Einführung in das „Sanktionsstrafrecht“
Die Vernachlässigung des Exportkontrollrechts in Unternehmen und die Folgen für die beteiligten Akteure
Deutschland ist und bleibt ein bedeutendes Exportland. An dieser Stelle könnte dieser Beitrag in einer optimalen Welt sogar schon enden, wäre da nicht ein im letzten Jahrzehnt stetig wachsendes „Aber“.
I. HÜRDENLAUF FÜR UNTERNEHMEN
Das letzte Jahrzehnt war für Unternehmen besonders turbulent. Die Europäische Union (EU) war sehr fleißig und hat durch ständig wechselnde Sanktionspakete die Unternehmen der Exportbranche in einen nie endenden Hürdenlauf gezwungen. Alle Unternehmen sowie deren Geschäftsleitungen waren aufgefordert, neue Wege zu beschreiten. Alte Geschäftsbeziehungen mussten neuen weichen. Interne Prüfprozesse, Compliance-Strukturen sowie Lieferwege mussten kontinuierlich optimiert, Risiken identifiziert und anschließend minimiert werden. Für die notwendigen strukturellen Anpassungen und zur Einhaltung der neuen Vorschriften mussten erhebliche finanzielle Mittel aufgeopfert und nicht wenig Zeit investiert werden. Das zuvor oft vernachlässigte Exportkontrollrecht begann in dieser Krisenzeit zu florieren.
Márk Dombi, LL.M. | Selbständiger Rechtsanwalt & Strafverteidiger | Master of Laws (Wirtschaftsstrafrecht) | www.linkedin.com/in/markdombi
II. EXPORTKONTROLLE IST CHEFSACHE – DER AUSFUHRVERANTWORTLICHEN
Heutzutage wird es für die Unternehmensführung immer schwieriger, regelkonform zu handeln und gleichzeitig profitabel zu bleiben. Die bürokratische Belastung, die auch die Führungsebene nicht verschont, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen – ein Ende ist leider nicht in Sicht. Die Geschäftsleitung muss in dieser herausfordernden Zeit versuchen, das Unternehmen ohne gravierende Verluste durch die Krise zu manövrieren.
III. DIE ROLLE DES AUSFUHRVERANTWORTLICHEN IM EXPORTKONTROLLRECHT
Unternehmen in der Exportbranche sind unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, gegenüber dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) einen Ausfuhrverantwortlichen (AV) zu benennen. Der Ausfuhrverantwortliche, ein Mitglied der Geschäftsleitung, ist persönlich für die Einhaltung der relevanten außenwirtschaftlichen Vorschriften verantwortlich. Er kann einen sogenannten Exportkontrollbeauftragten im Unternehmen bestimmen, der den Bereich dann operativ verantwortet. Dies entbindet den Ausfuhrverantwortlichen jedoch grundsätzlich nicht von seiner persönlichen Haftung für Verstöße. Die entsprechenden Regelungen des § 9 OWiG und des § 14 StGB sind dabei stets zu beachten.
IV. WAS SIND DIE MÖGLICHEN FOLGEN EINES EMBARGOVERSTOßES?
1. Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
Die zentralen Regelungen finden sich im Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und in der Außenwirtschaftsverordnung (AWV). Auch hier treibt das Phänomen der Blankettgesetzgebung sein dogmatisches „Unwesen“. Die EU-Verordnungen, die die Wirtschaftssanktionen festlegen, sogenannte Embargos, gelten in Deutschland unmittelbar. Verstöße gegen Waffenembargos (§ 17 AWG) oder unter anderem Warenembargos (§ 18 AWG) werden national streng geahndet. Für Ordnungswidrigkeiten gilt § 19 AWG, während § 20 AWG die Einziehung von inkriminierten Gegenständen regelt. § 22 Absatz 4 AWG ermöglicht eine strafbefreiende Selbstanzeige nur bei einfachen Verstößen.
Die Strafrahmen haben es in sich: Verstöße gegen Waffenembargos werden grundsätzlich mit mindestens einem Jahr bis zu zehn Jahren Haft bestraft (Verbrechen), während bei Verstößen gegen Warenembargos & Co. grundsätzlich eine Haftstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren droht (Vergehen). Eine Geldstrafe sieht das AWG nur in bestimmten Konstellationen vor, was die Gefahr einer üppigen Haftstrafe, insbesondere aufgrund des praxisbekannten Umgangs mit dem § 47 StGB, erhöht. Da viele Verstöße in der Branche ruck, zuck als gewerbsmäßig eingestuft werden können, fällt es den Gerichten nicht besonders schwer, Haftstrafen (auf Bewährung) zu verhängen. Bei fahrlässigen Verstößen (§ 19 AWG) müssen Renitente derzeit mit einem oft existenzgefährdenden Bußgeldrahmen von bis zu 500.000 Euro rechnen.
Zuwiderhandlungen gemäß § 17 AWG können derzeit sowohl vorsätzlich als auch leichtfertig begangen werden, während gemäß § 18 AWG sowohl vorsätzliche als auch fahrlässige Tatbegehungen strafbar sind. Die strafbefreiende Selbstanzeige gemäß § 22 Absatz 4 AWG gilt nur in begrenztem Umfang. Eine theoretische, aber oft kaum praxisnahe Erleichterung könnten derzeit noch die Strafausschließungsgründe des § 18 Absatz 11 und 12 AWG bieten. Bei vorsätzlichen Verstößen gegen § 17 AWG bleibt die Hoffnung auf einen minder schweren Fall, der die drastische Mindeststrafe von einem Jahr auf drei Monate reduzieren kann.
2. AWG ist also in seiner besten Form – was gibt es noch zu beachten?
Die derzeitigen Regelungen des AWG sind zwar beachtlich, doch bei einem Embargoverstoß sind sie nicht die einzigen relevanten Vorschriften, die zu berücksichtigen sind.
a. Strafrechtliche Begleitdelikte
Es lauern auch Begleitdelikte wie Untreue, Geldwäsche oder Insolvenzstraftaten. Das Risiko, dass sich solche Delikte still und unbemerkt in den entsprechenden Sachverhalt „einschleichen“, steigt erheblich, sobald die Beteiligten versuchen, ein instabiles System mit „DIY”- Lösungen zu retten.
b. Praxisrelevanteste Nebenfolgen
Zu diesen gehören insbesondere die Regelungen zur Einziehung und Vermögensabschöpfung, die sich, insbesondere im Strafgesetzbuch (§§ 73 ff. StGB), im Ordnungswidrigkeitengesetz (§ 30, § 130 bzw. § 29a OWiG) und in der Strafprozessordnung (vorläufige prozessuale Maßnahmen gemäß §§ 111e ff. StPO) finden. Diese Regelungen treffen angesichts des in Deutschland fehlenden Unternehmensstrafrechts vor allem das Portemonnaie der betroffenen Unternehmen.
c. Weitere Folgen
Zu den weiteren Folgen gehören, sofern die Voraussetzungen vorliegen, mögliche Einträge in verschiedene Register (etwa § 149 GewO, § 123 GWB) sowie gesetzliche (§ 70 StGB, § 6 Absatz 2 GmbHG) oder praktische Berufsverbote, wie etwa US-Einreiseverbote gemäß § 212(a)(2)(A)(i)(I) des Immigration and Nationality Act (INA) für verurteilte Geschäftsführer. Die Liste der möglichen Konsequenzen umfasst zudem etwa den Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren sowie den schmerzhaften Verlust von Jagd- und Waffenscheinen. Für die Geschäftsleitung und Unternehmen können diese Regelungen gravierende Folgen haben. Für die Verteidigung ist es wichtig, diese Risiken genau zu kennen, um eine maßgeschneiderte Strategie zu entwickeln (vgl. etwa § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB). Im schlimmsten Fall müssen Beschuldigte von Anfang an die Gastfreundschaft der Justizvollzugsanstalten in Form von Untersuchungshaft kennenlernen.
3. Andere Regelungen von Relevanz
Neben dem AWG und der AWV gibt es selbstverständlich weitere relevante (nationale) Regelungen, wie etwa das Sanktionsdurchsetzungsgesetz (SanktDG), das zwar nicht direkt den Warenverkehr, sondern die persönlichen Sanktionen ins Visier nimmt, sowie das Geldwäschegesetz (GwG). Verstöße gegen diese Gesetze sollten ebenfalls vermieden werden – es sei denn, man möchte frühmorgens unbedingt von der Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung oder anderen Einheiten der Zollverwaltung geweckt werden.
4. Die AWG-Novelle steht bevor – ja, wieder
Deutschland verfügt zwar mit dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) bereits über eine solide Grundlage, doch hat die EU mit der Richtlinie 2024/1226 vom 24. April 2024 (in Kraft seit dem 19. Mai 2024) neue Mindeststandards eingeführt, um die Folgen von Sanktionsverstößen innerhalb der EU zu harmonisieren. Die nationale Umsetzung soll nach den bisherigen Informationen (Stand: September 2024) insbesondere dazu führen, dass bestimmte Taten, die bisher als Ordnungswidrigkeiten galten, künftig als Straftaten geahndet werden. Infolgedessen entfällt bei Verstößen gegen Embargos die Möglichkeit zur Selbstanzeige gemäß § 22 Absatz 4 AWG. Zudem soll die umstrittene Strafbarkeit von Verstößen gegen das Umgehungsverbot ihr lange (nicht) erwartetes Comeback feiern. Ob Letzteres diesmal ohne Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes funktionieren wird, bleibt abzuwarten. Weiterhin ist vorgesehen, dass der derzeit geltende Strafausschließungsgrund des § 18 Absatz 11 AWG drastisch zurückgeschnitten wird. Das aktuelle Strafmaß soll in bestimmten Konstellationen des § 18 AWG ebenfalls angepasst werden, indem in „besonders schweren Fällen“ die Verhängung einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten vorgesehen wird. Zugleich wird der Höchstbetrag für Unternehmensgeldbußen von derzeit 10 Millionen Euro auf 40 Millionen Euro oder bis zu 5 Prozent des weltweiten Gesamtumsatzes angehoben. Die besagte EU-Richtlinie bringt weitere relevante Änderungen für die Exportbranche mit sich. Hoffentlich können diese in einem gesonderten Beitrag behandelt werden.
V. AUSBLICK
Die Schlinge zieht sich weiter zu. Mit dem 14. Sanktionspaket vom Juni 2024 hat die EU die bestehenden Embargoverordnungen für Russland und Belarus weiter verschärft.
So wurde etwa mit der Einführung des Artikels 8a der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 (Russland) ein praktisches, wenn auch nicht rechtliches „Sekundärsanktionsinstrument“ gegen Tochtergesellschaften von EU-Unternehmen in Drittländern geschaffen. Das 15. Sanktionspaket der EU steht bereits bevor.
Das Sanktionsrecht bleibt ein lebendes Rechtsgebiet, und der Beratungsbedarf der Branche ist weiterhin enorm. Bereits diese solide Einführung in die Thematik zeigt, dass die Regelungen nicht nur weitreichend und komplex sind, sondern auch eine gewisse Eigendynamik besitzen. Es erweist sich als anspruchsvoller Nischenbereich. In Anbetracht dessen sollte die Verteidigung nicht nur prozessual gut aufgestellt und im klassischen Wirtschaftsstrafrecht für Führungskräfte und Unternehmen versiert sein, sondern auch im Zoll- und Steuer(straf) recht über umfassende Kenntnisse verfügen. Der Rest ist wie immer: Strafverteidigung: ein Balanceakt zwischen Diplomatie und Kampf.