Die Sanktionen der Bundesrechtsanwaltsordnung
Schneider – Die Sanktionen der Bundesrechtsanwaltsordnung
Fachbuch, Softcover, Verlag Dr. Kovac 2024,
272 S., 97,80 Euro. ISBN 978-3-339-14102-6
Sanktionen der BRAO: Rügen und missbilligende Belehrungen
Kürzlich erschien eine Dissertation von Jan-Philip Schneider, die sich umfassend mit dem Sanktionensystem der BRAO befasste. Entstanden ist sie am Institut für Straf-, Strafprozess- und Sanktionenrecht der Universität Kiel. Nicht als Berufsrechts-Hotspot bekannt, aber das ist beim Sanktionensystem ein guter Ausgangspunkt: Denn für uns Anwälte ist es selbstverständlich geworden, dass wir, wenn es hart kommt, doppelt sanktioniert werden, strafrechtlich wie berufsrechtlich. Das ganze System ist für den oder die Anwalts-Normalo/a intransparent.

Besser man verhält sich ordentlich, um nicht zu erleben, dass ein Strafurteil ausdrücklich von der Verhängung eines Berufsverbots i. S. d. § 70 Abs. 1 StGB absieht, die Kammer aber gleichwohl den Ausschluss aus der Anwaltschaft betreibt. Damit befassen sich dann erstinstanzlich die Anwaltsgerichte, deren Kammern wiederum auf eine Weise besetzt werden, die mit „intransparent“ nur unvollkommen beschrieben werden kann. Ob das mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG noch etwas zu tun hat, wird nicht mehr diskutiert. Dass der verfassungsrechtliche Grundsatz der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG grundsätzlich auch bei der Auswahl und Ernennung der Anwaltsrichter gelten müsste, wird wohl anerkannt, aber ob das geschieht, ist zweifelhaft, was wiederum schulterzuckend zur Kenntnis genommen wird, weil die Kammern eben nicht die personellen Kapazitäten hätten, um solche aufwendigen Verfahren zu schultern. Wir, die Anwaltschaft, haben es aufgegeben, dieses System ernsthaft in Frage zu stellen. Die berufspolitische Diskussion scheint 2015 aufgehört zu haben.
Schneider legt Hand an viele dieser Glaubenssätze. Das gesamte Ernennungsverfahren für Anwaltsrichter hält er für verfassungswidrig. Auch die gängige Rechtfertigung für ein anwaltliches Sanktionenrecht, also die Rechtfertigung für den „berufsrechtlichen Überhang“, stellt er in Abrede und arbeitet heraus, dass es im Strafund Strafund Disziplinarrecht um dieselben Zwecke gehe, die verfolgt würden. Seine straf- und verfassungsrechtlichen Erwägungen sind sehr lesenswert und verdienen es, dass die berufsrechtliche Diskussion vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des BVerfG wieder eröffnet wird.
Schneider befasst sich auch mit der aufsichtsrechtlichen kleinen Münze, also Rügen und sogenannten „missbilligenden Belehrungen“ als Verhaltenshinweisen oder -sanktionen der Kammern gegenüber ihren Mitgliedern. Zur Erinnerung: Rügen, missbilligende Hinweise und rechtliche Belehrungen sind die Maßnahmen, zu denen Kammern ohne Einschaltung der Generalstaatsanwaltschaft befugt sind. Rügen kommen bei leichten Berufsrechtsverstößen in Betracht. Rechtsbehelf ist der Einspruch, darüber entscheidet der Vorstand, danach gibt es noch ein anwaltsgerichtliches Verfahren ohne obligatorische mündliche Verhandlung. Weitere Instanzen sind nicht vorgesehen. Missbilligende Belehrungen sind der Sache nach Maßnahmen unterhalb der Rüge und werden wie eine Rüge behandelt, wenn sich jemand dagegen wehren will. Bei rechtlichen Hinweisen, seien es erbetene nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO oder unerbetene, ist regelmäßig ein anderer Rechtsweg eröffnet, denn die Belehrungen/Hinweise sind Verwaltungsakte und können mit der Anfechtungsklage vor dem AGH angegriffen werden, mit der theoretischen Möglichkeit der Berufung zum Anwaltssenat des BGH.
Schneider spricht sich für eine Reform aus – und wird überrascht sein, wie schnell diese Reform kommt, denn seit 2022 befasste sich das BMJ mit Überlegungen, das System von Rüge und missbilligenden Belehrung zu ändern, insbesondere die Rechtswege zu vereinheitlichen, und hatte dazu Ende Oktober 2024 einen Referentenentwurf vorgelegt.1Suliak, Ein Update fürs anwaltliche Berufsrecht, LTO v. 25.10.2024, Download hier: https://www.lto.de/recht/juristen/b/bmj-veroeffentlichtreferentenentwurf-anwaltliches-berufsrecht-brao-notare-brak. Künftig soll es nur noch Rügen einerseits und rechtliche Hinweise andererseits geben. Der Rechtsschutz geht erstinstanzlich immer zum Anwaltsgericht, das Verfahren wird sich nach der VwGO richten. Inkrafttreten soll alles 2026. Ein Teil dieser Dissertation wird dann nur noch rechtshistorische Bedeutung haben
- 1Suliak, Ein Update fürs anwaltliche Berufsrecht, LTO v. 25.10.2024, Download hier: https://www.lto.de/recht/juristen/b/bmj-veroeffentlichtreferentenentwurf-anwaltliches-berufsrecht-brao-notare-brak.