Editorial – Heft 11/2022

Liebe Leserinnen und Leser, herzlich willkommen im Berliner Anwaltsblatt

Es ist November – eigentlich der Zeitpunkt für das traditionsreiche, seit 1928 vom Berliner Anwaltsverein veranstaltete Berliner Anwaltsessen. Dieses Jahr haben wir unsere Veranstaltungen auf September vorverlegt und es war eine Freude, viele von Ihnen nach zweijähriger Pause wieder im Schlüterhof des Humboldt Forums und beim Berliner Anwaltsessen zu sehen!
Dann gab es auch ein Jubiläum zu feiern: Die nunmehr 20. Berliner Konferenz der Europäischen Rechtsanwaltschaften. Als die jährliche internationale Konferenz des Berliner Anwaltsvereins am 2. November 2001 erstmals stattfand, waren einige auch der diesjährigen internationalen Gäste schon dabei – sie sind dem Berliner Anwaltsverein und dem engen Austausch mit der Berliner Anwaltschaft treu geblieben. „Erste Konferenz der Rechtsanwaltschaften der EU-Beitrittskandidatenländer“ – unter diesem Titel sind wir damals hoffnungsvoll gestartet und der damalige Vorsitzende des Berliner Anwaltsvereins, Dr. h. c. Uwe Kärgel, konnte eine eindrucksvolle Gruppe von ca. 40 Vertreterinnen und Vertretern europäischer Anwaltsvereinigungen in Berlin begrüßen. Der Kalte Krieg und die Diktatur in Europa schienen überwunden, und wie sollten in Zukunft jemals wieder Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Freiheit in Europa gefährdet werden können?
Doch der demokratische und rechtsstaatliche Fortschritt, den wir einst für selbstverständlich hielten, ist vielfach gefährdet. Einige unserer Konferenzen – wie die zur „Unabhängigkeit der Justiz“ – haben dies zum Thema gemacht. Wenn es eine Berufsgruppe gibt, die von Berufs wegen sensibilisiert und engagiert sein sollte für die Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit, so ist es die Anwaltschaft. Es ist unser Beruf, auf unterschiedlichen Feldern das Recht und die Rechte der Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen, und wir sollten dies auch im gesellschaftlichen Kontext tun.
Deshalb hatte die Konferenz, die wieder in der Vertretung der EU-Kommission am Pariser Platz stattfand, in diesem Jahr das Thema „Anwältinnen und Anwälte als Verteidiger der Menschenrechte – Lawyers as Human Rights Advocates“ (Bericht auf den Seiten 412–415 in diesem Heft). Sie war natürlich auch geprägt von den Berichten und der Anwesenheit ukrainischer Kolleginnen und Kollegen, die nach Berlin geflohen sind. Prof. Dr. h. c. Wolfgang Schomburg, Rechtsanwalt, ehemaliger Richter des BGH sowie an den Internationalen Strafgerichtshöfen für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und für Ruanda (ICTR) und Mitglied des Berliner Anwaltsvereins, nutzte dieses Forum in der EU-Kommission, um einmal mehr einen „Europäischen Strafgerichtshof“ der EU zu fordern.
Es ist wichtig, dass wir uns unserer Werte und der Instrumente, sie zu verteidigen, vergewissern. Und wie wichtig 20 Jahrgänge des internationalen europäischen – und oft auch darüber hinausgehenden – Austauschs im Berliner Anwaltsverein sind, das wurde uns nun bei der aktuellen Konferenz besonders deutlich bewusst.

Ihr Uwe Freyschmidt

Uwe Freyschmidt | Rechtsanwalt | Fachanwalt für Strafrecht | Vorsitzender des Berliner Anwaltsvereins
Exklusiv für Mitglieder | Heft 11/2022 | 71. Jahrgang