Gendern in anwaltlichen Schriftsätzen

Mit Sprachgefühl und Expertise leichtgemacht

Unter „Gendern“ wird gemeinhin das Verstreuen von Gendersternen über einen Text verstanden: An jedes Wort, das auf -er endet, wird ein Sternchen und die weibliche Endung -in drangehängt. Männliche Personenbeschreibungen, eigentlich als generisches Maskulinum gedacht, sollen mithilfe dieses Genderns alle Geschlechtsidentitäten verdeutlichen. Aber Vorsicht: auch Kinder, Mitglieder und Schwester haben diese Endung, es sind schon Genderunfälle gesichtet worden. Machen Sie sich lieber mit den Feinheiten der geschlechtergerechten Sprache vertraut. Es kommt auf Höflichkeit, Präzision und Strategie an.

Christine Olderdissen | Die Autorin ist Juristin und Journalistin. Sie leitet für den Journalistinnenbund e.V. das Projekt Genderleicht.de. Es wird vom Bundesfrauenministerium (BMFSFJ) gefördert. Im Duden Verlag ist 2022 ihr Buch „Genderleicht. Wie Sprache für alle elegant gelingt“ erschienen. Anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Grundgesetzes hat sie mit ihrer achtzehn Jahre alten Tochter Milla das Jugendbuch „Jede*r hat das Recht“ geschrieben.

1. HÖFLICHKEIT: MACHEN SIE FRAUEN SICHTBAR – UND GESCHLECHTLICHE VIELFALT

Die deutsche Sprache ermöglicht es, das Geschlecht der Angesprochenen deutlich zu machen. Es ist unhöflich, Menschen falsch zu bezeichnen. Frauen werden üblicherweise weiblich tituliert. Männer, die mit einem Femininum bezeichnet werden, fühlen sich meist beleidigt. Dass sich maskuline Personenbeschreibungen auch auf Frauen beziehen können, müssen Kinder wie auch Menschen, die Deutsch als Fremdsprache lernen, erst begreifen. Wann ein Maskulinum geschlechtsunabhängig und allgemeingültig, also generisch wirken soll, ist erst mit einer gewissen Spracherfahrung spontan fühlbar und verstehbar.

Dieses generische Maskulinum gilt als überkommene Sprachtradition, wird jedoch im Sprachkampf heftigst verteidigt. Ganz darauf zu verzichten ist nicht möglich, aber der Gebrauch lässt sich eindämmen, auf das nötige Maß. Hilfreich ist das Handbuch der Rechtsförmlichkeit,1https://www.bmj.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Fachpublikationen/ Handbuch_der_Rechtsfoermlichkeit.html. herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz, 2008 in dritter Auflage, mit vielen Formuliervorschlägen. Es verweist in Randnote 111 darauf, dass die Häufung maskuliner Personenbeschreibungen den Eindruck erwecken könne, Frauen würden übersehen oder seien nur „mitgemeint“. Diese Kritik wurde also bereits vor der Genderdebatte 2020/21 auf Regierungsebene formuliert.

Ebenfalls „mitgemeint“ soll sich eine weitere Personengruppe fühlen: trans-, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen. Seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2017 zum Personenstandsrecht (1 BVR 2019/16)2https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/ DE/2017/10/rs20171010_1bvr201916.html. ist der deutschen Öffentlichkeit klargeworden: Es existiert nicht nur das weibliche und männliche Geschlecht, es gibt auch Menschen mit geschlechtlichen Variationen. Sie genießen selbstverständlich den Schutz des Grundgesetzes.

Da unsere Sprache nun aber das Geschlecht verdeutlicht, ist die Idee aufgekommen, auch die Vielfalt von Geschlecht und Geschlechtsidentität sprachlich sichtbar zu machen: In der geschriebenen Sprache mit einem Genderzeichen wie Genderstern oder Gender-Doppelpunkt, in der gesprochenen Sprache mit einer Minilücke zwischen dem männlichen Wortteil oder Wortstamm und der weiblichen Endung -in. Nach der Logik der deutschen Sprache ist es unhöflich, diese Personen nicht auch sprachlich sichtbar zu machen.

Wer bekommt den Genderstern?

Im konkreten Einzelfall gilt: Die Eigenbezeichnung ist entscheidend. Wie will dieser Mensch angesprochen oder bezeichnet werden? Fragen Sie ihn und respektieren Sie die Wortwahl, wenn Sie Ihren Schriftsatz schreiben. Sollten Sie auf Fehler angesprochen werden, korrigieren Sie das umstandslos. Wir üben alle noch.

Transpersonen wünschen häufig keinen Genderstern, sondern die Bezeichnung als Frau oder Mann, je nachdem. Hinweise auf eine Geschlechtsangleichung sind nur angebracht, wenn es für die Auseinandersetzung in der Sache bedeutsam ist. Dies gilt auch für die Nennung des abgelegten Vornamens, der sogenannte Dead Name. Das Selbstbestimmungsgesetz,3https://www.bmj.de/DE/themen/gesellschaft_familie/queeres_leben/ selbstbestimmung/selbstbestimmung_node.html. das sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren befindet, sieht für die unerwünschte Offenbarung ein empfindliches Bußgeld vor.

Tipp für Sie: Für den angemessenen Umgang mit Transpersonen ist der Transidentity-Guide4https://www.otto.de/unternehmen/uploads/images/Transidentity_Guide_2022_OTTO.pdf. des Otto- Konzerns hilfreich. Dies ist ein sorgsam formulierter Leitfaden, der auch intime Fragen zur Transition beantwortet. Er ist als PDF bei otto.de herunterladbar.

Der Genderstern steht vor allem für nichtbinäre Personen, die die Zweigeschlechtlichkeit in Frage stellen. Sie selbst wollen sich weder als Frau noch als Mann bezeichnet sehen und wünschen keine Verwendung von Pronomen wie er, sie oder auch ihm, ihr usw. Viele schlagen stattdessen ein Neopronomen5https://www.nonbinary.ch/pronomen-anwendung/. vor, etwa dey, deren. Dies ist im allgemeinen Sprachgebrauch bisher nicht üblich. In Ihrem Schriftsatz sollten Sie einfachheitshalber auf die Verwendung von Pronomen verzichten. Stattdessen können Sie den Namen wiederholen, von einer Person, die sprechen und mit Umschreibungen arbeiten. Mit etwas sprachlichem Geschick ist solch eine Textpassage gut zu lesen.

Beispiel: Kim ist Kläger*in. Mit seiner Klage verfolgt er sein Anliegen XY …
Besser: Kim ist Kläger*in. Kim verfolgt das Anliegen XY …

2. PRÄZISION: SAGEN SIE KONKRET, WEN SIE MEINEN

Im anwaltlichen Schriftsatz haben Sie es in der Regel mit konkreten Personen zu tun. Frauen bezeichnen Sie folgerichtig feminin, Männer maskulin, im Singular wie im Plural, alles nicht weiter der Erwähnung wert. Nichtbinäre Personen erhalten auf Wunsch einen Genderstern.

Schwieriger wird es, wenn Sie eine gemischte Personengruppe beschreiben wollen. Bleiben Sie konkret. Anstelle des generischen Maskulinums die Kläger nutzen Sie die Paarform: Die Klägerin und der Kläger, die Klägerinnen und Kläger etc. Das Wort Beklagte ist praktischerweise ein geschlechtsneutrales Partizip, das für alle passt.

In einer Sparschreibung könnten Sie Genderzeichen verwenden: die Kläger*innen. Dieser Plural macht für eine große Gruppe deutlich, dass Menschen jeder geschlechtlichen Identität dazu gehören könnten. Manche benutzen Genderzeichen aber auch, wenn die Beteiligten ausschließlich maskulin und feminin sind. Sie wollen so die Frauen sichtbar machen. Ob das in dieser Weise verstanden wird, ist umstritten. Die Paarform benennt Frauen deutlich. Problematisch ist allerdings das Aufplustern des Textes. Zur Lösung empfiehlt das Handbuch, weitgehend geschlechtsneutrale Formulierungen zu wählen. Es verwirkliche die sprachliche Gleichbehandlung am besten:

  • geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen: die Lehrkraft, die Vertrauensperson, das Mitglied, die Abteilungsleitung usw.
  • kreative Umschreibungen: wer den Vorsitz führt, als Vertretung ist bestellt usw.
  • substantivierte Partizipien: Mitarbeitende, Teilnehmende, Vorstandsvorsitzende usw.

Genderzeichen allüberall?

Das Deutsche ermöglicht das Zusammensetzen von Wörtern. Enthalten solche Komposita Personenbeschreibungen, gibt es gelegentlich den Impuls, diese mit Genderzeichen zu versehen. Wenn das nicht Ihr Schreibstil ist, suchen Sie nach Synonymen oder lösen Sie das Wort auf, indem Sie die Tätigkeit beschreiben, die darin steckt. Redner*innenpult – Redepult Rechtliche Begriffe oder gar Amtsbegriffe sollten Sie niemals eigenmächtig mit Genderzeichen versehen oder zu unüblichen Partizipien umbauen. Im juristischen Kontext gibt es stattdessen die Möglichkeit, mit vorangestellten Definitionen zu arbeiten. Ein Beispiel aus den „Tipps und Tricks zum Gendern von juristischen Texten“6https://www.genderleicht.de/tricks-und-tipps-zum-gendern-von-juristischen-texten/ bei Genderleicht.de: Geschäftsführer oder Geschäftsführerin im Sinne des GmbH-Gesetzes (im Folgenden: „geschäftsführende Person“) ist … Im Internet wie auch in jeder Buchhandlung finden Sie viele weitere Anleitungen. Bei Genderleicht.de bieten wir „Schreibtipps“,7https://www.genderleicht.de/10-genderregeln/. aber auch zusätzlich „10 Regeln für den Genderstern“.8https://www.genderleicht.de/10-genderregeln/. Der wohl wichtigste Tipp für das Verwenden von Genderzeichen: „Im Singular wird es grammatisch kompliziert. Nutzen Sie den Genderstern am besten nur im Plural.“

3. STRATEGIE: OB MIT GENDERSTERN ODER OHNE – SIE HABEN DIE WAHL

Als Anwältin, Anwalt oder Anwält*in sind Sie nicht verpflichtet, die amtliche Rechtsschreibung einzuhalten: Genderstern & Co. sind Ihr persönlicher sprachlicher Ausdruck. Sprache ist agil, sie blieb nicht bei Goethe, Schiller und von Droste-Hülshoff stehen, sondern entwickelt sich weiter. Die amtlichen Rechtsschreibregeln – ohne Genderzeichen – sind zwar für die Verwaltung und analog für die Justiz verbindlich. Dennoch gibt es von Hannover9https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Verwaltungen- Kommunen/Die-Verwaltung-der-Landeshauptstadt-Hannover/Gleichstellungsbeauf%C2%ADtragte-der-Landeshauptstadt-Hannover/ Aktuelles/Regelung-f%C3%BCr-geschlechtergerechte-Sprache. bis Kiel10https://www.kiel.de/de/politik_verwaltung/gendergerechte_kommunikation.php. zahlreiche Stadtverwaltungen, die in Formularen, Bescheiden und Verordnungen Genderzeichen nutzen. Sie berufen sich dabei auf das Grundgesetz.

Gerichtsurteile mit Gendersternchen sind bisher die Ausnahme. Aus strategischen Gründen ist vielleicht besser Zurückhaltung angebracht. Denn Sie wissen nie, ob sich die anwaltliche Gegenseite oder ein Gericht über Genderzeichen empören und Sie damit Ihrer Mandantschaft schaden könnten.

„Schreiben Sie vom ersten Wort an Ihren Text nach den Grundsätzen der geschlechtergerechten Sprache“

Ein wichtiger strategischer Tipp: Schreiben Sie vom ersten Wort an11https://www.genderleicht.de/gendergerecht-schreiben-in-siebenschritten/. Ihren Text nach den Grundsätzen der geschlechtergerechten Sprache. Wenn Sie nachträglich alle Maskulina mit Gendersternchen versehen, bauen Sie zu viele davon ein, der Text wird unleserlich. Seien Sie von Anfang an präzise, arbeiten Sie mit geschlechtsneutralen Formulierungen, machen Sie Frauen sichtbar. Die deutsche Sprache bietet zahlreiche Möglichkeiten, auch ohne Genderzeichen gendersensibel zu sein.

Heft 03 | 2024 | 73. Jahrgang