melden, haben die Plattformen die Meldungen der Trusted Flagger prioritär zu behandeln. Sie haben dann umgehend Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wobei die Löschung der gemeldeten Inhalte die häufigste Reaktion sein dürfte.
Das klingt oberflächlich betrachtet erst einmal gut. Als Juristen, die wir gewohnt sind, derartige Konzepte genauer zu hinterfragen, sollten wir uns bei der Beurteilung dieses staatlich gelenkten Meldesystems aber doch zumindest zwei Fragen stellen: Wer prüft auf Seiten der Trusted Flagger die Rechtswidrigkeit von Social-Media-Inhalten? Und: Nach welchen Maßstäben erfolgt die Prüfung?
„Als Juristen … sollten wir uns bei der Beurteilung … zwei Fragen stellen: Wer prüft auf Seiten der Trusted Flagger die Rechtswidrigkeit von Social-Media-Inhalten? Und: Nach welchen Maßstäben erfolgt die Prüfung?“
Zunächst zu den Maßstäben: Viele namhafte Juristen bezweifeln bereits, dass nur strafrechtlich relevante Inhalte gemeldet werden sollen. Anlass für diese Zweifel gab ein Statement, das Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, bei der Ernennung des ersten Trusted Flagger verlauten ließ. Er sagte: „Plattformen sind verpflichtet, auf Meldungen von Trusted Flaggern sofort zu reagieren. Illegale Inhalte, Hass und Fake News können sehr schnell und ohne bürokratische Hürden entfernt werden.“
Das war in mehrfacher Hinsicht unzutreffend. Denn zum einen ist die Verbreitung von „Fake News“ zumeist nicht rechtswidrig, diese Fälle unterfallen mithin gerade nicht dem Anwendungsbereich des DSA. Zum anderen entfalten längst nicht alle Hassreden strafrechtliche Relevanz. Insofern sind beide vom Präsidenten der Bundesnetzagentur genannten Beispiele – Fake News und Hassrede – per se gerade nicht geeignet, um eine Entfernung von den Online-Plattformen zu verursachen.
Bei dieser Sachlage gewinnt die zweite Frage, wer auf Seiten der Trusted Flagger eigentlich die strafrechtliche Relevanz von Netzinhalten prüft, besondere Relevanz. Haben die Trusted Flagger, so dürfen wir uns fragen, überhaupt das personelle Know-how, um die schwierige rechtliche Einordnung von hassgeprägten Kommentaren als strafrechtlich relevant vorzunehmen? Wird dort ein Team von erfahrenen Juristen vorgehalten, um diese Aufgabe schnell und sicher zu erfüllen? Gibt es diesbezüglich eine Qualitätssicherung, und nach welchen Kriterien wird sie durchgeführt? Ist die Auswahl der Trusted Flagger – die in Deutschland der Bundesnetzagentur obliegt – insoweit transparent nachvollziehbar? Mich würde interessieren, wie unsere europäischen Nachbarn mit diesen Fragen umgehen und ob sie darauf schon eine Antwort gefunden haben.
Ich komme zu meiner kurzen Conclusio: Hass und Hetze im Netz sind häufig „awful but lawful“. Das ist ohne Frage zu bedauern, sollte jedoch nicht zu einem Aufweichen der durch das Strafrecht gezogenen Grenzen im Rahmen des Trusted-Flagger-Meldesystems führen. Hoffen wir als Juristen, dass dieser einfache Gedanke im Lichte der Meinungsfreiheit auch zukünftig Beachtung findet.