Editorial – Heft 09 | 2023

Liebe Leserinnen und Leser, herzlich willkommen im Berliner Anwaltsblatt

Und es ist wieder passiert: Im bayerischen „Badewannenmord“-Fall wurde ein Mann nach ca. 13 Jahren in Haft „aus tatsächlichen Gründen wegen erwiesener Unschuld“ freigesprochen.
Im Wiederaufnahmeverfahren entschied das Gericht – und folgte damit der Sicht von Gutachtern –, dass eine Straftat im Zusammenhang mit einer in der Badewanne ertrunkenen Rentnerin zweifelhaft erscheine, ein Unfall der Seniorin vielmehr möglich oder sogar wahrscheinlich sei.

Uwe Freyschmidt | Rechtsanwalt | Fachanwalt für Strafrecht | Vorsitzender des Berliner Anwaltsvereins

Ganze 75 Euro Haftentschädigung ist dem Staat ein Tag in Unfreiheit wert (unabhängig von Vermögensschäden wie Verdienstausfall). Im Jahr 2008, als der Berliner Fall der Arzthelferin Monika M. Schlagzeilen machte, die zu Unrecht wegen des Vorwurfs einer Brandstiftung inhaftiert war, forderte der Berliner Anwaltsverein eine Erhöhung der damaligen Haftentschädigung von 11 Euro und konnte die damalige Justizsenatorin von der Aue für eine Bundesratsinitiative gewinnen, die zu einer Erhöhung auf zunächst 25 Euro führte. Ein Tag in Freiheit ist unbezahlbar. Aber wir fordern: Die Haftentschädigung sollte bei mehr als 100 Euro liegen.
Haftstrafen sind die ultima ratio im deutschen Strafrecht. Oder sollte man sagen – sie sollten es sein?
Der Bundestag hat erkannt, dass die Ersatzfreiheitsstrafe diesem Anspruch kaum entspricht und im Juni den Umrechnungsmaßstab für die Ersatzfreiheitsstrafe halbiert. Werden Strafen nicht gezahlt, wird nun für je zwei verhängte Tagessätze nur noch ein Tag in Haft fällig. Eine weitergehende Reform wäre hier angemessen. Zahlungsunfähige einzusperren, erhöht deren desolate Lage und kostet den Staat zusätzliche Ressourcen. Die logische Folge wäre eine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe und die Entkriminalisierung von Bagatelldelikten wie dem Fahren ohne gültigen Fahrschein. Behält man die Ersatzfreiheitsstrafe bei, sind aber Maßnahmen notwendig, um die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen zu verhindern, wie eine verpflichtende Anhörung vor deren Vollstreckung, um Gründe für die Nichtleistung von Zahlungen offenzulegen. Stellt sich bei dieser Anhörung die Zahlungsunfähigkeit heraus, sollte in der Folge die Strafe ausgesetzt werden.

Ich hoffe, Sie hatten einen schönen Sommer. Jetzt geht es wieder los – auch im Berliner Anwaltsverein: Wir laden Sie ein zum fachlichen Austausch in den Arbeitskreisen und sonstigen Seminaren des Berliner Anwaltsvereins, z.B. zur Reihe „Richter- und Anwaltschaft im Dialog“ mit Berichten von Richterinnen und Richtern des Kammergerichts zur Rechtsprechung im Baurecht (31.08.2023), Verkehrszivilrecht (06.10.2023), Familienrecht (22.11.2023), Arzthaftungsrecht (28.11.2023), Handels- und Gesellschaftsrecht (12.12.2023). Weitere Veranstaltungen auf unserer Website und im Terminkalender in diesem Heft.
Die neuen und die treuen Fans unserer herbstlichen internationalen Fest- und Networkingveranstaltungen bitte ich um zeitnahe Anmeldung, denn wir freuen uns auf Sie und die Plätze sind wieder begrenzt:

Herbstempfang des Berliner Anwaltsvereins
am Donnerstag, 2. November 2023
im PalaisPopulaire
Berliner Anwaltsessen
am Freitag, 3. November 2023
im Hotel Waldorf Astoria

Wir freuen uns ganz besonders auf die Dinner Speech einer der prägenden Persönlichkeiten des deutschen Verfassungsrechts: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Dieter Grimm.

Exklusiv für Mitglieder | Heft 09/2023 | 72. Jahrgang