Bewertung von Nießbrauchsimmobilien

Wirtschaftliche Auswirkungen und Bewertungsmethoden aus Sicht der Immobilienbewertung

Der Nießbrauch stellt ein bedeutendes Rechtsinstitut dar, das sowohl in erbrechtlichen als auch in familienrechtlichen und immobilienwirtschaftlichen Kontexten eine zentrale Rolle spielt. Dabei beeinflusst das Nießbrauchsrecht maßgeblich den Verkehrswert einer Immobilie, da es die Nutzungsmöglichkeiten des Eigentümers einschränkt. Eine präzise Bewertung ist insbesondere in der anwaltlichen Praxis von hoher Relevanz, da sie Auswirkungen auf Vermögensauseinandersetzungen, Schenkungen oder gerichtliche Auseinandersetzungen hat.

Katharina Heid, M.Sc. | Geschäftsführerin der Heid Immobilienbewertung & Immobiliengutachten sowie Sachverständigen GmbH | Sachverständige für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken | Personenzertifiziert nach DIN EN ISO 17024 | www.heidimmobilienbewertung.de

„Das Nießbrauchsrecht beeinflusst maßgeblich den Verkehrswert einer Immobilie, da es die Nutzungsmöglichkeiten des Eigentümers einschränkt“

METHODEN ZUR BEWERTUNG DES NIESSBRAUCHS

In der Immobilienbewertung existieren verschiedene Ansätze, um den Einfluss eines Nießbrauchs auf den Wert einer Immobilie zu bestimmen. Die Wahl des geeigneten Bewertungsverfahrens hängt von der Art der Immobilie ab. Die Wertermittlungsrichtlinien (WertR 2006) regelten die Verfahren zur Immobilienbewertung in Deutschland und dienten als Ergänzung zur Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV). 2021 wurden sie jedoch weitgehend durch die ImmoWertV 2021 ersetzt. Da diese im Hinblick auf die Bewertung des Nießbrauchs keine konkreten Handlungsempfehlungen enthält, wird die WertR weiterhin als Bewertungsgrundlage herangezogen. Hier werden zwei unterschiedliche Methoden beschrieben, welche im Folgenden konkreter erläutert werden:

1. Ertragswertverfahren

Das Ertragswertverfahren wird für Renditeobjekte verwendet, bei denen die Erträge eine maßgebliche Rolle spielen. Es wird sowohl für Mehrfamilienhäuser als auch Eigentumswohnungen verwendet. Je nach Nutzungsart können auch gewerblich genutzte Objekte im Ertragswert berechnet werden. Der Wert des Nießbrauchs wird hier aus den entgangenen Mieteinnahmen berechnet, die der Eigentümer ohne das Nießbrauchsrecht erzielen könnte. Dabei werden die nachhaltigen Erträge mit einem Kapitalisierungsfaktor abgezinst. Der Kapitalisierungsfaktor ergibt sich aus der Restnutzungsdauer des Nießbrauchs (bestimmt durch die Lebenserwartung des Berechtigten) sowie dem gewählten Kapitalisierungszinssatz. Der Vorteil in dieser Bewertungsmethode liegt darin, dass zunächst ein unbelasteter Verkehrswert ermittelt wird, welcher im Anschluss um den Wert des Nießbrauchs reduziert wird. Die Methode eignet sich daher auch für eine isolierte Berechnung des Nießbrauchs ohne Ermittlung eines Verkehrswertes. Diese kann bei Löschung des Rechts aus dem Grundbuch als Grundlage einer Entschädigungszahlung relevant sein.

2. Sachwertverfahren

Das Sachwertverfahren wird angewendet, wenn es sich um eigengenutzte Immobilien handelt, bei denen üblicherweise direkter Ertrag erzielt wird. Dies sind Ein- und Zweifamilienhäuser. Bei der Wahl des Wertermittlungsverfahrens ist allein die Zuordnung nach der typischen Nutzung eines durchschnittlichen Marktteilnehmers ausschlaggebend. Auch ein vermietetes Einfamilienhaus wäre demnach im Sachwertverfahren zu bewerten, da der Markt dieses größtenteils selbst nutzen würde. Hier wird der Wert des Nießbrauchs als Wertminderung der entgangenen Nutzungsmöglichkeit betrachtet. Dies bedeutet, dass die Berechnung auf Basis einer um die Dauer des Nießbrauchs reduzierten Restnutzungsdauer der Immobilie basiert. Es wird ein hypothetischer Wert nach Ablauf des Nießbrauchs ermittelt, um die Zeit, die die Immobilie vom Eigentümer nicht genutzt werden kann, in Abzug zu bringen. In beiden Methoden kann der Abschlag für den Nießbrauch je nach Vertragsgestaltung unterschiedlich hoch ausfallen. Neben dem entgangenen Nutzen können zusätzliche Kosten vom Eigentümer zu tragen sein, welche sich ebenfalls wertmindernd auf die Immobilie auswirken.

EINFLUSSFAKTOREN AUF DEN WERT DES NIESSBRAUCHS

In der Bewertung des Rechts gibt es eine Vielzahl von Parametern, die den Wert des Nießbrauchs erheblich beeinflussen können. Diese sind unter anderem:

RESTLEBENSDAUER DES BERECHTIGTEN

Da der Nießbrauch oft lebenslang gewährt wird, spielt die Lebenserwartung des Berechtigten eine entscheidende Rolle. Sie wird anhand von Sterbetafeln ermittelt und bestimmt die Laufzeit des Rechts, die wiederum in die Kapitalisierung der Werte eingeht. Ist der Nießbrauch für mehrere Personen eingetragen, so richtet sich die Wertminderung nach der Person, die die längste Restlebenserwartung hat.

KAPITALISIERUNGSZINSSATZ

Der Kapitalisierungszinssatz ist ein wesentlicher Stellhebel in der Bewertung. Ein niedriger Zinssatz führt zu einem höheren Wert des Nießbrauchs, während ein höherer Zinssatz die Barwerte reduziert. Er richtet sich nach der Marktlage und der wirtschaftlichen Situation.

VERTRAGSGESTALTUNG UND NUTZUNGSEINSCHRÄNKUNGEN

Die individuellen Vertragsbedingungen können den Wert erheblich beeinflussen. Dies sind in den meisten Fällen Verpflichtungen zur Instandhaltung. Darüber hinaus können Regelungen zur häuslichen Pflege oder Bestimmungen zu Verhaltensweisen der Begünstigten eingearbeitet werden. Es können Gründe für das Aufheben eines Nießbrauchs z.B. im Falle einer Scheidung beschrieben werden. Bei entsprechender Ausgestaltung der vertraglichen Details können die Belastungen des Nießbrauchs erheblich erhöht werden. Dies kann unter Umständen gewünscht sein, insbesondere dann, wenn es sich um eine Schenkung handelt und man nach Abzügen des Nießbrauchs unter der Freibetragsgrenze bleibt. Da das Recht jedoch im Grundbuch eingetragen ist und nur durch Zustimmung des Niesbrauchnehmers wieder gelöscht werden kann, sollten im Vorfeld immer alle Szenarien über die Dauer des Nießbrauchs hinweg bedacht werden. In der Praxis sehen wir häufig, dass sich die Umstände innerhalb von 20 Jahren deutlich ändern können und das, was anfangs sinnvoll war, nur eine große Last darstellt. Daher kann man einen Nießbrauch auch nur befristet eintragen. Dadurch reduziert sich die Belastung des Rechts.

ALLGEMEINE SCHLECHTERE MARKTGÄNGIGKEIT

Da das Nießbrauchrecht grundbuchrechtlich abgesichert ist, hat der Nießbrauch einen direkten Einfluss auf die Beleihbarkeit einer Immobilie. Für gewöhnlich ist das Recht erstrangig eingetragen bzw. kann nicht im Zuge einer Zwangsversteigerung gelöscht werden. Dadurch verschlechtern sich die Chancen auf einen Kredit für eine Immobilie mit Nießbrauch erheblich. Selbst wenn ein solcher gewährt wird, geschieht dies meist unter schlechteren Konditionen.

„Da das Nießbrauchrecht grundbuchrechtlich abgesichert ist, hat der Nießbrauch einen direkten Einfluss auf die Beleihbarkeit einer Immobilie“

Dieser Umstand verschlechtert die allgemeine Marktgängigkeit von Nießbrauchimmobilien erheblich, weshalb in der Regel zusätzlich zu entgangenen Mieten bzw. Nutzung ein weiterer Abschlag für die schlechte Marktgängigkeit gewährt wird. Auf dem freien Markt findet man solche Immobilien daher fast nie, da sie nahezu unverkäuflich sind. In der Regel finden Transaktionen mit Nießbrauch innerfamiliär statt, was jedoch nicht bedeutet, dass hier die Wertfeststellung weniger wichtig ist. In der Praxis sehen wir die meisten Transaktionen mit Nießbrauch, um Erbregelungen vorwegzunehmen und der vererbenden Generation weiter Rechtssicherheit zu gewährleisten. Gerade, wenn es sich um eine schwierige familiäre Konstellation handelt, ist eine fundierte Dokumentation der Werte unumgänglich.

FAZIT

Die Bewertung des Nießbrauchs ist ein komplexer Vorgang, der eine detaillierte Analyse aller relevanten Faktoren erfordert. Die Wahl des geeigneten Bewertungsverfahrens hängt von der Art der Immobilie, der Nutzung und der Vertragsgestaltung ab. Neben rechnerischen Methoden wie dem Ertragswert- oder Sachwertverfahren müssen auch individuelle Gegebenheiten berücksichtigt werden, um eine fundierte und rechtssichere Bewertung zu gewährleisten. Anwälte, die mit der Bewertung von Nießbrauchsrechten befasst sind, sollten sich daher eng mit Immobilienbewertungssachverständigen abstimmen, um realistische und belastbare Werte zu erhalten.

Heft 05 | 2025 | 74. Jahrgang