Die Anwaltschaft für Menschenrechte

Sensibilisieren, beraten, engagieren und positionieren.

Die Wahrung der Grund- und Menschenrechte ist eines der wesentlichen Ziele des Deutschen Anwaltvereins, so steht es in seiner Satzung. 2010 wurde der DAV-Ausschuss Menschenrechte gegründet, um Präsidium, Ausschüsse und Geschäftsführung in menschenrechtlichen Fragen zu informieren und zu beraten. Gerade in Fragen zu Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten ist anwaltsspezifisches Wissen sinnvoll und wichtig.

Niklas Malte Müller | Rechtsanwalt | Referent für Internationales und Menschenrechte | Deutscher Anwaltverein | https://dav-international.eu/en/

In erster Linie vertritt der DAV die Interessen der Anwaltschaft, woraus sich eine Abgrenzung zu klassischen Menschenrechtsorganisationen ergibt. Im Fokus steht vor allem – aber nicht ausschließlich – die Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen im Ausland sowie der Zugang zum Recht als Menschenrecht und als Teil humanitärer Hilfe. Hierzu ist der DAV unter anderem Mitgliedsorganisation des Deutschen Instituts für Menschenrechte und des Deutschen Menschenrechtsfilmpreises.
Ein erheblicher Teil der Entwicklungen auf Gesetzgebungsebene tangiert menschenrechtliche Fragestellungen – nicht zuletzt im Straf-, Migrations- und Sozialrecht. Aus Kapazitätsgründen wurde der Menschenrechtsausschuss Menschenrechtsausschuss daher nicht als klassischer DAV-Gesetzgebungsausschuss konzipiert. Eigene Stellungnahmen wurden lange Zeit nicht herausgegeben. 2021 und 2022 gab es zum Lieferkettengesetz und zur Konvention des Europarates zu Anwaltsrechten dennoch Anlass, erstmals gemeinsam mit anderen DAV-Ausschüssen klassische Stellungnahmen zu veröffentlichen.1Zu finden hier: https://anwaltverein.de/de/interessenvertretung/ausschuesse-im-dav/menschenrechte

„Gerade in Fragen zu Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten ist anwaltsspezifisches Wissen sinnvoll und wichtig“

Mit Blick auf die deutsche Anwaltschaft steht vor allem die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) samt ihrer Durchsetzung vor Gerichten im Vordergrund. Die Möglichkeiten, die die EMRK in der anwaltlichen Praxis bietet, sind in Deutschland (und darüber hinaus) noch zu häufig unbekannt. Der Ausschussvorsitzende Stefan von Raumer gibt dazu Schulungen, in örtlichen Anwaltvereinen, Arbeitsgemeinschaften oder für die IRZ. 2019 wurden auf Einladung der Türkischen Rechtsanwaltskammer (UTBA) mehrere Seminare zu EGMRKlagen in der Türkei organisiert – mit mehreren hundert Teilnehmenden ein großer Erfolg.
Zentral für die Arbeit des Ausschusses ist aber besonders der Blick ins Ausland. Dies bedeutet Solidarität für Anwältinnen und Anwälte, die in ihrer freien Berufsausübung im Ausland behindert werden – durch Statements, Resolutionen oder gemeinsame Veranstaltung unter anderem auf dem Deutschen Anwaltstag sowie zum Tag des bedrohten Anwalts wird die Öffentlichkeit sensibilisiert und den betroffenen Kolleginnen und Kollegen vermittelt: Wir sehen euch, ihr werdet nicht vergessen.
Zu der internationalen Menschenrechtsarbeit gehört auch die Unterstützung und Stärkung bereits vorhandener Strukturen durch die Vermittlung von anwaltsspezifischem Wissen und Kompetenzen („capacity building“). Ausschussmitglieder wirkten hierzu z.B. an Länderreports des International Legal Assistance Consortiums (ILAC) zu Syrien2Abrufbar unter: https://ilacnet.org/publications/syria-rule-of-law-
assessment/
und Liberia3Abrufbar unter: https://ilacnet.org/publications/still-looking-for-justice-customary-law-the-courts-and-access-to-justice-in-liberia/ mit.

Anna Gilsbach – ILAC Projekt Liberia
Leutheusser-Schnarrenberger, AusschussVA DAT 2019, Bild: DAV/Andreas Burkhardt
Lübbert AusschussVA, Bild: DAV/Andreas Burkhardt
Stefan von Raumer, Bild: DAV/Andreas Burkhardt
Stefan von Raumer im Gespräch, Bild: DAV/Andreas Burkhardt
Türkei Expertengespräch EGMR Klagen, Bild: DAV/Adreas Burkhardt

„Die Möglichkeiten, die die EMRK in der anwaltlichen Praxis bietet, sind in Deutschland (und darüber hinaus) noch zu häufig unbekannt“

Ein weiteres Leuchtturmprojekt des DAV-Menschenrechtengagements bleibt die vom DAV mitinitiierte European Lawyers in Lesvos gGmbH, die kostenlose und unabhängige Rechtsberatung an der europäischen Außengrenze anbietet. Die Arbeit hier zeigt: Rechtsberatung muss aus Sicht des Ausschusses fester Bestandteil der Standardmaßnahmen humanitärer Hilfe werden, eine der Kernforderungen des Ausschusses.
Im vergangenen Jahr lag der Fokus insbesondere auf Afghanistan und der Ukraine. So setzte sich der Ausschuss rechtspolitisch für legale Einreisemöglichkeiten von Ortskräften und verfolgten Kolleginnen und Kollegen aus Afghanistan ein. Für ukrainische Kolleginnen und Kollegen wurde unter Mitwirkung des Ausschusses eine Patenschaftsplattform eingerichtet, über die Kollegen in Deutschland insbesondere Wohnraum und Arbeitsmöglichkeiten vermitteln können.
Zuletzt schloss sich der Ausschuss einer gemeinsamen Solidaritätskundgebung für iranische Kolleginnen und Kollegen am Brandenburger Tor an und co-organisierte ein Side-Event auf dem 8. Weltkongress gegen die Todesstrafe sowie – gemeinsam mit der Friedrich-Naumann- Stiftung – eine internationale Konferenz zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern und -verteidigerinnen in Berlin. Das zeigt, wie vielfältig die Arbeit im Bereich Menschenrechte ist – ein Rechtsgebiet, das weiter an Bedeutung zunehmen wird.

Exklusiv für Mitglieder | Heft 01/02 | 2023 | 72. Jahrgang