Die Vorhaben der Bürokratieentlastung
E-Mail-Interview mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Benjamin Strasser MdB
1) Wie geht es mit dem Bürokratieabbau weiter?
Unsere Unternehmen leiden an einem Bürokratie- Burnout. Leider gibt es nicht den einen Knopf, den man drücken könnte, und schon wäre die Welt eine andere. Aber wir wissen, was auf dem Spiel steht: Nämlich nichts Geringeres als die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Auch deshalb haben wir das größte Bürokratieabbau- Programm in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg gebracht. Ich hoffe, dass nun auch schnellstmöglich das parlamentarische Verfahren für das Bürokratieentlastungsgesetz IV abgeschlossen wird, damit wir unsere Unternehmen spürbar entlasten können. Aber wir wissen auch, dass wir uns jetzt nicht ausruhen dürfen. Weitere Abbaumaßnahmen müssen folgen. Zum Beispiel auf EUEbene. Hier haben wir gemeinsam mit Frankreich eine Bürokratieabbauinitiative gestartet. Gleichzeitig dürfen wir nicht an anderer Stelle Bürokratie draufsatteln.
Benjamin Strasser MdB | Parlamentarischen Staatssekretär
Fotos: James Zabel
2) Mit dem Wegfall der Schriftform zum Beispiel für Arbeitsverträge sehen wir, dass der Begriff Bürokratieabbau breiter gemeint ist, also nicht im Verhältnis Bürger und Staat, sondern auch zwischen Bürgern, Unternehmen und Verbrauchern, von denen bislang das Einhalten von komplizierten Verfahren und Formvorschriften verlangt wird. Wollen Sie uns Ihr Verständnis vom aktuell nötigen Bürokratieabbau kurz umreißen/definieren?
Bürokratie ist zunächst einmal das Gerüst von jedem demokratischen Rechtsstaat. Ohne Regeln, also Bürokratie, kann dieser nicht existieren. In Deutschland hat aber in den letzten Jahrzehnten der Anteil an überbordender Bürokratie erheblich zugenommen. Das betrifft leider alle Teile der Gesellschaft – von der Privatperson über kleine bis große Unternehmen und auch die Verwaltungen selbst. Entsprechend breit ist der Strauß an Maßnahmen, die wir mit unserem Bürokratieabbauprogramm umsetzen wollen. Zudem brauchen wir eine einfachere und wirksamere Gesetzgebung. Ein Grund für die überbordende Bürokratie sind überdetaillierte Gesetze. Aber nicht jeder Einzelfall kann oder sollte durch ein Gesetz geregelt werden. Und schlussendlich muss unsere Verwaltung leistungsfähiger und schneller werden. Die Digitalisierung ist hier aus meiner Sicht der Schlüssel, um zügig Fortschritte zu erzielen.
3) Die Modernisierung geht immer einher mit der Einführung von digitalen Verfahren: Ist dies auch für die Beratungshilfe geplant und Klageverfahren ohne anwaltliche Beteiligung vor zum Beispiel den Amtsgerichten? Bleibt auch immer die Prüffrage, wie haben Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen mit unzureichenden digitalen Kenntnissen und Sprachkenntnissen die Möglichkeit, ihre Rechte ebenso einfach wahrzunehmen, Anträge zu stellen etc.? Ist die Digitalisierung der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse im PKH-Verfahren in der Diskussion? Ist die Digitalisierung des Kostenfestsetzungsverfahrens geplant?
In einem Rechtsstaat sollte jede Bürgerin und jeder Bürger die gleichen Möglichkeiten zum Zugang zum Recht haben – das gilt auch für den digitalen Zugang. Mit der Entwicklung des zivilgerichtlichen Onlineverfahrens und der Einführung einer digitalen Rechtsantragstelle haben wir zwei zentrale Vorhaben auf den Weg gebracht, die das ermöglichen sollen.
„In einem Rechtsstaat sollte jede Bürgerin und jeder Bürger die gleichen Möglichkeiten zum Zugang zum Recht haben – das gilt auch für den digitalen Zugang“
Natürlich haben wir dabei auch Bürgerinnen und Bürger im Blick, denen die dafür notwendige Technik oder die Kenntnisse nicht zur Verfügung stehen. Die Rechtsantragstellen werden deshalb auch weiterhin vor Ort in den Gerichten erreichbar sein. Und im Sommer werden wir zusammen mit den Ländern eine Reformkommission einberufen. Diese soll bis zum Jahresende Vorschläge für den Zivilprozess der Zukunft erarbeiten und das Verfahrensrecht vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung überprüfen. Deren Potenzial soll konsequent für eine bürgernahe, niedrigschwellig zugängliche und moderne Justiz nutzbar gemacht werden. Das gilt auch für das PKH-Verfahren und das Kostenfestsetzungsverfahren.
4) Wie binden Sie Praktikerinnen und Praktiker in Ihrem Ressortbereich in Vorhaben mit ein, um deren Bedürfnisse zu klären und ihre sogenannten Pain points zu identifizieren?
Die Expertise von Praktikerinnen und Praktikern ist für unsere Arbeit enorm wichtig. Schließlich sind sie diejenigen, die mit den Regelungen arbeiten müssen. Deshalb binden wir sie zum Beispiel im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses, bei der Länder- und Verbändebeteiligung, mit ein. Bei für die Justiz besonders bedeutsamen Vorhaben gibt es zudem regelmäßig eine frühe Beteiligung der Verbände von Richterschaft und Anwaltschaft, um bereits bei der Erstellung des Gesetzentwurfs die dortigen Interessen berücksichtigen zu können. Für diese Vorhaben gibt es auch Expertenkommissionen, in denen immer die Richterschaft und Anwaltschaft vertreten sind.
5) Welche Erleichterungen haben Sie für die Anwaltschaft schon erreicht?
Wir haben in der bisherigen Legislaturperiode eine Reihe von Vorhaben auf den Weg gebracht, die die Anwaltschaft in ihrer täglichen Arbeit entlasten sollen. Insbesondere durch die Digitalisierung von Vorgängen im Bereich der Justiz fallen eine Reihe von Aufgaben weg, die durchaus als lästig empfunden werden könnten. Zum Beispiel erleichtern wir mit dem Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz die Kommunikation mit den Mandanten und den Gerichten. Auch der verstärkte Einsatz von Videokonferenztechnik soll Erleichterung bringen.
6) Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz im Ministerium selbst und für die Aufgaben im Ressort?
Künstliche Intelligenz ist zweifellos die Zukunftstechnologie schlechthin. Für mich steht außer Frage, das KI potenziell auch die legislativen Tätigkeiten verändern wird. Wir beschäftigten uns im BMJ mit der Frage, inwiefern KI uns bei der Gesetzgebung – eine unserer Kernaufgaben – unterstützen kann. Zum Beispiel bei der Identifikation von Umsetzungsbedarf bei europäischen Richtlinien, der Überprüfung der Vereinbarkeit mit dem bestehenden Recht, bei der Auswertung von Stellungnahmen oder auch in der Frühphase der Gesetzgebung.