„Das Leben ist nicht schwarz oder weiß, sondern in der Regel grau“

Interview mit dem Bürger- und Polizeibeauftragten
Dr. Alexander Oerke.

Am 9. Mai 2023 trafen wir (Frau Referendarin Korkmaz und RA Röth) Herrn Dr. Alexander Oerke, den Bürgerund Polizeibeauftragten des Landes Berlin, für ein Gespräch in seinen Büroräumen in Alt-Moabit. Er gewährte uns einen Einblick in den Ablauf eines Verfahrens bei Konsultierung der Ombudsstelle sowie in seine Aufgaben und Ziele als Beauftragter und schilderte uns einige der Herausforderungen, die er seit Dienstantritt am 1. August 2022 zu bewältigen hatte.

Thomas Röth | Rechtsanwalt | Fachanwalt für Arbeitsrecht, Miet- und Wohnungseigentumsrecht sowie Strafrecht, Mediator, Richter am Anwaltsgericht Berlin, Avvocato in Italien (Anwaltskammer zu Siena, Toskana), Master of Science Studiengang Forensic Sciences and Engineering | Rechtsanwaltssozietät Liebert & Röth 

ZUR PERSON

Bevor er sein Amt als Bürger- und Polizeibeauftragter des Landes Berlin aufnahm, ging Herr Dr. Oerke, der seit 1992 in der Justiz tätig ist, seiner Berufung als Verwaltungsrichter nach. Viel Behördenerfahrung bringt er zudem aus seinen Referatsleitertätigkeiten in den Bereichen IT und Organisation in Ministerien mit.
Nach etwa 30 Jahren Tätigkeit, zuletzt als Berufungsrichter am OVG Berlin-Brandenburg (dort, also in der zweiten Instanz, läuft alles überwiegend schriftlich ab), suchte er eine neue Herausforderung und bewarb sich im September 2020 für die Beauftragtenstelle; im Juni 2021 wurde er sodann auf sieben Jahre gewählt.

ZUR OMBUDSSTELLE

Mit der Errichtung der Stelle des Bürger- und Polizeibeauftragten wurde eine neutrale Institution geschaffen, die sowohl das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zu den Behörden als auch zur Polizei stärken soll. Im Gesetz über den Bürger- und Polizeibeauftragten des Landes Berlin (BeBüPolG Bln) vom 2. Dezember 2020 sind die Aufgaben des Bürger-und Polizeibeauftragten folgendermaßen geregelt:

„§ 1 Aufgaben des oder der Bürger- und Polizeibeauftragten

(1) Der oder die Bürger- und Polizeibeauftragte hat als Bürgerbeauftragter oder Bürgerbeauftragte die Aufgabe, im Rahmen des parlamentarischen Kontrollrechts des Abgeordnetenhauses die Stellung des Bürgers oder der Bürgerin im Verkehr mit den Behörden zu stärken. Er oder sie unterstützt dabei die Arbeit des Petitionsausschusses des Abgeordnetenhauses.

(2) Der oder die Bürger- und Polizeibeauftragte hat als Polizeibeauftragter oder Polizeibeauftragte die Aufgabe, das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Bürgern und Bürgerinnen und Polizei zu stärken. Er oder sie unterstützt die Bürger und Bürgerinnen im Dialog mit der Polizei und wirkt darauf hin, dass begründeten Beschwerden abgeholfen wird. Ihm oder ihr obliegt auch die Befassung mit Vorgängen aus dem innerpolizeilichen Bereich, die an ihn oder sie im Rahmen einer Eingabe oder durch sonstige Hinweise herangetragen werden. Der oder die Polizeibeauftragte nimmt seine oder ihre Aufgabe als Hilfsorgan des Abgeordnetenhauses bei der Ausübung parlamentarischer Kontrolle wahr.“

Mit Unterstützung der Landesredaktion bei der Senatskanzlei konnte der Beauftragte am 5. August 2022 einen eigenen Internetauftritt („www.berlin.de/buergerpolizeibeauftragter“) verwirklichen und sodann damit beginnen, die ersten Beschwerden zu bearbeiten. Die Aufnahme seines Amtes als Bürger- und Polizeibeauftragter hat ihn besonders zu Beginn mit großen Herausforderungen konfrontiert und ein hohes Maß an Eigeninitiative gefordert.
Bevor er zum 1. April 2023 Mitarbeiter an seine Seite bekam, war er allein tätig; seine Büroräume in Alt-Moabit konnte er zum 4. Oktober 2022 beziehen.
Erst nachdem durch das am 23. Februar 2023 in Kraft getretene Gesetz „zur Änderung des Bürger- und Polizeibeauftragtengesetzes (BeBüPolG Bln) und weiterer Gesetze“ vom 9. Februar 2023 (GVBl. 2023, 30) der Beauftragte die Eigenschaft als „oberste Landesbehörde“ erhielt, konnte er Mitarbeiter einstellen.
Seine Devise als Richter, Probleme möglichst frühzeitig anzugehen, nimmt er dabei in seinen Dienst als Bürger- und Polizeibeauftragter mit. Ein Vergleich, mit dem beide Seiten leben können, sei dabei immer besser als ein Urteil, welches häufig beide Seiten nicht zufrieden stellt, nicht zuletzt, weil es ein wesentlich längeres Verfahren erfordert.

Frau Referendarin Korkmaz und Herr Dr. Alexander Oerke

Die Vergleiche sollen dabei vorbereitet sein, um schnell und unmittelbar helfen zu können, ohne viel schreiben und Akten füllen zu müssen. Viele Probleme der Sich-Beschwerenden könnten dabei schnell aus der Welt geschafft werden, indem ihnen unabhängig und unbürokratisch Informationen an die Hand gegeben, Anrufe für sie erledigt oder informelle Treffen für sie vereinbart werden. Denn oftmals kann den Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger damit abgeholfen werden, dass sie sich mit dem Gegenüber aussprechen und eine Entschuldigung erhalten, nachdem sie sich unrechtmäßig behandelt fühlten.
Weitere Anliegen der Bürgerinnen und Bürger sind: Sie haben das Gefühl, der Behörde ihr Begehren nicht wie gewünscht vermitteln zu können, eine zu lange Bearbeitungsdauer von Anträgen oder Beschwerden wegen diskriminierenden Verhaltens solcher Stellen.
So berichtete uns Herr Dr. Oerke zum Beispiel von einem Fall, in dem einem Polizeianwärter in der Probezeit gekündigt worden war. Die hiergegen eingereichte Klage vor dem Verwaltungsgericht wurde nach einem Mediationsgespräch des Beauftragten mit der Polizeibehörde und einem dadurch erzielten Vergleich zurückgenommen; nach einem neuen Eignungstest wurde der betroffene Beamte wieder eingestellt.
Der Beauftragte gibt den Behörden und Einrichtungen bei der Bearbeitung der Beschwerden stets die Gelegenheit einer Stellungnahme, um die Angelegenheit ggf. einvernehmlich regeln zu können. Weiterhin bekommt er Fälle von der Beratungsstelle für Konfliktmanagement (BeKom).
Dabei ist sein Einsatzgebiet außerhalb der Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Vielmehr übt er seine Aufgaben weisungsfrei mit eigenen Untersuchungsbefugnissen sowie eigenem Ermessensspielraum aus. Er darf ermitteln, Zeugen befragen, Akten anfordern und Empfehlungen aussprechen, nicht jedoch Rechtsrat in materiell- rechtlicher Hinsicht oder in Bezug auf die Erfolgsaussichten von gerichtlichen Verfahren geben, auf Fristen hinweisen darf und macht er. Ebenso wenig ist er in Angelegenheiten tätig, in denen Gerichtsverfahren schweben.
In seiner Tätigkeit schränkt ihn insbesondere der Umstand ein, dass er kein Recht auf Akteneinsicht in Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft hat, nachdem § 474 StPO Landes- bzw. Bundesbeauftragte für Bürger- und Polizeiangelegenheiten als eine solche Stelle nicht vorsieht und auch das BeBüPolG Bln keine Regelung dazu enthält. Da er seine Arbeit wesentlich zielgerichteter und damit effizienter mit Akteneinsichtsrecht erledigen könnte, hofft er auf eine entsprechende Regelung und hat die Generalstaatsanwaltschaft um Mithilfe gebeten.
Im Haushaltsplan sind neben seiner Position 16 weitere Stellen enthalten, derzeit hat der Beauftragte allerdings nur vier Mitarbeiter, zwei Sachbearbeiter für Bürger- und zwei für Polizeiangelegenheiten, wobei dieses Jahr ein Anstieg auf acht bis zehn Mitarbeiter geplant ist. Neben dem Beauftragten sind dabei eine Büroleiter-, eine Personalleiter- sowie eine Haushaltsleiterstelle vorgesehen. Bei den restlichen 13 Mitarbeitern soll es sich um Sachbearbeiter handeln, die sich konkret mit den Beschwerden befassen.
Im vergangenen Jahr (1. August bis 31. Dezember 2022) wurden 78 Eingänge erfasst, wobei es sich jeweils um etwa eine Hälfte Bürger- und die andere Hälfte Polizeiangelegenheiten handelte. Dieses Jahr sind bereits 110 Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern verschiedener Altersgruppen registriert worden.
Im Polizeibereich sind dabei auch Einlassungen von Polizeibediensteten selbst vorhanden, wobei in etwa einem Fünftel der Fälle Abhilfe geschaffen werden kann, ohne dass die Dienstvorgesetzten davon erfahren. Dies ist insofern vorteilhaft, als die Vorgesetzten bei Kenntniserlangung aufgrund des Legalitätsprinzips unter Umständen gehalten wären, ein Verfahren einzuleiten, welches von den Betroffenen nicht immer gewollt ist.

„Mandantenbegehren könnte mit der Ombudstelle schneller begegnet werden“

Herr Dr. Oerke ist bestrebt, der Ombudsstelle die ihr gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen, um möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern helfen und damit seiner Aufgabe als Beauftragter bestmöglich gerecht werden zu können. Durch seine Teilnahme an Programmen wie dem 110-stündigen Besuchs- und Hospitationsprogramm der Berliner Polizei, Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen zu Themen wie Antisemitismus, Berliner Polizeistudie, Clankriminalität-Verbundkontrollen bildet er sich stetig fort und baut gleichzeitig sein Netzwerk weiter aus. Zudem tauscht er sich mit den parlamentarisch gewählten Beauftragten anderer Bundesländer im Rahmen von regelmäßigen Treffen aus. Die enge Zusammenarbeit mit uns Kolleginnen und Kollegen ist dabei umso mehr gewünscht, als Mandantenbegehren mit der Einschaltung der Ombudsstelle oftmals schneller und effizienter begegnet werden könnte.
Unter dem 31.03.2023 gab Herr Dr. Oerke seinen ersten Geschäftsbericht für das Kalenderjahr 2022 dem Abgeordnetenhaus gegenüber ab. Dieser ist auf seiner Webseite unter: https://www.berlin.de/buerger-polizeibeauftragter/aktuelles/ zu finden.

KONTAKTDATEN DER OMBUDSSTELLE:
Der Bürger- und Polizeibeauftragte des Landes Berlin
Alt-Moabit 60, 10555 Berlin
(030) 90172 – 8500
post@bebuepol-berlin.de
www.berlin.de/buerger-polizeibeauftragter

Exklusiv für Mitglieder | Heft 09/2023 | 72. Jahrgang