Die Kunst feiern. Und die Meinung. Und den Streit.
Der Karikaturpreis der deutschen Anwaltschaft.
Gleich drei Künstler:innen ehrte die Bundesrechtsanwaltskammer am 14.9.2022 mit dem Karikaturpreis der deutschen Anwaltschaft. Nach der pandemiebedingt zweifach verschobenen Verleihung des 12. Karikaturpreises 2020 wurde nicht nur diese Preisverleihung nachgeholt, sondern zugleich der 13. Karikaturpreis 2022 und ein Sonderpreis verliehen – für einen langjährigen Begleiter des Berliner Anwaltsblatts (und Ehrenmitglied des Berliner Anwaltsvereins): Philipp Heinisch. Ein Bericht über einen dreifach besonderen Abend.
Dr. Tanja Nitschke | Mag. rer. publ. | Rechtsanwältin und Geschäftsführerin der Bundesrechtsanwaltskammer | https://www.brak.de/
Fotos: BRAK/Nils Roth
Exklusiv für Mitglieder | Heft 11/2022 | 71. Jahrgang
DER KARIKATURPREIS
„Wer einen Karikaturpreis vergibt, der prämiert nicht nur Karikaturen. Er feiert auch die Freiheit der Kunst und der Meinung, und er feiert damit auch den Streit.“ Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann brachte damit in seinem Grußwort auf den Punkt, was die Bundesrechtsanwaltskammer mit dem Karikaturpreis der deutschen Anwaltschaft bezweckt: Sie ehrt das Engagement und den Mut national und international herausragender Künstlerinnen und Künstler, die aktuelle politische und kulturelle Missstände kritisch darstellen und die sich damit auf hintergründige Weise für eine gerechtere und menschlichere Welt einsetzen.
Buschmann fuhr fort: „Die öffentliche Debatte muss Kritik und Chuzpe gegenüber den Machthabenden erlauben. Man muss ihnen mit Humor die Meinung sagen dürfen.“ Den Karikaturen kommt nach Buschmanns Auffassung allerdings nicht nur die Funktion zu, zu kritisieren, denn zensurfreie Karikaturkunst dient auch der Information: „Zensur trifft nicht nur Autoren und Künstler, sondern auch das Publikum. Sie entzieht ihm die Möglichkeit, sich zu informieren, Kunst zu genießen. Ich bin froh, dass ich selbst mit eigenen Augen die Werke der Preisträger sehen und mit ihnen reden und sogar streiten darf. Dafür bin ich sehr dankbar“, so Buschmann. Damit machte er eindrücklich bewusst, wie wenig selbstverständlich freier künstlerischer Ausdruck und freier Kunstgenuss in vielen Staaten sind. Der Preisträger des Jahres 2018, der türkische Zeichner Sefer Selvi ist ein lebendes Beispiel dafür, wurde er doch bereits mehrfach wegen seiner Werke angeklagt und mit Geldstrafen belegt.1Zu Selvi s. https://www.brak.de/interessenvertretung/veranstaltungen/karikaturpreis/der-preistraeger-2018-sefer-selvi/ Auch seine anlässlich der Preisverleihung geschaffene Karikatur „Meinungsfreiheit“ zeigt das in deutlicher Bildsprache.
Den Karikaturpreis der deutschen Anwaltschaft verleiht die Bundesrechtsanwaltskammer seit 1998 alle zwei Jahre. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert. Die Preisträger:innen erschaffen jeweils ein Werk eigens anlässlich der Preisverleihung. Dieses kann in einer limitierten, von Hand signierten und nummerierten Auflage von 200 Stück als Kunstdruck erworben werden.2Nähere Informationen dazu unter www.brak.de/karikaturpreis.
v.l.: Sonderpreis: Philipp Heinisch, Preisträgerin 2020: Camila de la Fuente, Preisträger 2022: Pawel Kuczynski
Preisträger:innen, Jury und Minister (v. l. n. r.: Dr. Ulrich Scharf, Dr. Marco Buschmann, Pawel Kuczynski, Camila de la Fuente, Dr. Thomas Remmers, Martin Sonntag, Philipp Heinisch, Andreas Platthaus)
„ANWÄLTE UND KARIKATURISTEN SIND VERWANDT!“
Aber was hat die Anwaltschaft überhaupt mit Karikaturen zu tun? Um das zu beantworten, bedarf es eines kleinen Zeitsprungs: ans Ende des Abends, als der Jury- Vorsitzende Dr. Ulrich Scharf das Wort ergriff, und zurück in die 1990er Jahre. Der Rechtsanwalt aus Celle war nicht nur lange Jahre Präsident der Rechtsanwaltskammer Celle und Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer. Er ist auch seit seiner Studienzeit passionierter Sammler von Karikaturen – und er war es, der den Preis ins Leben rief. Wer also könnte besser erklären, wieso es den Karikaturpreis der deutschen Anwaltschaft gibt?
Vieler glücklicher Fügungen habe es bedurft, so berichtete Scharf, nachdem er im Jahr 1995, als Präsident der RAK Celle, der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer erklärt hatte: Anwälte und Karikaturisten sind verwandt! Beide prangern Missstände an, sie ergreifen Partei für Schwache und Benachteiligte und unterstützen sie im Kampf gegen Unrecht. Für uns Anwälte, ergänzte er schmunzelnd, gelte das aber ehrlicherweise nur in unseren besten Stunden. In der Hauptversammlung sei damals sein Vorschlag, einen Karikaturpreis zu schaffen, auf großes Erstaunen und sehr mäßigen Beifall gestoßen – auch deshalb, weil das Berufsrecht Anwältinnen und Anwälten seinerzeit noch ein recht weitgehendes Werbeverbot auferlegte. Doch Öffentlichkeitsarbeit für den Anwaltsberuf war den Kammern möglich, und Scharfs mehrjährige Überzeugungsarbeit trug schließlich Früchte.
Für die Jury konnten unter anderem die damalige Direktorin des Hannoveraner Wilhelm-Busch-Museums, Dr. Gisela Vetter-Liebenow, und der FAZ-Feuilletonist Andreas Platthaus, ebenfalls ein passionierter Kenner der Materie, gewonnen werden. Scharf selbst wurde Vorsitzender der Jury. In dieser Rolle hatte er erst einmal erneut Überzeugungsarbeit zu leisten, um Preisträger für den noch völlig unbekannten Preis zu gewinnen – mit Erfolg. Eine ganze Reihe namhafter Künstlerinnen und Künstler wurden ausgezeichnet: Ronald Searle (1998) und Tomi Ungerer (2000) machten den Anfang, später folgten unter anderem Marie Marcks (2004), Gerald Scarfe (2010), Hans Traxler (2012) und Greser & Lenz (2016). Nicht zuletzt deshalb gilt der Karikaturpreis der deutschen Anwaltschaft mittlerweile als einer der angesehensten europäischen Karikaturpreise.
DREI PREISE UND EIN ABSCHIED
Doch zurück zum 14.9.2022. Dass an diesem Abend genau genommen drei Preise vergeben wurden, ist zumindest zum Teil der Corona-Pandemie geschuldet. An ihr scheiterte letztlich sowohl die Verleihung des Karikaturpreises im Jahr 2020 als auch der Versuch, sie im Jahr 2021 nachzuholen. Die pandemiebedingten Beschränkungen machten eine Anreise der auserkorenen Preisträgerin aus Mexiko beide Male unmöglich. Und so wurde die Verleihung nun nachgeholt. Hinzu kam – bislang einmalig in der Geschichte des Karikaturpreises – ein Sonderpreis, mit dem die BRAK Philipp Heinisch für sein Lebenswerk als rechtspolitischer Karikaturist auszeichnete.
Zugleich war dies Scharfs letzter Auftritt als Vorsitzender der Jury des Karikaturpreises, der – wie BRAKVizepräsident Dr. Thomas Remmers süffisant bemerkte – eigentlich Dr.-Ulrich-Scharf-Preis heißen müsste; aber: „Das wollte er damals schon nicht. Und das machen wir auch nicht“, schloss Remmers seine Dankesworte an Scharf, der sich aus der Jury in den Ruhestand verabschiedet. Scharf geht „mit zwei lachenden Augen“, wie er versichert. Denn „sein“ Karikaturpreis wird weiterleben und hat an diesem Abend drei mehr als würdige neue Preisträger:innen hinzugewonnen.
EINE KÄMPFERIN MIT DEM ZEICHENSTIFT
Der Karikaturpreis der deutschen Anwaltschaft 2020 wurde an Camila de la Fuente, kurz: CamdelaFu, verliehen. Die gebürtige Venezolanerin lebt in Mexiko. Dorthin emigrierte sie 2014, nachdem sie als Studentin in Caracas die Massaker der Sicherheitskräfte an ihren protestierenden Kommilitonen erlebt hatte. Neben Zeichnungen und Illustrationen hat sie auch über hundert karikaturistische GIFs, also kurze animierte Bildsequenzen, zu aktuellen politischen Fragen geschaffen. Sie ist für zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften und zudem auch für die Hilfsorganisationen Amnesty International, Save the Children und Refugees International als Zeichnerin tätig
Martin Sonntag, Leiter der Caricatura – Galerie für Komische Kunst in Kassel und Mitglied der Jury, fand in seiner Laudatio bewegende Worte für sie: „Wir ehren heute eine Künstlerin, die mutig ist, die etwas zu sagen hat, und die das, was sie sagt bzw. zeichnet, in höchster Qualität umsetzt. Und genau das ist es, wofür dieser Preis steht: Qualität und Mut.“ Die Arbeit von CamdelaFu nennt Sonntag kämpferisch. „Wer die Menschen liebt, setzt sich ein. Wer die Schönheit liebt, macht Kunst. CamdelaFu vereint beides.“ CamdelaFus Arbeiten seien sehr ästhetisch und sie beherrsche perfekt die Täuschung. Schöne Farben, harmonischer Strich, Weiches in Kreide und Pastell treffen auf scharfe inhaltliche Aussagen, und so trete ihre Botschaft umso stärker zutage.
Zwei zentrale Themen, mit denen CamdelaFu sich befasst, sind Femizid und Machismo. Gemeint sind Gewalt- und Tötungsdelikte gegen Frauen, die in Mexiko an der Tagesordnung sind und wegen einer untätigen oder unwilligen Justiz und einer tief in der Gesellschaft verwurzelten Machokultur oft unaufgeklärt bleiben, erklärt Sonntag. Die Verstrickung von Politik und organisiertem Verbrechen mache es lebensgefährlich, derartige Themen anzusprechen. Doch eine Bewegung von Frauen stelle sich dem entgegen, und CamdelaFu sei eine gewichtige Stimme in dieser Bewegung.
Ihre bekannteste Zeichnung in diesem Kontext zeige eine tote Frau, die in ihrem Blut liegt und deren Körperumrisse die mexikanische Landesgrenze nachzeichnen. Die Zeichnung sei in den sozialen Medien viral gegangen, mehrere prominente Künstler und Sportler trugen das Motiv öffentlich. Ihr Motiv wurde zur Legende. Auch das anlässlich der Preisverleihung geschaffene Werk „Justicia Latinoamerica“ spricht dieses Thema an.
Camila de la Fuente selbst war sichtlich gerührt von der Auszeichnung. Der Preis sei ihr eine große Motivation zum Weitermachen, sagte sie auf Englisch. Und er sei auch deshalb etwas ganz Besonderes für sie, weil ein Teil ihrer Familie aus Deutschland stamme. Ihr Großvater musste vor langer Zeit nach Venezuela emigrieren – und er wäre sicher unglaublich stolz, sie hier zu sehen.
„WORTLOSIGKEIT IST SEIN PROGRAMM“
Beinahe surreal wirken die Karikaturen von Pawel Kuczynski, dem Träger des Karikaturpreises der deutschen Anwaltschaft 2022. Der polnische Zeichner, der unter anderem für das Nachrichtenmagazin „Wprost“ Titelbilder zeichnet, setzt Machtstrukturen ins Bild. Dabei verzichtet er auf jeglichen Text; sein Publikum hat zu interpretieren. „Wortlosigkeit ist sein Programm“, sagte FAZ-Journalist und Jury-Mitglied Andreas Platthaus in seiner Laudatio; doch: „Umso schärfer sind die Waffen, die seine Zeichnungen darstellen. Was ohne Worte auskommt, wird auf der ganzen Welt unmittelbar verstanden.“ Dem kritischen Potenzial von Kuczynskis Arbeiten und ihrem Witz sei die Wortlosigkeit also nicht abträglich – ganz im Gegenteil. Seine Werke sind, fuhr Platthaus fort, auch ästhetisch besonders. Seine mit Bleistift und Aquarellpinsel gefertigten Karikaturen wirken fast wie Gemälde.
Das für die Preisverleihung geschaffene Werk „War crimes“ zeigt das eindrucksvoll. Justizia mit Toga, Augenbinde und Waage steht vor Ruinen und trägt einen Kampfhelm, das Paragrafenzeichen dient ihr als Minensuchgerät. Der Kontext des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist damit ganz klar, und auch die damit verbundene Frage nach der Rolle der Justiz bei der Bewältigung der Kriegsfolgen. Im Kontrast dazu stehen die fast kitschigen Sonnenuntergangsfarben.
Kuczynski setzt sich kritisch mit aktuellen politischen Entwicklungen auseinander, eines seiner liebsten Spottobjekte ist die katholische Kirche. Platthaus bringt es auf den Punkt: „Mit diesem Karikaturisten ehren wir einen großen zeitkritischen Kommentator, der seit mehr als zwanzig Jahren vorführt, was Karikatur vermag – gerade auch dann, wenn sie mit klassischen Mitteln arbeitet.“
Für den Preis bedankt sich Kuczynski mit einem verschmitzten Lächeln: „Mein Deutsch ist schlecht. Aber schöne Worte verstehe ich in jeder Sprache.“ Und auf Englisch fügt er hinzu, dass er in seinem Leben wenige Worte benutze. Seine Bilder seien seine Sprache – und die Kraft liege in den Köpfen der Betrachter:innen. „Maybe I can be an inspiration for you“, schließt er. Das kann er ganz sicher.
SO NAH AN DER ANWALTSCHAFT WIE KEIN ANDERER
Eine Premiere brachte der Abend mit sich: Erstmals in der Geschichte des Karikaturpreises wurde ein Sonderpreis vergeben. Philipp Heinisch erhielt ihn für sein Lebenswerk als rechtspolitischer Karikaturist. Über 2000 Bilder mit juristischem Bezug hat der Berliner inzwischen geschaffen. Dabei setzt er nicht nur die unterschiedlichsten Tätigkeiten von Anwältinnen und Anwälten mit einem Augenzwinkern in Szene. Er befasst sich auch mit aktuellen Entwicklungen innerhalb der Anwaltschaft und mit Themen aus dem Kanzleialltag, mit der Zweigstelle zum Beispiel oder mit Nachhaltigkeit durch den Verzicht auf Papier oder mit der Anwalts-GmbH, aber auch mit Themen wie seinerzeit dem großen Lauschangriff, dem allgegenwärtigen Datenschutz oder aber Künstlicher Intelligenz; und auch mit Corona, Homeoffice oder Geldwäsche. Immer bekomme der Anwaltsberuf dabei auf charmante Weise sein Fett weg, betonte BRAK-Vizepräsident Dr. Thomas Remmers, der ebenfalls der Jury angehört, in seiner Laudatio.
„Philipp Heinisch ist der Anwaltschaft so nah wie kaum ein anderer Künstler“, so Remmers weiter. Kein Wunder, denn Heinisch war selbst fast 20 Jahre als Rechtsanwalt in eigener Kanzlei in Berlin tätig. Das dürfte der Grund sein, weshalb er mit seinem feinen Humor Anwaltschaft, Justiz und Politik derart treffend den Spiegel vorhalten kann. Er weiß eben, wovon er redet – oder besser: zeichnet. Fans habe Heinisch nicht nur in der Anwaltschaft, sondern auch in der Justiz. Ein großer Fan und Unterstützer, so berichtete Remmers, sei der ehemalige Vizepräsident des Landgerichts Hildesheim. Er habe dort vor vielen Jahren Heinischs erste Ausstellung organisiert und ihn damit sozusagen in Niedersachsen bekannt gemacht. Weitere Ausstellungen seien gefolgt.
Heinisch habe seinen ganz eigenen Stil entwickelt, sagt Scharf über den Künstler. Man erkenne seine Zeichnungen sofort als „typisch Heinisch“. Sie seien zart, manchmal geradezu liebenswürdig. Sie lösten kein lautes Lachen und schon gar keinen Zorn aus, sondern ein Schmunzeln. Doch er zeichnet nicht nur, wie Remmers weiß. Er hält auch Vorträge zum Thema Kunst und Justiz und trägt auch so dazu bei, dass wir Jurist:innen unseren Horizont erweitern können.
Ein strahlender Philipp Heinisch dankte für die Auszeichnung – mit einer kleinen Überraschung: Er überreichte Remmers ein Portrait von ihm, das er schon vor langer Zeit gezeichnet hatte. Es sei ein ganz besonderer Freudentag für ihn, sagte Heinisch. Denn unter Juristen habe es über ihn stets geheißen „Der ist irgendwie komisch“, und unter Karikaturisten sei er komisch, weil: „der zeichnet ja nur Juristen“. Umso glücklicher sei er, dass er nun hier sein dürfe und „dass die Anwaltschaft mich will“. Die anwesende Anwaltschaft bestätigte ihm das mit tosendem Applaus.
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- 2Nähere Informationen dazu unter www.brak.de/karikaturpreis.