Existenz Bielefelds juristisch geklärt

Streitwert: Eine Million Euro

Mit der Zeile: „Ich war zum ersten Mal verliebt in der Stadt, die es nicht gibt“ setzte der Rap-Rocker Casper erst kürzlich sowohl seiner Heimat Bielefeld als auch der Bielefeld-Verschwörung ein musikalisches Denkmal. Bielefeld gibt es nicht, so lautet die zentrale Botschaft der satirischen Verschwörungstheorie, die der damalige Informatikstudent Achim Held 1994 in der Newsgroup de.talk.bizarre veröffentlicht hatte.

Jens-Christof Niemeyer ist Syndikusrechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht | Als Vice President Legal & Compliance leitet er die Rechtsabteilung der Dr. Wolff Group aus Bielefeld | https://jcniemeyer.com

WELTBEKANNT: BIELEFELD CONSPIRACY, CONSPIRACIÓN DE BIELEFELD, COMPLOT DE BIELEFELD

In der Wikipedia werden Informationen zur Bielefeld- Verschwörung in 26 Sprachversionen vorgehalten. Auch ChatGPT antwortet auf die Frage, wofür Bielefeld außerhalb seiner Stadtgrenze bekannt ist, wenn ausdrücklich um nur eine Antwort gebeten wird, zuweilen mit einem Hinweis auf die Bielefeld-Verschwörung.

EINE MILLION EURO FÜR BEWEIS DER NICHTEXISTENZ

Zum 25. Geburtstag verhalf das örtliche Stadtmarketing der Verschwörung im Jahr 2019 endgültig zum Weltruhm, als es die #Bielefeldmillion auslobte. Eine Million Euro sollte die Person bekommen, der innerhalb des Teilnahmezeitraums als erste der unwiderlegliche Beweis der Nichtexistenz Bielefelds gelänge. Der Marketing-Gag stieß weltweit auf große Begeisterung und fand seinen Weg unter anderem in die New York Times, zur BBC und in den Guardian.

ANGEHÖRIGE DER ILLUMINATI AUSGESCHLOSSEN

Kein Wunder. Die Aktion griff bekannte Elemente sogenannter Verschwörungstheorien gekonnt und humorvoll auf. So waren Geheimagent:innen und Angehörige der Illuminati von der Teilnahme ausgeschlossen. In der Auslobung hieß es: „Die Echsenmenschen aus dem Inneren der Erde haben dich angerufen und du hast es auf Band? Du hast die Landung eines Ufos in Bielefeld-Baumheide fotografiert? Kondensstreifen am Himmel haben dir eine geheime Botschaft zukommen lassen? Du hast da mal was auf Facebook gelesen? Zeig uns deine Beweise.“

THEORIE ./. ERZÄHLUNG

Zeitlich kam die #Bielefeldmillion der Corona-Pandemie zuvor, die in Teilen der Gesellschaft einen bewussteren sprachlichen Umgang mit dem Begriff Verschwörungstheorie bewirkte und für gedankliche Konstrukte, in denen Fakten und Fiktion so vermengt sind, dass die wissenschaftliche Überprüfung gerade nicht gewollt ist, den Begriff der Verschwörungserzählung hervorbrachte. Eine begriffliche Nachschärfung (Bielefeld-Erzählung) wäre angesichts des offensichtlich satirischen Charakters wohl auch später nicht geboten gewesen.

GEDENKSTEIN MARKIERT DAS ENDE

So konnte auch keiner der eingesandten 2.000 Beweise überzeugen und der Bielefeld-Verschwörung wurde 2019 mit einem Gedenkstein ein „offizielles“ Ende gesetzt. Tipp für Besucher:innen des diesjährigen Anwaltstags: Er befindet sich im Altstädter Kirchpark unweit des Leineweber- Denkmals und ist über Google Maps gut auffindbar.

NACHSPIEL BEIM LANDGERICHT BIELEFELD

Wird man nie wieder davon hören? Wohl kaum. Die entstandene Eigendynamik brachte zwischenzeitlich nicht nur den erwähnten Casper-Song hervor. Wie im Frühjahr 2024 bekannt wurde, gab es auch einen Epilog der Scherzaktion am Landgericht Bielefeld. Der Klage auf Zahlung einer Million Euro war kein Erfolg beschieden.

AXIOMATISCHER BEWEIS

Der Kläger wollte die Nichtexistenz Bielefelds mit Hilfe eines axiomatischen Systems beweisen, also nach den Regeln der Logik, jedoch auf Basis einer ihrerseits ohne Beweis gültigen Aussage. Ausgangspunkt der Herleitung war passenderweise das Axiom „Menschen treffen keine Falschaussage, wenn die Wahrheit offenkundig ist“. Daraus lasse sich dann – grob vereinfacht – folgern, dass der Begründer der Verschwörung eine Falschaussage getroffen habe, indem er die offenkundige Existenz Bielefelds in Abrede stellt. Der darin liegende Verstoß gegen das Axiom beweise, dass Bielefeld doch nicht existiere.

So stellt die generative KI Midjourney sich Bielefeld vor, Prompt: „An impression of the city of Bielefeld”.

HÄH?

Von dem gerade bei Gericht sehr begrüßenswerten Glauben an die Ehrlichkeit abgesehen, ist das für Fachfremde schwer nachvollziehbar. Anhand der offenkundigen Existenz der Stadt Bielefeld soll sich wegen besagter Verschwörungssatire die Nichtexistenz derselben Stadt beweisen lassen?

BEWEIS NICHT ERBRACHT

Das Landgericht ist der Sache auf den Grund gegangen. Es hält fest, dass dieser Beweis nur innerhalb des axiomatischen Systems gilt, im Übrigen jedoch weder unumstößlich noch erschöpfend sei (Rn. 29). Auch der Kläger habe angegeben, dass sein Beweis widerlegbar sei.

OFFENSICHTLICHE SCHERZAKTION

Das Landgericht arbeitet überdies akribisch heraus, dass die Millionenauslobung insbesondere im Lichte der Begleitumstände nicht ernst gemeint sein konnte. Im Ergebnis sei der erforderliche Erfolg im Sinne der Teilnahmebedingungen nicht herbeigeführt worden, sodass dem Kläger kein Anspruch aus § 657 BGB zustehe. Es ist ein Stück weit erstaunlich, dass das Landgericht trotz der klaren Einordnung der Auslobung nach dem objektiven Empfängerhorizont als scherzhaft (Rn. 18, 24) keinerlei Ausführungen zu § 118 BGB macht. So hätte das Gericht sich den beschwerlichen Ausflug in die axiomatische Beweisführung sparen können.

BIELEFELD EXISTIERT

Augenzwinkernd lässt sich zudem die Frage aufwerfen, ob es aus Klägersicht taktisch geschickt ist, ausgerechnet die Zivilgerichtsbarkeit in der Stadt anzurufen, deren Nichtexistenz man bewiesen haben möchte. Ist ja klar, dass ein Gericht dort jeden noch so überzeugenden Beweis als „offensichtlich unmöglich“ abtut. Oder, wie es im Urteil heißt (Rn. 99): Dass die Stadt Bielefeld existiert, ist eine offenkundige Tatsache und bedarf keines Beweises (im Sinne der ZPO), § 291 ZPO.“

Heft 06 | 2024 | 73. Jahrgang