Gespräch mit Sebastian Schlüsselburg, Die Linke.
Rechtsanwalt Uwe Freyschmidt, Vorsitzender, und Rechtsanwältin Claudia Frank, stellvertretende Vorsitzende des Berliner Anwaltsvereins e.V., am 28. September 2022
VORSTELLUNG
Herr Sebastian Schlüsselburg, MdA, Diplom-Jurist, Jahrgang 1983, erhielt bei den Abgeordnetenhauswahlen 2016 und 2021 das Direktmandant im Wahlkreis Lichtenberg. In der Fraktion Die Linke ist er Sprecher für Rechtspolitik, Datenschutz und Beteiligungscontrolling. Er ist Mitglied in diversen Ausschüssen, u. a. für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Antidiskriminierung sowie Verfassungsschutz und Wissenschaft. Unser Gespräch mit Herrn Schlüsselburg begann an dem Tag, als der Berliner Verfassungsgerichtshof nach einer sehr langen Verhandlung die, sicherlich für alle Abgeordneten überraschende, vorläufige Rechtsauffassung verkündet hatte, dass die Wahl im September 2021 wiederholt werden muss. Wir bekamen diese Information somit aus erster Hand und konnten sogar die rechtlichen Folgen einer solchen Entscheidung kurz erörtern.
Die Justizsenatorin des Landes Berlin, Frau Dr. Lena Kreck, ist seit dem 21. Dezember 2021 Senatorin für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung. Von ihr haben wir in der Presse noch relativ wenig zu anwaltsrelevanten Themen gelesen. Herr Schlüsselburg versicherte uns, dass Frau Dr. Kreck von Anfang an mit sehr vielen Problemen in dieser Stadt, vor allem im Bereich Justiz, konfrontiert wurde und sie sich daher mit einzelnen Bereichen noch beschäftigen müsse.
Sodann drehte sich das Gespräch im Wesentlichen um zwei Themen.
Claudia Frank | Rechtsanwältin | Stellvertretende Vorsitzende des Berliner Anwaltsvereins | Stellvertretende Vorsitzende des Verbandes freier Berufe Berlin | Probandt PartGmbB
Uwe Freyschmidt | Rechtsanwalt | Fachanwalt für Strafrecht | Vorsitzender des Berliner Anwaltsvereins
ERSTES THEMA: DIE JUSTIZ UND DIE DIGITALISIERUNG
Herr Schlüsselburg erläuterte, dass im Bereich der Justiz in der vergangenen Wahlperiode ein Wechsel zum Anbieter „dataport“ angestrebt wurde, der sich als zu zeitaufwendig und zu teuer erwiesen habe. Dabei handelt es sich um einen Informations- und Kommunikationsdienstleister der öffentlichen Verwaltung, und zwar für vier Bundesländer: Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen und Sachsen-Anhalt. Es handelt sich also um einen sogenannten Länderverbund. Aus Kostengründen habe man nun von diesem Vorhaben Abstand genommen. Es wurde der Beschluss gefasst, ein eigenes IT-Rechenzentrum aufzubauen. Herr Schlüsselburg ist zuversichtlich, dass bis zu der gesetzlichen Vorgabe die Digitalisierung in der Berliner Justiz abgeschlossen sein wird.
„Es wurde der Beschluss gefasst, ein eigenes IT-Rechenzentrum aufzubauen“
Rechtsanwältin Frank schilderte die (gute) Situation am Sozialgericht. Dort wurde vor geraumer Zeit auf die digitale Akte umgestellt, und zwar zu 100 %. Herr Schlüsselburg bekundete, dass es sich dabei um einen „Vorreiter“ handele und es das gesteckte Ziel sei, E-Justice in Berlin für die gesamte ordentliche Gerichtsbarkeit zu installieren.
Rechtsanwalt Freyschmidt hat auf die Probleme der Digitalisierung im (Wirtschafts-)Strafrecht hingewiesen. Er verdeutlichte, dass die digitale Akteneinsicht bei vielen Gerichten und Staatsanwaltschaften in anderen Bundesländern schnell und problemlos erfolge. Auf die Frage, ob und ggf. wie sich die Situation in Berlin verbessern ließe, wies Herr Schlüsselburg darauf hin, dass die Geschäftsstellen der sogenannte „Flaschenhals“ seien, bei dem sich die Personalsituation im Jahre 2022 zwar verbessert hat, jedoch noch nicht zufriedenstellend ist.
ZWEITES THEMA: PERSONAL UND RÄUME
Wir haben Herrn Schlüsselburg darauf hingewiesen, dass uns Frau Dr. Vandrey im März diesen Jahres versichert hat, dass bereits im Doppelhaushalt 2020/2021 zahlreiche neue Stellen geschaffen wurden. Herr Schlüsselburg erklärte, dass auch die Justiz Nachwuchsprobleme hat, wie fast alle anderen Unternehmen derzeit in Deutschland. Mithin ist die Finanzierung neuer Stellen gesichert, es fehlen jedoch Bewerber, insbesondere für den Bereich der Geschäftsstellen in den Gerichten. Viele Studenten legen das erste Staatsexamen ab, auch mit sehr guten Noten, jedoch sinkt seit 2018 die Zahl der Absolventen im Referendariat. Wir haben darauf hingewiesen, dass die Bewerber derzeit zwei Jahre warten müssen, bis sie das Referendariat antreten können. Niemand kann solange warten und die Abwanderung in andere Bundesländer, wo man sofort eingestellt wird, ist daher nachvollziehbar.
Die Frage nach dem Umzug des Verwaltungsgerichts in das Kathreiner-Haus am Kleistpark wurde mit der Problematik des Denkmalschutzes beantwortet. Es bestehen Probleme beim Umbau der Räumlichkeiten. Das führt nun dazu, dass das Verwaltungsgericht nicht umziehen wird, und zwar auf nicht absehbare Zeit. Offensichtlich wird weder mit dem Denkmalschutz über praktikable Lösungen verhandelt noch wird nach einem anderen Gebäude gesucht. Richter und Staatsanwälte werden also weiterhin beengt ihre Arbeit erledigen müssen und der Kampf um einen Verhandlungsraum bleibt. Darüber haben wir unser Unverständnis bekundet.
„Das Verwaltungsgericht wird nicht umziehen und zwar auf nicht absehbare Zeit“
Herr Schlüsselburg erläuterte, dass in der Justiz sehr viel unternommen wird, um Personal zu akquirieren. Berlin fordert weiterhin von den Bewerbern zwei Prädikatsexamen. Man hat Stellen geschaffen, um mehr Richter und Staatsanwälte als tatsächlich benötigt einzustellen, damit der Wissenstransfer funktioniert, zumal in naher Zukunft sehr viele Richter und Staatsanwälte in Rente gehen werden. Ob dies unter Berücksichtigung der oben geschilderten Probleme gelingt, bleibt abzuwarten.
Gleichwohl steht eine Ausbildungsreform an. Ab Mitte 2023 wird das Zweite Staatsexamen digital abgelegt. Dafür wurden die technischen Voraussetzungen in der FU Berlin geschaffen.
Damit sind wir wieder am Anfang unseres Gesprächs angelangt. Herr Schlüsselburg versicherte uns, dass die Richter mittlerweile alle einen VPN-Anschluss sowie einen Laptop erhalten haben, mithin das Arbeiten von zu Hause aus möglich ist, und damit die Aktenbearbeitung unter angenehmeren Bedingungen erfolgen kann. Angedacht ist eine sogenannte „Richterassistenz“. Rechtsreferendare sollen gegen den Mindestlohn von maximal 450,00 Euro und einer Sechs-Stunden-Woche richterliche Tätigkeiten begleiten, vorbereiten oder sogar übernehmen. Dieses Projekt wird in Niedersachsen bereits erprobt.
Viele der in diesem Gespräch angesprochenen Themen waren bereits Gegenstand des Gesprächs mit Frau Dr. Vandrey im März 2022. Wir werden auch nächstes Jahr mit Vertretern des Abgeordnetenhauses sprechen, damit unsere Anliegen nicht in Vergessenheit geraten.
Sebastian Schlüsselburg, DIE LINKE
Jurist
geb. 1983 in Berlin
gewählt über: Direktwahl
Wahlbezirk: Lichtenberg
Wahlkreis: 4
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