Emojis in Textnachrichten: (Schriftformkonforme) Willenserklärungen?
Die Entscheidung des OLG München vom 11.11.2024, Az. 19 U 200/24 e
Im Zeitalter weitgehend digitalisierter Kommunikation müssen sich Gerichte nicht nur mit der Problematik auseinandersetzen, ob und wann die Nutzung von Emojis ( 😊👍😂😤 etc.) eine vertragliche Willenserklärung darstellen kann. Falls gesetzliche oder vertraglich vereinbarte (Schrift-)Formerfordernisse zur Anwendung kommen, stellt sich auch die Frage, ob mittels Textnachricht versandte Emojis formwahrend sind.

Patrick Ostendorf | Professor für Wirtschaftsrecht | Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin | Of Counsel, Orka Rechtsanwälte, Berlin | www.orka.law
DER SACHVERHALT (😤🕵️♀️)
Mit beiden Fragen hat sich auch das OLG München in einer im November 2024 ergangenen und sehr lesenswerten Entscheidung auseinandergesetzt. Streitgegenständlich waren ein Lieferverzug und die daraus resultierenden Rechtsfolgen im Zusammenhang mit dem Kauf eines Ferrari vom Typ SF90 Stradale für einen Kaufpreis von rund 600.000 Euro – namentlich die wechselseitige Erklärung eines Rücktritts der Parteien vom Vertrag nebst Rückgewähransprüchen des Käufers (Betreiber einer Immobilienfirma) auf der einen und Schadensersatzverlangen statt der Leistung seitens der Verkäuferin (einer Autohändlerin) auf der anderen Seite.
In ihrem im November 2020 geschlossenen Kaufvertrag hatten die Vertragsparteien als „unverbindlichen Liefertermin“ das „2./.3 Quartal 2021“ vereinbart. Zudem war vertraglich geregelt, dass im Fall der Vereinbarung eines unverbindlichen Liefertermins der Käufer die Lieferung erst anmahnen könne, wenn der „unverbindliche Liefertermin“ um „zwei Quartale“ überschritten worden sei. Im September 2021 teilte die Verkäuferin dem Käufer dann per WhatsApp-Nachricht mit, die Lieferung verschiebe sich „auf das erste Halbjahr 2022“. Der Käufer reagierte darauf mit der Übersendung eines 😬 Emoji („Grimassen schneidendes Gesicht“) und bat um einen Beleg dafür, dass die Herstellerin Ferrari die Bestellung wenigstens verbindlich bestätigt habe. Den im Folgenden von der Verkäuferin übermittelten Nachweis quittierte er mit einem 👍. Ende Januar 2022 fragte der Käufer wiederum per WhatsApp-Nachricht unter Beifügung eines („grinsendes Gesicht mit lachenden Augen“) Emoji, wann er mit der Lieferung rechnen könne. Die Verkäuferin stellte daraufhin die Lieferung für Mai 2022 in Aussicht.
Nachdem die Verkäuferin diesen Auslieferungstermin wegen defekter Batterien des Autos wiederum nicht halten konnte, setzte der Käufer der Verkäuferin am 10. Mai 2022 eine (einmalig verlängerte) Nachfrist bis Ende Mai 2022, erklärte nach fruchtlosem Fristablauf den Rücktritt vom Vertrag und verlangte eine geleistete Anzahlung des Kaufpreises in Höhe von rund 60.000 Euro gemäß § 346 Abs. 1 BGB schließlich im Klageweg zurück. Die Verkäuferin erklärte darauf ihrerseits den Rücktritt vom Kaufvertrag und machte im Wege der Widerklage Nichterfüllungsschäden in Höhe von rund 100.000 Euro (Differenz zwischen dem mit dem Kläger vereinbartem Kaufpreis und dem gegenüber einem anderen Käufer für den Ferrari schließlich erzielten Kaufpreis) geltend.
DIE ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE (👍👦) ⚖️
Anders als die Vorinstanz hat das OLG München der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Auf Grundlage der ursprünglichen Einräumung der zusätzlichen Lieferfrist (sog. „unechte Nachfrist“) sei der Anspruch des Käufers auf Lieferung jedenfalls spätestens am 31. März 2022 fällig geworden. Die schließlich im Mai 2022 durch den Käufer gesetzte Nachfrist (§ 323 Abs. 1 BGB) müsse vor diesem Hintergrund (sowie der Tatsache, dass ein auf den Listenpreis vereinbarter Aufpreis von 80.000 Euro gerade auch für eine zeitnahe Lieferung vereinbart worden sei) als angemessen angesehen werden.
Insbesondere könne in den zwischen den Parteien nach Vertragsschluss ausgetauschten WhatsApp-Nachrichten auch keine Änderungsvereinbarung zugunsten einer Verschiebung dieses (verbindlichen) Liefertermins auf den 30. Juni 2022 gesehen werden: Das 😬 Emoji drücke nach objektivem Empfängerhorizont unter Berücksichtigung gebräuchlicher Emoji-Lexika „negative oder gespannte Emotionen“, namentlich „Nervosität, Verlegenheit, Unbehagen oder Peinlichkeit“ aus. Da eine abweichende Bedeutung auch nicht aufgrund der individuellen Umstände der Parteien bzw. ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (etwa in Form eines gruppenspezifischen „Emoji-Soziolekts“) ersichtlich sei, könne diese Textnachricht des Käufers nicht als (vertragliches) Einverständnis mit einer Verlegung des Liefertermins ausgelegt werden. Das später durch den Käufer versandte 👍 Emoji beziehe sich wiederum nur auf den Nachweis der Bestellung beim Hersteller, nicht aber auf den vorangehenden Austausch der Parteien über den Liefertermin. Der Verwendung des 😁 Emoji in der im Januar 2022 übersandten Nachricht könne schließlich bestenfalls ein Ausdruck unspezifischer Freude oder Hoffnung, nicht aber ein Erklärungsbewusstsein des Käufers entnommen werden.
Nicht mehr entscheidungsrelevant war damit im Ergebnis auch die Frage, ob angesichts einer vertraglich vereinbarten Schriftform für Vertragsänderungen ein per WhatsApp und Emojis geschlossener Änderungsvertrag hinsichtlich des Lieferdatums überhaupt die maßgeblichen Voraussetzungen von § 127 Abs. 2 BGB erfüllt hätte. Anders als etwa das OLG Frankfurt (OLG Frankfurt, NJW 2024, 1425) bejaht das OLG München allerdings diese Frage grundsätzlich unter Berücksichtigung des „entwicklungsoffenen Begriffs“ der „telekommunikativen Übermittlung“: Auch bei WhatsApp-Nachrichten seien Dauerhaftigkeit und Reproduzierbarkeit gewährleistet. Im Übrigen träfe angesichts ihrer mittlerweile weiten Verbreitung auch im geschäftlichen Verkehr nicht (mehr) zu, dass Messengerdienste weit überwiegend nur zum Austausch privater Nachrichten genutzt würden.
BEWERTUNG (🧐)
Wie das OLG München zutreffend herausarbeitet, gilt für die Verwendung von Emojis im Ausgangspunkt nichts anderes als für sonstige Kommunikationsakte: Ob der für eine vertragliche Willenserklärung notwendige Rechtsbindungswillen vorliegt, muss im Rahmen der Auslegung nach objektivem Empfängerhorizont beantwortet werden. Dafür ist nicht nur auf den allgemeinen Emoji- Gebrauch (der ggf. auch mit Hilfe von online verfügbaren Emoji-Lexika wie emojipedia.org ermittelt werden kann), sondern auch auf die Begleitumstände des Einzelfalls wie „weitere Teile eines längeren Diskurses, Eigenheiten und Gestaltung der Kommunikations-Plattform, situativer Rahmen sowie Vorverhalten und der persönliche, kulturelle oder soziale Hintergrund der Beteiligten“ (Pendl, NJW 2022, 1054, 1057) abzustellen.
„Wer mit Emojis kommuniziert, sollte sich ihrer potenziellen Auslegung als vertraglicher Willenserklärung bewusst sein“
Mit Blick auf die jedenfalls vergleichsweise liberal verstandenen Formvoraussetzungen gemäß § 127 Abs. 2 BGB liegt das OLG München dabei international durchaus im Trend: Noch weitergehend hat etwa kürzlich der kanadische Court of Appeal for Saskatchewan einem per Textnachricht übermittelten 👍 Emoji unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht nur materiellrechtlich einen ausreichenden Rechtsbindungswillen zur Annahme eines Vertragsangebots entnommen: Vielmehr sei dadurch kumulativ mit den übermittelten Metadaten auch das im kanadischen Kaufrecht für die Durchsetzbarkeit kaufvertraglicher Ansprüche vorgesehene Formerfordernis aus Section 6 Abs. 1 Sale of Goods Act (das vergleichsweise mit der gesetzlichen Schriftform gemäß § 126 Abs. 1 BGB nicht nur verkörperte Willenserklärungen, sondern auch eine Unterzeichnung (Signature) durch die Parteien verlangt, erfüllt (Urteil v. 16.12.2024, Achter Land & Cattle Ltd. v South West Terminal Ltd., 2024 SKCA 115); die sehr lesenswerte Entscheidung (unter Einschluss des mit Blick auf die grammatikalische Auslegung des Begriffs der „Signature“ überzeugenderen Minderheitsvotums des Richters Barrington-Foote) ist abrufbar unter https://canlii.ca/t/k8d5k.
„Für vertragliche Schriftformvereinbarungen empfiehlt sich eine ausdrückliche vertragliche Klarstellung, was unter der vereinbarten Schriftform genau zu verstehen sein soll“
PRAXISFOLGEN (☝️)
Wer insbesondere im Rahmen von laufenden Vertragsverhandlungen mit Emojis kommuniziert, sollte sich also stets ihrer potenziellen Auslegung als vertraglicher Willenserklärung bewusst sein. Für vertragliche Schriftformvereinbarungen (die im deutschen Recht angesichts des in § 305b BGB verankerten zwingenden Vorrangs der Individualabrede ohnehin nur individualvertraglich sowie in Form „doppelter“ bzw. „qualifizierter“ Schriftformklauseln sinnvoll sind) empfiehlt sich angesichts der wenig geglückten widerleglichen Vermutungsregelungen in § 127 Abs. 1 und Abs. 2 BGB wiederum eine ausdrückliche vertragliche Klarstellung, was (und was nicht) nach Auffassung der Parteien unter der vereinbarten Schriftform genau zu verstehen sein soll.