„Bloß nicht der Vater!“
Elterliche Sorge bei Versterben eines Elternteils
1. EINLEITUNG
Die Frage, wer die Sorge für das eigene Kind erhalten soll (oder auch gerade nicht), wenn sie selbst nicht mehr ausgeübt werden kann, bewegt viele Eltern. Besonders emotional ist dieses Problem oft für getrenntlebende und ggf. geschiedene Eltern. In der Beratung ist dann von einer alleinerziehenden Mutter zu hören: „Bloß nicht der Vater! Der darf auf keinen Fall über mein Kind bestimmen, wenn mir etwas zustößt.“ Und ganz klar: Von Vätern ist dies entsprechend zu vernehmen.


Gabriele Linde | Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht | Kanzlei Kärgel de Maizière & Partner | Sprecherin des AK Familienrecht im BAV
Dr. Dietmar Kurze | Rechtsanwalt | Fachanwalt für Erbrecht und Vorsorgeanwalt | Kanzlei Kärgel de Maizière & Partner | Sprecher des AK Erbrecht im BAV
„Besonders emotional ist dieses Problem oft für getrenntlebende und geschiedene Eltern“
Was passiert also, wenn ein Elternteil verstirbt, mit der elterlichen Sorge? Kann vorgesorgt werden und wenn Ja, wie? Dies soll im Folgenden dargestellt werden. Dabei wird auch auf Änderungen durch die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zum 1.1.2023 eingegangen.1 Ausführlich: Kurze, Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, 2023.
2. ELTERLICHE SORGE ZU LEBZEITEN DER ELTERN
Die elterliche Sorge zu Lebzeiten der Eltern richtet sich nach den §§ 1626 ff. BGB. Grundsätzlich haben verheiratete Eltern die elterliche Sorge gemeinsam inne (als Mutter gem. § 1591 BGB, als Vater gem. § 1592 ff. BGB). Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, kann die gemeinsame elterliche Sorge nach § 1626a BGB begründet werden, und zwar konsensual durch eine Sorgeerklärung (vgl. §§ 1626b ff. BGB) oder die spätere Eheschließung der Eltern bzw. weniger konsensual durch familiengerichtlichen Beschluss. Zuvor hat die Mutter die alleinige elterliche Sorge, § 1626a Abs. 3 BGB. Zu einer Übertragung kommt es beim Antrag eines Elternteils, wenn es dem Kindeswohl nicht widerspricht, § 1626a Abs. 2 BGB (sog. negative Kindeswohlprüfung).
3. ELTERLICHE SORGE BEIM VERSTERBEN EINES ELTERNTEILS
Liegt die elterliche Sorge bei beiden Eltern und verstirbt ein Elternteil, so steht die elterliche Sorge dem überlebenden Elternteil allein zu, § 1680 Abs. 1 BGB. Wenn gemäß § 1626a Abs. 3 BGB oder § 1671 BGB nur ein Elternteil sorgeberechtigt war und verstirbt, ist nach § 1680 Abs. 2 BGB dem überlebenden Elternteil vom Familiengericht die Sorge zu übertragen, wenn es „dem Wohl des Kindes nicht widerspricht“, also im Regelfall.
Durch § 1682 BGB gibt es die Möglichkeit, dass das Familiengericht eine sogenannte „Verbleibensanordnung“ trifft.2Vgl. Osthold, FamRZ 2017, 1643.Es geht um Situationen, bei denen das Kind bei einem Elternteil und dessen (neuen) Ehegatten lebt, der kein Elternteil ist. Verstirbt dieses Elternteil und möchte das andere Elternteil das Kind zu sich nehmen, kann das Familiengericht bei Gefährdung des Wohls des Kindes seinen Verbleib bei dem Ehegatten des verstorbenen Elternteils anordnen.
4. ELTERLICHE SORGE BEI ENTFALLEN BEIDER ELTERNTEILE
Entfallen beide Eltern oder erhält der überlebende Elternteil die Sorge nicht, so erhält ein Minderjähriger einen Vormund, § 1773 BGB. Die Anordnung erfolgt von Amts wegen und kann auch schon vor der Geburt geschehen, § 1773 Abs. 2 BGB. Ein Ehepaar kann gemeinschaftlich zum Vormund bestellt werden; im Übrigen soll von der Benennung mehrerer Vormünder abgesehen und für Geschwister nur ein gemeinsamer Vormund ernannt werden, § 1775 Abs. 2 BGB.
Einer Benennung der Eltern hat das Familiengericht zu folgen (§ 1782 BGB, s.u.). Ohne eine Benennung wählt das Gericht nach Anhörung des Jugendamtes und ggf. auch von Verwandten und Verschwägerten des Mündels einen Vormund aus und berücksichtigt dabei Kriterien wie den mutmaßlichen Willen der Eltern, die persönliche Bindung und Verwandtschaft,3Vgl. BVerfG, NJW 2014, 2853. § 1779 BGB. Dass der Wille des Kindes ebenfalls zu berücksichtigen ist, war schon durch die Rechtsprechung anerkannt4Dazu: BVerfG, NZFam 2014, 1043. und ist durch die Reform zum 1.1.2023 sogar an erster Stelle in das Gesetz aufgenommen worden, § 1779 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
5. VORMUNDBENENNUNG
Durch die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zum 1.1.2023 wurden die Regelungen zur Vormundbestimmung neu geordnet, §§ 1778 ff. BGB.[mfnVgl. auch Ott, MittBayNot 2022, 533.[/mfn] Inhaltlich haben sich kaum Änderungen ergeben. Bedauerlich ist, dass die Möglichkeit der Vormundbenennung durch die Eltern gemäß § 1782 BGB nur für den Fall des Todes besteht, nicht bei einem Entzug der Sorge.
Als unpassend empfinden Mandanten immer wieder die Regelung des § 1782 Abs. 2 BGB, nach welcher die Verfügung des zuletzt verstorbenen Elternteils maßgeblich ist.5Kritisch ebenso: Siegel/Kraus, DNotZ 2022, 906, 915; Müller-Engels, ErbR 2022, 666, 667. Das kann zu Zufallsergebnissen führen und setzt den Willen des einen Elternteils über den des anderen. Zwar wird der zuletzt versterbende Elternteil aktuellere Kenntnisse haben. Unter Umständen berücksichtigt er aber nicht die Bindungen des Kindes, welche aus der Verwandtschaft mit dem erstverstorbenen Elternteil hervorgingen.
Die Form ist gemäß § 1782 Abs. 1 BGB die einer letztwilligen Verfügung. Auch bei einer gemeinschaftlichen Verfügung liegt Einseitigkeit vor und damit keine Bindungswirkung. Der überlebende Teil kann also diesbezüglich neu verfügen.6Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, 2. Aufl., Rn. 105 ff. Bei nicht verheirateten Paaren ist zu beachten, dass diese ohne einen Notar keine gemeinschaftliche Vormundbestimmung treffen können, da auch kein gemeinschaftliches Testament möglich ist. Eine solche Verfügung wäre – zumindest für den nur unterzeichnenden Teil – unwirksam. Es sind einzelne Verfügungen zu fertigen.
Die Formulierung ist grundsätzlich nicht problematisch.7Vgl. Ott, BWNotZ 2014, 138, 144 f. Allerdings werden selbst unter Juristen verschiedene Bezeichnungen gebraucht, welche an die Begrifflichkeit der elterlichen Sorge anknüpfen, wie Sorgerechtserklärung oder -bestimmung. Selbst wenn diese Bezeichnung in der Beratung zu Gunsten der Verständlichkeit genutzt werden mag, sollte die Überschrift zumindest den Wortteil „Vormund“ enthalten, also Vormundbenennung oder -bestimmung, wie er im Gesetz zu finden ist.
Eine einfache Formulierung, welche auch leicht in ein Testament integriert werden kann,8 Mit Testamentsvollstreckungsanordnung: Kirchner, MittBayNot 1997, 203, 207. 10 Weiterführend: Müller, ZEV 2012, 298. wäre: „Als Vormund für meine beim Erbfall minderjährigen Kinder benenne ich Herrn/Frau …“.
Eine Begründung ist nicht vorgeschrieben. Sie kann aber sinnvoll sein, insbesondere wenn von bei oberflächlicher Betrachtung nahestehenden Personen abgesehen wird, und trotzdem das Gericht grundsätzlich an den Vorschlag gebunden ist, was gemäß § 1784 BGB auch für den Ausschluss einer bestimmten Person gilt.10 In der Begründung sollte auf die Auswahlkriterien eingegangen werden, welche für das Gericht nach den gesetzlichen Vorgaben (§ 1779 BGB) gelten würden: Kenntnisse und Erfahrungen, persönliche Eigenschaften, persönliche Verhältnisse und Vermögenslage sowie Fähigkeit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen an der Erziehung beteiligten Personen.
6. ABGRENZUNG: BESTIMMUNG ZUR VERMÖGENSSORGE
Ein Erblasser kann aber die Vermögenssorge gemäß § 1638 BGB durch letztwillige Verfügung den Eltern oder einem Elternteil entziehen.9Gemmer, ErbBstg 2022, 90; Frenz, DNotZ 1995, 908, 911 f. Dieses Mittel wird gewählt, wenn dem Elternteil die Vermögenssorge nicht zugetraut wird oder Misstrauen besteht, etwa weil der verfügende Elternteil mit dem anderen nicht (mehr) zusammenlebt.10Vgl. Damrau, ZEV 2001, 176.Auch bei Zuwendungen durch Großeltern besteht von diesen oft das Bedürfnis, dass die Vermögenssorge nur bei ihrem Kind als Elternteil des Enkels liegen soll, auch wenn die Eltern (noch) nicht getrennt sind.
Ist Testamentsvollstreckung durch eine Person angeordnet, die kein Elternteil ist, verbleiben die Sorge und die Möglichkeit, die Rechte des Kindes dem Testamentsvollstrecker gegenüber geltend zu machen, bei den Eltern. Soll ein (verbleibendes) Elternteil also vollständig ausgeschlossen werden, so ist zusätzlich zu der Testamentsvollstreckung auch ein Entzug der Vermögenssorge anzuordnen.11Zur Kombination mit der Testamentsvollstreckung: Damrau, Rn. 216.
„Gemäß § 1639 BGB kann die schenkende oder vererbende Person den Eltern Vorgaben zur Verwaltung machen“
Gemäß § 1639 BGB kann die schenkende oder vererbende Person den Eltern Vorgaben zur Verwaltung machen, die nur unter engen Voraussetzungen aufgehoben werden können (§§ 1639 Abs. 2, 1837 Abs. 2 BGB). Das hört sich nach einem interessanten Gestaltungsmittel an. Allerdings fehlt es an einer sicheren Kontrolle, wenn der Zuwendende sie nicht mehr ausüben kann. Eine zusätzliche oder alternative Testamentsvollstreckung durch eine dritte Person ist deutlich sicherer.12Formulierungen bei Kurze, EE 2021, 173.
7. ABGRENZUNG: SORGERECHTSVOLLMACHT
Abzugrenzen ist die Vormundbenennung von der sogenannten „Sorgerechtsvollmacht“. Diese beinhaltet die Befugnis der Sorgeausübung, ohne sie aufzugeben. Die elterliche Sorge ist zwar höchstpersönlich, eine Übertragung der Ausübung soll aber zulässig sein. Das Mittel wird öfter benutzt, damit beispielsweise psychisch erkrankten Eltern die Sorge nicht (ganz) entzogen werden muss, aber Pflegepersonen oder dem Jugendamt die Ausübung ermöglicht wird.13Hoffmann, JAmt 2023, 370 (Teil 1), 442 (Teil 2); Rake, NZFam 2022, 344 mit Bezug zu BGH: NZFam 2020, 578; Prinz, NZFam 2020, 747.Problematisch bleibt die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs.
- 1Ausführlich: Kurze, Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, 2023.
- 2Vgl. Osthold, FamRZ 2017, 1643.
- 3Vgl. BVerfG, NJW 2014, 2853.
- 4Dazu: BVerfG, NZFam 2014, 1043.
- 5Kritisch ebenso: Siegel/Kraus, DNotZ 2022, 906, 915; Müller-Engels, ErbR 2022, 666, 667.
- 6Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, 2. Aufl., Rn. 105 ff.
- 7Vgl. Ott, BWNotZ 2014, 138, 144 f.
- 8Mit Testamentsvollstreckungsanordnung: Kirchner, MittBayNot 1997, 203, 207. 10 Weiterführend: Müller, ZEV 2012, 298.
- 9Gemmer, ErbBstg 2022, 90; Frenz, DNotZ 1995, 908, 911 f.
- 10Vgl. Damrau, ZEV 2001, 176.
- 11Zur Kombination mit der Testamentsvollstreckung: Damrau, Rn. 216.
- 12Formulierungen bei Kurze, EE 2021, 173.
- 13Hoffmann, JAmt 2023, 370 (Teil 1), 442 (Teil 2); Rake, NZFam 2022, 344 mit Bezug zu BGH: NZFam 2020, 578; Prinz, NZFam 2020, 747.