Ein neuer digitaler Zugang zum Recht
Onlinedienste der Justiz medienbruchfrei gestalten
An jedem Amtsgericht können Bürgerinnen und Bürger Anträge zu ihren Rechtsangelegenheiten stellen und Erklärungen abgeben. Die Digitalisierung schafft zusätzliche Möglichkeiten für Angebote der Justiz. In Anlehnung an die Rechtsantragstellen haben das Bundesministerium der Justiz (BMJ) und die DigitalService GmbH des Bundes, gemeinsam mit zehn Partnerländern und 16 pilotierenden Amtsgerichten, eine nutzerfreundliche, digitale Anlaufstelle geschaffen. Ziel des Vorhabens „Digitale Rechtsantragstelle“ ist es, die Antragstellung und die Abgabe bestimmter Erklärungen online so zu vereinfachen, dass sie für Menschen ohne juristischen Hintergrund intuitiv, informativ und leicht verständlich sind. Gleichzeitig wird durch die Digitalisierung das Vertrauen in staatliche Institutionen gestärkt und die Justiz entlastet.
Der Antrag auf Beratungshilfe ist einer der meistgestell ten Anträge in den Rechtsantragstellen und wurde als erster Anwendungsfall für einen Onlinedienst ausgewählt. Seit August 2024 können Bürgerin nen und Bürger auf der Website service.justiz.de/be ra tungs hilfe den Antrag auf Beratungshilfe Schritt für Schritt in einem Dialogverfahren digital ausfüllen. Wie das Projektteam zeitgemäße Onlinedienste der Justiz entwickelt und vor welchen Hürden es noch steht, beschreibt der folgende Artikel.

Christoph Böhmer | Senior Product Manager und Projektleiter „Digitale Rechtsantragstelle“ | DigitalService | https://digitalservice.bund.de/
EIN ERSTER ANWENDUNGSFALL: ANTRAG AUF BERATUNGSHILFE
Für die Entwicklung digitaler Onlinedienste der Justiz hat sich das Projektteam von vornherein auf eine nutzendenzentrierte, iterative und erkenntnisgetriebene Vorgehensweise festgelegt. Der Plan war, anhand eines ersten Anwendungsfalls möglichst schnell Erkenntnisse im Livebetrieb zu sammeln, die für weitere zu digitalisierende Anträge genutzt werden können. Aufgrund der hohen Zahl gestellter Anträge und der Bedeutung für den Zugang zum Recht ist die Wahl auf den Antrag für Beratungshilfe gefallen.
NEUE WEGE DER KOOPERATION: BÜRGERINNEN UND BÜRGER UND JUSTIZMITARBEITENDE EINBEZIEHEN
Ziel ist es, Onlinedienste der Justiz zu entwickeln, die gleichzeitig passgenau auf zwei Gruppen zugeschnitten sind: die Bevölkerung und die Justizmitarbeitenden. Was nämlich oft vergessen wird: Nicht nur für Bürgerinnen und Bürger sind schwer verständliche Papieranträge mit Frust verbunden. Auch für Mitarbeitende in der Justiz entsteht erheblicher Aufwand, wenn Informationen unvollständig eingereicht und in einem zusätzlichen Arbeitsschritt nachgefordert werden müssen. Die digitalen Eingabesysteme sollen auch die Arbeit der Gerichte effizienter gestalten. „Die digitalen Eingabesysteme sollen auch die Arbeit der Gerichte effizienter gestalten“ Im Zuge der „partizipativen Produktentwicklung“ wurden Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger eng in den Prozess einbezogen. Vor dem Launch hat das Projektteam mehrere Amtsgerichte in Deutschland besucht. Hier konnte es Prototypen mit Bürgerinnen und Bürgern vor Ort testen und gleichzeitig direkte Einblicke in die Arbeit der Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger bekommen. Dabei waren unter anderem Teammitglieder aus den Disziplinen Produktmanagement, UX/UI-Design, User Research und Softwareentwicklung vor Ort. Die Erkenntnisse fließen in die iterative Produktentwicklung ein und helfen dabei, nächste Schritte zu bestimmen, zum Beispiel, wie der Service in den Arbeitsalltag der Amtsgerichte integriert werden kann oder welche weiteren Anträge Potenzial für eine Digitalisierung haben.
Um auf das wertvolle Praxiswissen der Justiz noch besser zugreifen zu können, hat sich über die Befragung hinaus Ende 2023 eine Expertinnen- und Expertengruppe, bestehend aus Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern der Pilotgerichte gegründet. Mithilfe ihres Fachwissens kann das Team fortlaufend schnelles Feedback zu einzelnen Funktionen oder Elementen des Produkts erhalten. Durch den Livebetrieb ist das direkte Feedback der Bürgerinnen und Bürger anhand von Nutzungsdaten weiter gesichert.
EIN DIGITALER ZUGANG ZUM THEMA BERATUNGSHILFE
Nach nur elf Monaten Entwicklungszeit launchte das Projektteam im Sommer 2023 einen ersten Onlinedienst: Einen „Vorab-Check“, mit dem Bürgerinnen und Bürger schnell und einfach durch die Beantwortung von Fragen herausfinden können, ob Beratungshilfe v. a. nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen für sie in Betracht kommt. Nutzende finden den Onlinedienst unter service.justiz.de. Neben dem Vorab-Check gibt es dort detaillierte Informationen zur Beratungshilfe und zur Prozesskostenhilfe. Außerdem wurde ein „Gerichtsfinder“ in die Seite eingebaut, anhand dessen Bürgerinnen und Bürger herausfinden können, wo sie ihren Antrag später ausfüllen und einreichen können.
Der Vorab-Check etablierte sich schnell: Insgesamt wurden seit dem Launch im Sommer 2023 etwa 12.000 Vorab- Checks durchgeführt, circa 80 Prozent der Nutzen den bewerteten ihn als hilfreich. Inzwischen besuchen circa 2.000 Personen pro Woche die Seite serice.justiz.de/beratungshilfe.
„Der neue Onlinedienst ist verständlich, intuitiv und fragt nur die Informationen ab, die wirklich gebraucht werden“
Wenn der Vorab-Check positiv ausfällt, die Person also ein Anrecht auf Beratungshilfe hat, wird sie zum nächsten Schritt weitergeleitet: dem Antrag auf Beratungshilfe. Das digitale Eingabesystem ist seit August 2024 online und kann Schritt für Schritt dialoggeführt ausgefüllt werden. Der neue Onlinedienst zeichnet sich aus durch eine einfachere Sprache, Erläuterungen und eine durchdachte Klick-Logik, die Nutzenden nur die für ihren Fall relevanten Fragen stellt. Er ist verständlich, intuitiv und fragt nur die Informationen ab, die wirklich gebraucht werden.
HERAUSFORDERUNGEN AUF DEM WEG ZUM VOLLSTÄNDIG DIGITALEN ANTRAG
Der digitale Antrag auf Beratungshilfe ist für das Team ein echter Meilenstein und soll als Wegbereiter für weitere digital zugängliche Rechtsanträge und Erklärungen dienen. Folgende nächste Schritte gilt es jetzt zu bewältigen:
ENDE-ZU-ENDE-DIGITALISIERUNG
Am Ende des digitalen Antrags können Bürgerinnen und Bürger das ausgefüllte Formular aktuell nur als PDFDokument herunterladen. Dieses können sie über einen sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 130a Abs. 3 ZPO elektronisch übermitteln. Alternativ können sie es ausdrucken und per Post oder persönlich beim Amtsgericht einreichen. Die Möglichkeit, die Daten direkt über die Website service.justiz.de digital und strukturiert an das jeweilige Amtsgericht zu schicken, gibt es zurzeit noch nicht. Aber das Entwicklungsteam arbeitet an einer Lösung, um die Anbindung des Onlinedienstes über einen sicheren Übermittlungsweg zu realisieren.
RECHTSSICHERHEIT UND EINFACHHEIT
Durch die Interviews und Tests mit den antragstellenden Personen hat das Team gelernt: Der Antrag auf Beratungshilfe ist für viele Bürgerinnen und Bürger schwer verständlich. Mit einer dialoggeführten Abfrage vereinfacht der Onlinedienst die Antragstellung. Selbstverständlich müssen die Formulierungen der Abfragen rechtlich zutreffend sein und von den Rechtssuchenden auch so verstanden werden. Hier steht das Entwicklungsteam immer wieder vor der Herausforderung, eine Balance zu finden. Was brauchen die Justizmitarbeitenden? Was sagt das Gesetz? Wie kann es verständlich für Bürgerinnen und Bürger formuliert werden? Zusammen haben BMJ und DigitalService deshalb überlegt, wie das bundeseinheitliche Formular verbessert werden könnte. In diesem Prozess wurden an den Pilotgerichten verschiedene Formulierungen getestet und iteriert, die bei einer etwaigen Überarbeitung der Beratungshilfeformularverordnung (BerHFV) berücksichtigt werden können. Es wird aber weiterhin daran gearbeitet, die Balance aus Rechtssicherheit und Verständlichkeit zu optimieren.
NÄCHSTE SCHRITTE FÜR DIE DIGITALE RECHTSANTRAGSTELLE
Getreu der agilen Arbeitsweise testet und iteriert das Projektteam den digitalen Antrag im Live-Betrieb. Erste Rückmeldungen aus den Pilotgerichten zeigen bereits, dass über service.justiz.de erstellte Anträge auf Beratungshilfe ohne Zwischenverfügungen bewilligt werden konnten. Außerdem wird mit hoher Priorität daran gearbeitet, die Daten und Anträge direkt digital und mit strukturierten Daten (XJustiz) an Gerichte zu übertragen.
Ein nächster Schritt ist die Digitalisierung weiterer Justizdienste: Bereits im Sommer 2024 wurde eine sechswöchige Discoveryphase durchgeführt, mit dem Ziel, ein Formular im Kontext der Prozesskostenhilfe zu digitalisieren – die „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe“. Auch eine Recherchephase rund um das Thema „Zwangsvollstreckung für Schuldnerinnen und Schuldner“ ist bereits abgeschlossen.
Mit dem „Antrag auf Beratungshilfe“ ist ein erster nutzerfreundlicher Anwendungsfall für digitale Rechtsanträge realisiert worden. Nach und nach werden auf service.justiz.de weitere digitale Rechtsanträge und Rechtsinformationen erscheinen, mit dem großen Ziel, zukünftig sämtliche Leistungen und Informationen der Justiz online anzubieten und perspektivisch in einem bundeseinheitlichen Justizportal zu bündeln. Damit geht die Justiz nicht nur einen wichtigen Schritt in Richtung Digitalisierung, sondern erhöht auch Effizienz und Komfort für Bürgerinnen und Bürger sowie für Justizmitarbeitende.