Die 21. Konferenz der Europäischen Rechtsanwaltschaft

Impressionen aus Polen.

Gemeinsam mit adw. Andrzej Zwara (Mitglied des Präsidiums der polnischen Rechtsanwaltskammer), r. pr. Michał Sękowski (Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, Bezirkskammer der Rechtsberater in Warschau) und r. pr. Sławomir Szczerba (Mitglied des Ausschusses für Zusammenarbeit mit dem Ausland, Bezirkskammer der Rechtsberater in Breslau) hatte ich als Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten der polnischen Rechtsanwaltskammer die Ehre, die polnische Anwaltschaft als Verteidigerin der Verfassungsgerichtsbarkeit auf der 21. Konferenz der Europäischen Rechtsanwaltschaften zu vertreten.

Małgorzata Gemen | polnische Rechtsanwältin | Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten der polnischen Rechtsanwaltskammer | www.kanzlei-gemen.de
von links: adw. Małgorzata Gemen, r.pr. Michał Sękowski, adw. Andrzej Zwara, r.pr. Sławomir Szczerba

Um den Konferenzteilnehmern das Ausmaß des Verfassungsproblems in Polen zu verdeutlichen, habe ich ihnen zwei Bilder gegenübergestellt. Im ersten Bild habe ich das Gebäude des polnischen Verfassungsgerichts von vor 2015 beschrieben: Klassische Architektur und auf dem Dach weht die polnische Flagge. Der Zaun ist rein dekorativ. Die Umgebung ist beschaulich. Auf dem zweiten Bild ist dasselbe Gebäude zu sehen, aber es sind Barrikaden davor. Man kann die Demonstranten hören, wie sie die Slogans „Demokratie“, „Europäische Union“, „Rechtsstaatlichkeit“ und „Dies ist kein Verfassungsgericht“ rufen. Diese zwei Bilder sollten veranschaulichen, wie sich das polnische Verfassungsgericht in den letzten Jahren verändert hat. Obwohl es sich immer noch um dasselbe Gebäude handelt, ist es nun eine ganz andere Institution.

Die Verfassungskrise in Polen begann im Herbst des Jahres 2015 mit der zweifachen Wahl von je fünf Verfassungsrichtern durch die 7. und 8. Legislaturperiode des polnischen Parlaments. Infolgedessen verabschiedete der PiS-dominierte Sejm zwischen November 2015 und Dezember 2016 sechs Gesetze über die Arbeitsweise des Verfassungsgerichtshofs.

In den letzten Jahren gab es mehrere Versuche der polnischen Regierung, den Verfassungsgerichtshof von der Exekutive abhängig zu machen. Dies geschah nicht nur durch Änderungen von Gesetzen, sondern auch durch die Ernennung politisch abhängiger Kandidaten für das Richteramt am Verfassungsgericht. Die starke Politisierung des polnischen Verfassungsgerichtshofs führte zum Verlust seiner politischen Unabhängigkeit. Der polnische Verfassungsgerichtshof hat eine Reihe von Urteilen erlassen, die an den Grundpfeilern der polnischen Justiz gerüttelt haben.

Angesichts des Risikos, dass Polen wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit Mittel aus der Aufbau- und Resilienzfazilität der EU verlieren könnte, erklärte der Verfassungsgerichtshof im Oktober 2021 den Vorrang des nationalen Rechts vor dem EU-Recht und verstieß damit gegen die allgemeinen Grundsätze des letzteren (Az. K 3/21).

Am 10. März 2022 hat der Verfassungsgerichtshof in der Rechtssache K 7/21 ein Urteil gefällt, in dem er im Wesentlichen entschied, dass Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar ist – unter anderem in dem Umfang, in dem es dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder Landesgerichten ermöglicht, den Status von Richtern zu beurteilen und anzufechten, die auf Antrag des Nationalen Justizrats ernannt wurden. Der Verfassungsgerichtshof führte eine Bewertung einzelner Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Polen durch, was über die verfassungsrechtliche Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs hinausgeht.

„Die Stimme der polnischen Rechtsanwaltskammer war und ist laut. Sie ist mutig und ertönt in der gesamten Europäischen Union. Ich freue mich, dass sie dank des Berliner Anwaltsvereins auch in Berlin erklingen konnte“

Für die polnische Rechtsanwaltskammer ist der Schutz der Rechtsstaatlichkeit in Polen eine zentrale Aufgabe. Dies wird nicht nur durch die per Akklamation gefassten Beschlüsse der gesamtpolnischen Rechtsanwaltskammer bestätigt, sondern auch durch Beschlüsse der Bezirksrechtsanwaltskammern in Polen. Auf Antrag der polnischen Delegation im CCBE hat der Ständige Ausschuss des CCBE am 8. Oktober 2021 einen Beschluss zum Urteil des polnischen Verfassungsgerichtshofs verabschiedet.

„Der Rat der Anwaltschaften der Europäischen Gemeinschaft bringt seine tiefe Besorgnis über das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts (Az. K 3/21 vom 7. Oktober 2021) zum Ausdruck. In der Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts wird direkt festgestellt, dass die Anerkennung des europäischen Rechts gegenüber dem polnischen Recht mit der polnischen Verfassung unvereinbar ist. Eine solche Position steht im Widerspruch zu den EU-Verträgen, die Polen unterzeichnet hat. Der CCBE bekräftigt, dass alle EU-Mitgliedstaaten die unterzeichneten Verträge und die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union einhalten müssen, und weist darauf hin, dass die Werte und Grundsätze der EU gleichermaßen gelten müssen.“

Am Ende der Konferenz erzählte ich den Teilnehmern von Herrn Marian Turski, einem ehemaligen Häftling des Konzentrationslagers Auschwitz, der dem Dekalog das elfte Gebot hinzufügte: Sei nicht gleichgültig.

„Wir Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dürfen niemals gleichgültig sein!“

Exklusiv für Mitglieder | Heft 12/2023| 72. Jahrgang