Bilanz des 31. Karlsbader Juristentages

Das Treffen im Wandel

Unmittelbar nach der Wende entstand im Jahr 1991 die Idee, in dem wunderschönen Karlsbad, wo auch Goethe gekurt und das Heilwasser gekostet hat, ein jährliches Treffen von tschechischen, slowakischen, österreichischen und auch deutschen Juristen zu veranstalten. Im Hintergrund stand der Gedanke, die sich in Tschechien und der Slowakei neu erfindende freiheitlich-demokratische und später auch europäische Rechtsordnung in Dialogforen der dortigen Anwaltschaft, aber auch der Richterschaft näherzubringen. Es galt zu Beginn, ihr in festen Schablonen erstarrtes juristisches Denken im wahrsten Sinn des Wortes zu mobilisieren. Bereits eine an den Geboten von Treu und Glauben festmachende Judikatur war für dieses Denken und juristische Argumentieren ein Gräuel, ein sich immer wieder wandelndes, sich gleichsam neu erfindendes Recht, geprägt vor allem von den Präjudizien der Obersten Gerichte und inzwischen auch des EuGH, war schlicht nicht vorstellbar.

Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen | Rechtsanwalt | Lohmar

„Eine Rechtskultur auf der Höhe der Zeit“

Jetzt, nachdem der „Karlsbader Juristentag“ praktisch in die Jahre gekommen ist, hat sich unendlich viel geändert: Das Programm eines Juristentages unterscheidet sich, nimmt man den 31. „Karlsbader Juristentag“ als Maßstab, in nichts von anderen vergleichbaren internationalen Kongressen: Es herrscht der Dialog der Rechtskulturen, geprägt auch, das muss man hinzusetzen, durch ein seit Jahren höchst bewährtes Dolmetscherteam, welches die Simultanübersetzung mustergültig gewährleistet. Es herrscht aber vor allem auch – und das ist immer das Besondere in den letzten beiden Jahrzehnten – eine intensive Debatte über neue und neueste Fragen des europäischen Rechts und dessen Transformation, beeinflusst maßgeblich von der unermüdlich aktiven ehemaligen tschechischen Richterin am EuGH, Frau Pelikanova. Allein diese Feststellung ist bereits nachdrücklicher Beleg dafür, dass der Rechtsalltag sich in Tschechien und in der Slowakei in nichts von dem unterscheidet, was in anderen europäischen Ländern anzutreffen ist: Eine Rechtskultur auf der Höhe der Zeit.

Der vom 13.–15. Juni durchgeführte diesjährige „Karlsbader Juristentag“ war wieder mit mehr als 120 Teilnehmern sehr gut besucht. Um einen kleinen Eindruck in die europäische Agenda zu werfen, sei dies hervorgehoben. Die Rechtsprobleme der künstlichen Intelligenz beherrschten die Szene: So etwa ausweislich der Programmfolge „Künstliche Intelligenz und Urheberrecht“ – ein nicht nur in Tschechien sehr heißes Eisen. Oder: „AI und Anwaltstätigkeit“ – das hätte auch auf jedem deutschen Forum gute Resonanz nach sich gezogen. Oder: „AI und die Revolution im Recht und in der Anwaltstätigkeit“. Schließlich auch und ganz notwendig: „EU-Gesetzgebung und AI“. Immer war die Debatte kundig und engagiert.

Die auswärtigen Referenten, aus Österreich und aus Deutschland angereist, widmeten sich im Kern auch europarechtlich konnotierten Themen, so etwa Prof. Dr. Jürgen Rassi, der Vizepräsident des österreichischen Obersten Gerichtshofs: „Kollektive Rechtsdurchsetzung und Massenklagen“. Danach sprach Prof. Dr. Ansgar Staudinger, Uni Bielefeld, über „Aktuelles zur Brüssel Ia- VO“, und der Verfasser dieses Berichts nahm sich des Themas der „Vertragssanktionen im deutschen AGBRecht“ an. Die sich daran anschließende Diskussion war eindrucksvoll.

Doch der breit gespannte Reigen aktueller Themen ging weiter: Der tschechische Vertreter am EuG, Herr Dr. David Petrlik Ph.D., sprach über „Digitalplattformen und Wettbewerb“ – ein höchst spannendes Thema, dem dann ein Referat folgte, welches einer „kritischen Darstellung des Digital Market Act in seiner praktischen Anwendung“ gewidmet war. Abgeschlossen wurde diese Sequenz durch ein Referat, das sich „Verträgen mit Digitalwährung unter besonderer Berücksichtigung des Verbraucherrechts“ zuwandte.

Damit soll die Auffächerung des noch wesentlich umfangreicheren Programms abgeschlossen sein. Doch dies zum Schluss: Seit Jahren sponsert die „Arbeitsgemeinschaft Internationales Wirtschaftsrecht“ den „Karlsbader Juristentag“ höchst großzügig. Dafür dankt der Verfasser als Präsident dieses Kongresses sehr herzlich, nicht ohne hinzuzusetzen: Der diesjährige „Internationale Wirtschaftsrechtstag“ – 7. und 8. November in Berlin (Hotel Mövenpick) – zeigt ein nicht minder hochwertiges und auch hochkarätiges Programm, dessen Besuch sich mit Sicherheit lohnt – vielleicht auch ein Besuch im Juni nächsten Jahres in Karlsbad.

Heft 09 | 2024 | 73. Jahrgang