EuGH stärkt den Schutz für Drittstaatenwerke

Die Entscheidung zum „Eames Chair“ und ihre Folgen für das Urheberrecht in der EU

DIE BERNER ÜBEREINKUNFT UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS MODERNE URHEBERRECHT

Ein völkerrechtlicher Vertrag aus dem 19. Jahrhundert, die Revidierte Berner Übereinkunft (RBÜ), prägt bis heute das Urheberrecht. Doch eine aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) könnte dessen Anwendung im Bereich der angewandten Kunst grundlegend verändern.

Der EuGH hat klargestellt, dass Kunstwerke aus Drittstaaten in der Europäischen Union denselben Schutz genießen müssen wie Werke aus EU-Mitgliedstaaten. Dieses Prinzip wurde in einem Fall um den berühmten „Eames Chair“ des Schweizer Designers Vitra bestätigt.

Meinhard Ciresa ist Rechtsanwalt in Wien und berät seit über 25 Jahren schwerpunktmäßig im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht | https://ciresa.at

GEGENSEITIGKEIT ODER GLEICHBEHANDLUNG? DIE RBÜ UND IHRE GRENZEN

Das internationale Urheberrecht setzt auf Gleichbehandlung: Ausländische Urheber sollen genauso geschützt werden wie inländische. Dieses Prinzip der Inländerbehandlung ist in Art. 5 Abs. 1 RBÜ verankert. Auch das Welturheberrechtsabkommen (WUA) und das Rom-Abkommen von 1961 (RA) sehen dieses Prinzip vor.

Trotz der unterschiedlichen Schutzsysteme der Mitgliedstaaten wurde bewusst auf ein einheitliches Schutzrecht verzichtet. Der Grundsatz der Gegenseitigkeit, wonach Schutz nur gewährt wird, wenn das Ursprungsland des ausländischen Urhebers einen vergleichbaren Schutz bietet, findet im Urheberrecht nur punktuell Anwendung – etwa in Art. 2 Abs. 7 RBÜ für Werke der angewandten Kunst.

VITRA GEGEN KWANTUM: DESIGNSCHUTZ IN DER EU

Im Zentrum des Rechtsstreits stand der „Dining Sidechair Wood“, entworfen von den US-Designern Charles und Ray Eames. Der Stuhl wurde ursprünglich im Rahmen eines Designwettbewerbs des New Yorker Museums of Modern Art entwickelt und wird heute vom Schweizer Möbelhersteller Vitra vermarktet, der die Rechte an den Entwürfen hält.

Der niederländische Möbelhändler Kwantum brachte jedoch einen Stuhl namens „Paris-Stuhl“ auf den Markt, der dem „Dining Sidechair Wood“ stark ähnelte. Vitra klagte daraufhin wegen Urheberrechtsverletzung. Der niederländische Oberste Gerichtshof legte dem EuGH die Frage vor, ob Werke aus Drittstaaten, wie den USA, denselben Schutz wie EU-Werke beanspruchen können. Dabei ging es insbesondere um die sogenannte „Klausel der materiellen Gegenseitigkeit“ aus der RBÜ.

EuGH: WARUM UNIONSRECHT VORGEHT

Der EuGH entschied, dass die Richtlinie 2001/29/EG (Urheberrechtsrichtlinie) Vorrang vor der RBÜ hat, sofern der jeweilige Gegenstand als „Werk“ im Sinne der Richtlinie eingestuft werden kann. Zwei Kernpunkte der Entscheidung sind hervorzuheben:

  1. Unionsrechtlicher Schutz für alle Werke: Wenn ein Gegenstand in der EU als „Werk“ gilt, muss er nach den Regeln der Urheberrechtsrichtlinie geschützt werden – unabhängig von seinem Ursprungsland oder der Staatsangehörigkeit des Urhebers. Damit hat der EuGH das Prinzip der Gleichbehandlung auf alle Werke, deren Schutz in der EU begehrt wird, ausgedehnt.
  2. Eingeschränkte Kompetenzen der Mitgliedstaaten: Die EU hat die Kompetenz für das Urheberrecht übernommen und macht nationale Sonderregeln wie die Gegenseitigkeit überflüssig. Es liegt allein in der Verantwortung des Unionsgesetzgebers, Einschränkungen des urheberrechtlichen Schutzes zu regeln.

„Einheitlicher Schutz für Werke in der EU – unabhängig von Herkunftsland und Staatsangehörigkeit der Urheber“

DAS DISKRIMINIERUNGSVERBOT ALS UNIONSRECHTLICHE LEITLINIE

Das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot sichert die Gleichbehandlung und überlagert nationale Sonderregelungen. Es hebt fremdenrechtliche Vorschriften wie die §§ 120 bis 123 UrhG ebenso auf wie traditionelle internationale Schutzsysteme, darunter die RBÜ und das Rom- Abkommen.

Der EuGH stellt damit klar: Das Ziel der Harmonisierung des EU-Urheberrechts hat Vorrang vor internationalen Regelungen, die Drittstaatenwerke benachteiligen könnten.

DAS URTEIL IN DER SACHE „TOD’S“

Eine ähnliche Frage stellte sich bereits 2005 in der Entscheidung „Tod’s“ (EuGH v. 30.6.2005, C-28/04). Auch hier ging es um Art. 2 Abs. 7 RBÜ, der für den Schutz von Mustern und Modellen ein Gegenseitigkeitsprinzip vorsieht. Nach dieser Regelung darf ein Verbandsstaat Schutz nur gewähren, wenn das Ursprungsland des Werks ebenfalls doppelten Schutz vorsieht. Der EuGH stellte fest, dass diese Regelung mittelbar diskriminierend ist, da sie zwar auf das Ursprungsland abstellt, in der Praxis aber oft mit der Staatsangehörigkeit des Urhebers verknüpft ist. Mangels Rechtfertigungsgrunds erklärte der EuGH die Regelung für unionsrechtswidrig.

HARMONISIERUNG DES URHEBERRECHTS IN DER EU

Die Entscheidung des EuGH bringt die Mitgliedstaaten in ein Spannungsverhältnis. Einerseits sind sie als Verbandsstaaten der RBÜ verpflichtet, deren Bestimmungen umzusetzen. Andererseits wird ihnen dies durch den Vorrang des Unionsrechts unmöglich gemacht.

„Die EuGH-Entscheidung schützt Drittstaatenwerke direkt und stärkt die Harmonisierung des EU-Urheberrechts“

Der EuGH hebt hervor, dass dieser Vorrang dem Ziel der Harmonisierung dient: Eine einheitliche Anwendung der Urheberrechtsrichtlinie verhindert, dass das Prinzip der materiellen Gegenseitigkeit aus Art. 2 Abs. 7 RBÜ in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt wird. Außereuropäische Urheber profitieren damit direkt von der Anwendung der Urheberrechtsrichtlinie.

PRAXISRELEVANZ: KONSEQUENZEN FÜR UNTERNEHMEN

Für Unternehmen wie Vitra bedeutet die Entscheidung, dass sie sich innerhalb der EU auf einen einheitlichen Schutz ihrer Designs verlassen können – unabhängig davon, ob ein Ursprungsland wie die USA das Werk selbst umfassend schützt. Gleichzeitig schafft der EuGH mit seiner Rechtsprechung mehr Sicherheit für die Rechtsdurchsetzung bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten. Anwälte können diese klare Rechtslage nutzen, um Mandanten bei der Entwicklung internationaler Schutzstrategien zu unterstützen.

EIN MEILENSTEIN FÜR INTERNATIONALEN KUNSTSCHUTZ

Die Entscheidung des EuGH markiert nicht nur einen Meilenstein, sondern wirft auch die Frage auf, wie weit der unionsrechtliche Vorrang in anderen Bereichen das internationale Urheberrecht prägen wird.

Heft 01/02 | 2025 | 74. Jahrgang