Gegen Frauenhass
Christina Clemms Vortrag im Arbeitskreis Strafrecht des Berliner Anwaltsvereins
Im Januar 2025 war Frau Clemm im AK Strafrecht zu Gast. Frau Clemm ist Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin. Vor Gericht vertritt sie Menschen, die Opfer von Gewalt und sexualisierter Gewalt wurden. Deutschlandweit ist Frau Clemm u. a. durch ihre Buchveröffentlichungen bekannt. Besonders ihr letztes Werk, „Gegen Frauenhass“, stieß auf enorme Resonanz und hat ggf. bereits den Umgang der Medien mit Femiziden positiv beeinflusst.
Die Veranstaltung von Frau Clemm war erhellend und erschütternd.


Dr. Tobias Lubitz | Rechtsanwalt | Fachanwalt für Strafrecht | Sprecher Arbeitskreis Strafrecht Berlin | Lehrbeauftragter Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin sowie Ruhr-Universität Bochum | lubitz-warntjen.de
AUSMASS DER GEWALT
Frau Kollegin Clemm führte aus, dass in Deutschland beinahe jeden Tag eine Frau von einem Mann getötet werde, üblicherweise ihrem (Ex-)Partner. Ungezählt seien die Delikte häuslicher Gewalt, Misshandlungen und Vergewaltigungen in der Partnerschaft. Täglich würden in Deutschland über hundert Frauen und Mädchen Opfer einer Sexualstraftat.
In Deutschland werde mit großer Naivität auf das Thema geblickt: Es seien doch nur fürchterliche Einzelfälle. Es seien doch nur Taten von Migranten. Tatsächlich sei die ganze Gesellschaft betroffen, alle Schichten, alle Herkünfte. Ein Drittel aller Frauen in Deutschland erleide in ihrem Leben physische und/oder sexuelle Gewalt – vor allem in der Partnerschaft.
„Tatsächlich ist die ganze Gesellschaft betroffen, alle Schichten, alle Herkünfte“
Von der Kindheit an werde Frauen beigebracht, mit der Täterwerdung der Männer zu leben, sich davor in Acht zu nehmen. Gut auf sich aufzupassen. Nicht nachts alleine unterwegs zu sein. Auf die Getränke im Club zu achten – usw.
Nach einer Opferwerdung werde gefragt, warum die Frauen sich nicht früher getrennt hätten. Warum sie nicht besser auf sich aufgepasst hätten. Warum sie aufreizend
gekleidet gewesen wären. Warum sie mit dem Mann mitgegangen seien.
Medien stellten die Tötungen romantisierend dar. Irgendwann habe der Mann die Trennung einfach nicht mehr „ertragen“. Es sei ein „Drama“ gewesen. Der „Rosenkrieg“ habe in einer Bluttat gegipfelt.
Die Gesellschaft und die Medien müssten sich vielmehr fragen: Warum hat den Mann keiner gestoppt? Was sind das für Männer, die die Gewalt ausüben? Warum haben sie ein eigentumsgleiches Frauenbild? Frau Clemm hält die Gewalt und den Hass gegen Frauen tief in unserer Gesellschaft verwurzelt und das patriarchale System stärkend. Aggressivität werde bereits Kindern als männlich gelehrt.
MANGELHAFTE MASSNAHMEN
Deutschland tue viel zu wenig. Vor 14 Jahren habe Deutschland die Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt unterzeichnet. Doch Deutschland setze die Konvention (obwohl nun seit sieben Jahren in Kraft) kaum um. Es mangele an Geld, an Schutzräumen, an der Unterstützung sinnvoller Projekte, kostenloser Beratung usw. usw. Es sei schlicht lächerlich, wie wenig Geld unser Land investiere, um der Gewalt gegen Frauen Einhalt zu gebieten.
Beispielsweise Spanien sei deutlich fortschrittlicher und prangere jeden Femizid landesweit medial an. Gegebenenfalls werde so ein langsames Umdenken einsetzen.
„Es ist schlicht lächerlich, wie wenig Geld unser Land investiert, um der Gewalt gegen Frauen Einhalt zu gebieten“
Auch juristisch sei viel zu tun. Femizide folgten einem Muster: Tötung von Partnerinnen und Expartnerinnen aufgrund des Eindrucks, über die Frau als Eigentum zu verfügen. Gleichwohl behandle die Rechtsprechung die Motivation regelmäßig nicht als niederen Beweggrund. Mangels anderer Mordmerkmale kämen lediglich Totschlagsverurteilungen in Betracht (wenn nicht ausnahmsweise Heimtücke oder Grausamkeit o. ä. gegeben sei). Noch immer beschäftigten sich Urteilsbegründungen ausführlich mit der Enttäuschung des Mannes über das Ende der Beziehung, der Empörung des Mannes über eine neue Partnerschaft seiner Frau, seine finanziellen Verluste durch das Beziehungsende – letztlich seiner „nachvollziehbaren Verzweiflung“.
Immerhin habe der 5. Senat des BGH zuletzt einmal entschieden, dass eine opferseitige Trennung „für sich gesehen kein gegen die Annahme niedriger Beweggründe sprechendes Indiz“ sei.
In der Instanz liefen die Vernehmungen der Opferzeuginnen durch Justiz- und Anwaltschaft immer noch entwürdigend ab. Für den Gerichtssaal, für den Umgang mit Zeuginnen wünscht sich Frau Clemm vor allem eins: Respekt.
WEGWEISENDE STREITSCHRIFT
All dies ist auch Thema von Frau Clemms letztem Buch „Gegen Frauenhass“ (2023, Hanser Literaturverlage), welches äußerst empfehlenswert ist.
Vor der Lektüre dachte der Verfasser dieses Artikels, dass er als aufgeklärter, toleranter und friedliebender Mann so ein Buch doch nicht lesen müsse. Bereits auf Seite 16 wurde er eines Besseren belehrt:
„Ich halte viele Vorträge vor großem Publikum – fast ausschließlich vor weiblich gelesenen Personen. Männer interessieren sich in der Regel nicht für das Thema Gewalt gegen Frauen. Den wohlwollenden Männern scheint es auszureichen, selbst nicht gewalttätig zu sein. Aber Frauenhass ist am Ende kein Frauen-, sondern ein Männerthema. Und ein Männerproblem. Warum beschäftigt es Männer nicht, in so einer gewalttätigen Umgebung zu leben? Warum machen sie es nicht zu ihrem Anliegen, die Gewalt zu beenden? Weil sie von ihr profitieren? Wer schweigt, stimmt zu.“
Vielen Dank an Frau Kollegin Clemm für ihr Wirken und ihren Besuch im AK Strafrecht.