Betreuung Version 2.023

Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Der Countdown läuft: Am 1. Januar 2023 tritt das neue Vormundschafts- und Betreuungsrecht in Kraft. Angesichts des Umfangs der Änderung mit allein 150 Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch erscheint es für jede Rechtsanwältin und jeden Rechtsanwalt sinnvoll, sich mit der Reform und den Auswirkungen zu befassen. Bei älter werdenden Mandanten und Gegnern werden Betreuungs- und sonstige Vorsorgefragen immer wieder in anderen Rechtsgebieten relevant und sind es damit nicht nur für Spezialisten im Vorsorgerecht.

Dr. Dietmar Kurze | Rechtsanwalt | Fachanwalt für Erbrecht und VorsorgeAnwalt | Autor des im Oktober 2022 im zerb-verlag erschienenen Werkes „Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts“
Exklusiv für Mitglieder | Heft 11/2022 | 71. Jahrgang

ÜBERBLICK

Alle Normen des Betreuung- und Vormundschaftsrechts werden neu formuliert und sortiert. Der Schwerpunkt liegt fortan auf dem Betreuungsrecht. Dieses verweist nicht mehr auf das Vormundschaftsrecht, sondern das Vormundschaftsrecht auf die Betreuungsvorschriften. Das ist eine Konsequenz des demografischen Wandels: Beim BGB-Gesetzgeber von 1900 standen noch die elternlosen Mündel im Vordergrund, heute sind es die unterstützungsbedürftigen, älteren Menschen, welche die Rechtspraxis in großer Zahl beschäftigen. Nicht nur systematisch, auch sprachlich wurden die Regelungen grundlegend überarbeitet. Viele Ungenauigkeiten und Lücken, die sich auch durch die Rechtsprechung gezeigt haben, wurden korrigiert bzw. geschlossen. Dazu wurde auch mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention der Blick noch weiter weg vom objektiven „Wohl“ des Betreuten hin zu seinen subjektiven „Wünschen“ gelenkt. Die Unterstützungspflicht des Betreuers für den Betreuten zur Verwirklichung dessen selbstbestimmten Lebens wird stärker betont.
Zur Vermeidung von Betreuungen und insofern auch zur Kosteneinsparung ist der Erforderlichkeitsgrundsatz bei der Einrichtung einer Betreuung noch stärker herausgearbeitet und betont worden. Durch eine sogenannte „erweiterte Unterstützung“ der Betreuungsbehörden sowie der verstärkten Einbeziehung von Sozialbehörden soll versucht werden, es gar nicht erst zu Betreuungen kommen zu lassen.
An die Person des Betreuers werden erhöhte Anforderungen gestellt und sie sollen besser beaufsichtigt werden. So sind ihre Berichtspflichten sehr viel detaillierter geregelt und zum Teil erweitert worden, etwa beim Vermögensbericht bei größeren Vermögen des Betreuten, ggf. auch mit einem Vier-Augen-Prinzip.
Neben den Änderungen im BGB wird das Betreuungsbehördengesetz ab- und ein Betreuungsorganisationsgesetz neu geschaffen, Regelungen u. a. in der ZPO, dem FamFG und den SGB angepasst und geändert.

PROFESSIONALISIERUNG

Für Berufsbetreuer wird der Einschnitt durch die Reform erheblich. Zum einen müssen sie sich in der Praxis darauf einstellen, dass sie deutlich mehr mit den Betreuten kommunizieren müssen, wenn sie es nicht schon bisher umfassend getan haben. Die Einbeziehung des Betreuten in Gespräche wird schon bei der Betreuungseinrichtung, auch beim Betreuungsgericht, sowie bei der Wunschermittlung betont. Ein Auskunftsrecht für Angehörige verpflichtet Betreuer, im Rahmen der Zumutbarkeit Auskünfte über die Lebensumstände des Betreuten zu geben, § 1822 BGB nF. Im Gegenzug soll den Betreuern die Arbeit erleichtert werden, indem einige Genehmigungspflichten zu sogenannten „Anzeigepflichten“ herabgestuft werden. Viele rechtsgeschäftliche Handlungen müssen dem Betreuungsgericht nur noch angezeigt und von diesem nicht mehr genehmigt werden. Das Betreuungsgericht hat dann die Möglichkeit der Kontrolle.

VORSORGEVOLLMACHT

Wie schon an anderer Stelle1Kurze, BAB 2020, 446. ausgeführt, waren die Vorsorgevollmachten – leider und trotz ihrer erheblichen Praxisrelevanz – bei der Reform nur ein Randthema. Hinsichtlich der Formalien hat sich bis auf die dazugehörige Normenbezifferung kaum etwas geändert. Entwertet wird die Beglaubigung durch Betreuungsbehörden, da diese nicht mehr transmortal wirksam sein soll.2Kurze, FamRZ 2022, 1934. Für den Fall eines Konfliktes ist die Kontrollbetreuung nun umfassend und genau in den §§ 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3 BGB nF mit der Möglichkeit von erweiterten Ermittlungsbefugnissen für den Kontrollbetreuer geregelt.3Müller-Engels, FamRZ 2021, 645; Kurze, FamRZ 2022, 1934. Ein Widerruf durch einen Betreuer ist im Rahmen seines Aufgabenkreises ohne ausdrückliche Zuweisung eines neuen Aufgabenkreises zulässig, benötigt aber in Zukunft die gerichtliche Genehmigung. Für die Zwischenzeit ist eine Suspendierung der Vorsorgevollmacht möglich, also eine Untersagung der Nutzung der Vorsorgevollmacht durch das Betreuungsgericht, verbunden mit einer Herausgabepflicht der Urkunde an den Betreuer. So wird ein meist nicht mehr zu reparierender Widerruf vermieden.
Hinsichtlich der Patientenverfügung ist eine bemerkenswerte Verbesserung die Möglichkeit, sie auch ohne Vorsorgevollmacht im Zentralen Vorsorgeregister zu registrieren. Zudem können Ärzte nun selbst Vorsorgeverfügungen im ZVR abfragen.

EHEGATTENVERTRETUNG

Das gesetzliche Ehegattenvertretungsrecht beruft bei den meisten Juristen ein Gruseln hervor.4Kurze, BAB 2020, 446.

Es ist aber beschlossen und wird kommen, sodass eine Befassung mit ihm notwendig ist.5Lugani, MedR 2022, 91. In einem komplexen und wahrscheinlich fehleranfälligen Verfahren kann festgestellt werden, dass ein Ehegatte den anderen, der aufgrund von Krankheit oder Bewusstlosigkeit nicht äußerungsfähig ist, vertreten darf. Gemäß § 1358 BGB nF ist eine Vertretung über einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten in Gesundheitsangelegenheiten sowie bei dazugehörigen zivilrechtlichen Fragen möglich. Eine bekannte Ablehnung des zu vertretenen Ehegatten, insbesondere durch einen ins ZVR eintragbaren Widerspruch sowie eine Vorsorgevollmacht oder Betreuung, hindern diese Vertretung. Im Detail ist vieles unklar.

DER BETREUTE IM PROZESS

Kaum zu vermeiden ist in der anwaltlichen Praxis, in einem gerichtlichen Verfahren mit der Betreuung eines Beteiligten konfrontiert zu werden. Dazu sind die neuen bzw. geänderten §§ 53, 170a ZPO zu beachten. Der Betreute ist nicht mehr automatisch prozessunfähig. In einem ersten Schritt gelten die allgemeinen Regeln, ist er also bei Geschäftsfähigkeit und ohne Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes prozessfähig. Allerdings kann ein Betreuer mit entsprechendem Aufgabenkreis den Prozess übernehmen und den Betreuten mit einer „Ausschlusserklärung“ verdrängen. Ob diese Regelung so auf Dauer Bestand haben wird, bleibt abzuwarten, scheint sie doch im proklamierten Lichte der Reform mit ihrer Betonung der Begleitung statt Bevormundung unpassend.

  • 1
    Kurze, BAB 2020, 446.
  • 2
    Kurze, FamRZ 2022, 1934.
  • 3
    Müller-Engels, FamRZ 2021, 645; Kurze, FamRZ 2022, 1934.
  • 4
    Kurze, BAB 2020, 446.
  • 5
    Lugani, MedR 2022, 91.