Globale Lieferketten in Krisenzeiten
Deutsch-Portugiesischer Rechtsdialog in Porto
Der Deutsch-Portugiesische Rechtsdialog, der dieses Jahr als gemeinsame Veranstaltung des DAV Portugal und der ARGE IWR, passend zum Thema, Anfang Oktober in der Kommerzianten- und Hafenstadt Porto stattfand, drehte sich rund um die Lieferkettenproblematik. Rechtsanwalt Dr. Lutz-Peter Gollnisch vom Geschäftsführenden Ausschuss der ARGE eröffnete, stellvertretend für die Vorsitzende Dr. Astrid Auer-Reinsdorff, die Veranstaltung. Die Moderation wurde von Advogada Cristina Dein, GfA ARGE und Vorstandsmitglied des DAV Portugal, übernommen. Der erste Themenblock in englischer Sprache setzte sich mit der Thematik der Nachhaltigkeit und Sorgfaltspflichten in Lieferketten auseinander.
Cristina Dein | Advogada, Lissabon | DEIN ADVOGADOS | www.dein.pt
Dr. Jan Hermeling | Rechtsanwalt, Düsseldorf | Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht | TIGGES Rechtsanwälte | www.tigges.legal
DEKARBONISIERUNG DES TIEFSEEHAFENS SINES
Der Auftakt kam mit einem Fallbeispiel des portugiesischen Tiefseehafens Sines, einer der führenden Häfen in Europa und weltweit. Dr. Duarte Lynce de Faria, Seerechtler und Vorstandsmitglied der Hafenbehörde von Sines und Algarve präsentierte das aktuelle Dekarbonisierungsprojekt des Hafens im Rahmen des europäischen Green Deals und die Auswirkungen auf Lieferketten.
Lynce de Faria zeigte sich besorgt hinsichtlich der 2024 gestarteten Integrierung der EU-Häfen in das EUEmissionshandelssystem (EU-ETS), das sich negativ auf die Wettberwerbsfähigkeit, besonders der peripheren Häfen der Union, auswirkt. Aus seiner Sicht ist die EU hier dringend gefordert, Maßnahmen zu treffen, die die Abwanderung von Aktivitäten verhindern.
Chancen für die EU-Häfen sieht Lynce der Faria im Nearshoring. Der Hafen von Sines ist für die Wiederansiedelung der europäischen Industrie strategisch besonders gut geeignet und kann mit seiner angeschlossenen Industrie und Logistikzone Projekte aller Art und Größe beherbergen. Häfen dürfen nicht nur als multimodale Umschlagplätze in Lieferketten gesehen werden, sondern als strategische Entitäten, die ebenfalls dazu beitragen, die Ambitionen der Union in Bezug auf Digitalisierung, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit umzusetzen.
CSDD-RICHTLINIE
Am 25. Juli 2024 trat die Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit in Kraft. Greta Koch, seit 2020 als politische Beraterin im Büro des EU-Abgeordneten Axel Voss tätig, verhandelte die Lieferkettenrichtlinie auf technischer Ebene für die Europäische Volkspartei.
Aus erster Hand verschaffte sie den Teilnehmern der Veranstaltung einen Einblick in die Richtlinie, deren Ziel es ist, nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Verhalten in ihren globalen Wertschöpfungsketten zu fördern anhand der Einbeziehung risikobasierter Sorgfaltspflichten in die Unternehmenspolitik. Auf den Punkt gebracht, verkörpert die Richtlinie eine Antwort auf die Globalisierung und das Bestreben nach Fairness in unternehmerischer Tätigkeit, auch außerhalb Europas. Negative Auswirkungen solcher Tätigkeiten auf Menschenrechte, einschließlich Arbeitsrechte und Umwelt, sei es innerhalb der Unternehmen selbst, deren Tochtergesellschaften und Geschäftspartnern, dürfen nicht länger übersehen werden.
Der zentrale Begriff liegt in der „Aktivitätskette“. Diese umfasst die Tätigkeiten vor- und nachgelagerter Geschäftspartner im Zusammenhang mit der Produktion von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen, sowie mit dem Vertrieb, der Beförderung und Lagerung eines Produkts, mit Ausnahme bestimmter Produkte, die Ausfuhrkontrollen unterliegen, wie z. B. Waffen, Munition und Kriegsmaterial.
Greta Koch hob hervor, dass der Kauf oder die Nutzung von Produkten, die nicht Teil der Aktivitätskette sind, von der Richtlinie nicht erfasst sind. Die Unsicherheit bezüglich des Anwendungsbereiches der Richtlinie sei in der Praxis noch groß. Die Richtlinie stößt in Ländern, in denen keine Transparenz gegeben ist, wie z. B. China, an ihre Grenzen. Die Richtlinie ist bis zum 26. Juli 2026 von den EU-Mitgliedstaaten umzusetzen und findet schrittweise auf große EU-Unternehmen Anwendung, sowie auf Nicht-EU-Unternehmen mit einem bestimmten Umsatz in der EU.
CSDDD AUS DER PERSPEKTIVE DES VEREINIGTEN KÖNIGREICHS
Die Lieferkettenrichtlinie muss zwar nicht im Vereinigten Königreich umgesetzt werden, nichtsdestotrotz ist ihr Impakt auf Gesellschaften, die Handel in der EU betreiben, signifikativ. Jan Hoppe, Rechtsanwalt und Partner bei der Kanzlei Fladgate in London, zeigte die Schnittstellen auf, an denen UK-Unternehmen direkt (Umsatz > 450 Mio. Euro) von der CSDD-Richtlinie erfasst sind oder indirekt als Teil der Aktivitätskette.
Die im Vereinigten Königreich herrschenden difusen Regeln verschiedener Sektoren, die unter den begrifflichen Schirm ESG (zu Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) fallen, müssen mit den Sorgfaltspflichten der Lieferkettenrichtlinie abgeglichen und wo nötig angepasst bzw. erweitert werden.
Jan Hoppe wies darauf hin, dass die Internationale Menschenrechtscharta nicht auf UK-Unternehmen Anwendung findet, jedoch das englische Gesetz im Rahmen des Arbeitschutzes, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sich mit Menschenrechten befasst. Relevant, obgleich nicht bindend, seien die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, sowie die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zu verantwortungsvollem unternehmerischem Handeln.
Im Rahmen der Lieferketten-Compliance rät Jan Hoppe, abgesehen von der kriteriösen Auswahl und Prüfung von Geschäftspartnern, bei der Vertragsgestaltung Klauseln aufzunehmen, die die Vertragspartner verpflichten, Compliance-Vorschriften einzuhalten und die Monitorisierung der Einhaltung der Pflichten ermöglichen, sowie die Weitergabe bestimmer Compliance-Pflichten in der eigenen Lieferkette des Vertragspartners vorsehen. Für die Effektivität der Klauseln ist ein gutes Vertragsmanagment wichtig. Nicht zuletzt sollten Verträge die Konsequenzen der Verletzung von Compliance-Pflichten vorsehen, sowie Behebungsmechanismen und für gravierende Verstöße die Kündigung des Vertrages, begleitet von Entschädigungsansprüchen.
PROAKTIVE VERTRAGSGESTALTUNG IM KONTEXT DER CSDD-RICHTLINIE
Beendet wurde das Vormittagsprogramm mit einem gemeinsamen Vortrag von Dr. Anna Hurmerinta-Haanpäa, Dozentin an der Aalto University School of Business, und Dr. Juho Saloranta, Rechtsanwalt für Nachhaltigkeit und Partner bei Opinio Juris, Finnland, mit Publikationen im Bereich des „Proactive contracting“, ein Konzept, das in Finnland bereits in den 90er-Jahren, basierend auf der Theorie von „Preventive law“ (1950, Louis M. Brown) entwickelt wurde.
Nach Haanpäa und Saloranta bedingt die Umsetzung von Lieferkettensorgfaltspflichten eine Reformulierung der vertraglichen Grundsätze und Gestaltung. Dies ergibt sich direkt aus der CSDD-Richtlinie, mit Auswirkungen auf KMUs, obgleich diese nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Unternehmen, die mit KMUs Geschäfte eingehen, sind angehalten, faire, angemessene, diskriminierungsfreie und verhältnismäßige Anforderungen KMUs gegenüber anzuwenden. Der aktuelle Ansatz, basierend auf unausgewogenen Machtpositionen, ist nicht nachhaltig und birgt Reputations-, finanzielle und rechtliche Risiken.
„Im Fokus stehen geteilte Verantwortung (‚Shared responsibility‘), sowie Kooperation (‚Collaboration‘) anstelle der traditionellen einseitigen Absicherung der stärkeren Vertragspartei“
Proaktive Vertragsgestaltung bietet eine Lösung. Im Fokus stehen geteilte Verantwortung („Shared responsibility“), sowie Kooperation („Collaboration“) anstelle der traditionellen einseitigen Absicherung der stärkeren Vertragspartei. Nachhaltige Geschäftspraktiken sollen mit vertraglichen Anreizen gefördert werden. Verträge können gemeinsam mit Lieferanten aufgesetzt werden, unter Berücksichtigung u.a. ihrer Lesekompetenz. Wichtig ist die Schaffung einer gemeinsamen Kommunikations- und Verständnisbasis. Nicht zuletzt geht es bei der proaktiven Vertragsgestaltung um die Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten durch Schaffung einer guten Geschäftsbeziehung mit geteilten Werten und Verantwortung sowie um Konzeption von Prozessen und Maßnahmen zur Behebung von Streitigkeiten mit dem Ziel, langandauernde Geschäftsbeziehungen zu zementieren. Die Vertragsbeendigung sollte nur als „Ultima Ratio“ fungieren.
Abschließend gaben die Referenten den Teilnehmern einen Überblick über aktuelle Initiativen zu Modellklauseln im Bereich der Nachhaltigkeit, erwähnt seien hier die Folgenden: European Model Clauses (EMCs), WorldCC Contract Design Pattern Library, Home – STTI, Responsible Contracting Project und Jargonfree Project.
STÖRUNG DER LIEFERKETTEN UND HAFTUNG FÜR MULTIMODALTRANSPORTE
Das Nachmittagsprogramm widmete sich dem Thema Lieferkettenstörungen und wurde in deutscher Sprache gehalten. Die ausgewiesenen Transportrechtler Folkert Baars aus Hamburg und Monique Stengel aus Paris beschäftigen sich in ihrer täglichen Praxis regelmäßig mit Störungen multimodaler Lieferketten. Sie nutzten die Gelegenheit und stellten den Anwesenden die Besonderheiten des deutschen, französischen und vereinheitlichten Multimodaltransportrechts vor.
Der Multimodaltransport ist in Deutschland gesetzlich geregelt. In Frankreich hingegen ist dies nicht der Fall. Hier wird regelmäßig auf das vereinheitlichte internationale Transportrecht für Straßentransporte zurückgegriffen. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich kommt es für die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Störung maßgeblich darauf an, ob der Ort des Schadens bekannt ist oder nicht. Die konkreten Rechtsfolgen weichen dann jedoch voneinander ab. Das betrifft den Bereich der Lieferfristüberschreitungen, die Haftungsbefreiungsgründe, Reklamations- und Verjährungsfristen und die höhere Gewalt.
Die Referenten berichteten abwechselnd über die jeweiligen Besonderheiten ihrer Rechtsordnungen und gingen dabei auf konkrete Normen und die relevante Rechtsprechung ein. Anhand von Beispielen veranschaulichten sie die Bedeutung von Lieferkettenstörungen für den nationalen und grenzüberschreitenden Multimodaltransport.
HÖHERE GEWALT IM INTERNATIONALEN HANDEL: WANN SIND LIEFERKETTENSTÖRUNGEN (UN)VORHERSEHBAR?
Das Thema „höhere Gewalt“ ist in Krisensituationen und Störungen schnell in aller Munde und wird von der betroffenen Partei gern als Allheilmittel gesehen. Mit der Frage, wann jedoch tatsächlich von einer höheren Gewalt in Lieferketten ausgegangen werden kann, hat sich Rechtsanwalt Oliver Korte beschäftigt.
Ausgangspunkt seines Vortrags ist ein praktischer Fall: Ein amerikanisches Unternehmen kauft 200 Kisten Madeira-Wein aus Portugal, doch aufgrund eines Streiks der Hafenarbeiter in Boston verzögert sich die Lieferung. Die Frage ist, ob der Verkäufer sich auf höhere Gewalt berufen kann, da der Streik seiner Meinung nach unvorhersehbar war.
Korte erklärte, dass höhere Gewalt, trotz ihrer Relevanz in jüngeren Krisen (z.B. Pandemie, Kriegsereignisse), kein international einheitlich geregeltes Konzept ist. Nur wenige Rechtssysteme, darunter Deutschland und Frankreich, besitzen spezifische Regelungen, wobei die deutsche Rechtsordnung keine einheitliche Definition bietet. Der Begriff umfasst in Deutschland meist Ereignisse, die außerhalb der Kontrolle einer Vertragspartei liegen und unvorhersehbar sind, wie Naturkatastrophen oder Handlungen Dritter. In Frankreich regelt der Art. 1218 Code Civil die „Force Majeure“ als allgemeinen Rechtsgrundsatz, die ähnlich, aber spezifischer definiert ist.
Im internationalen Handelsrecht kommen ebenfalls Klauseln zur Anwendung, wie etwa Art. 79 des UN-Kaufrechts (CISG), der eine vertragliche Pflichtverletzung entschuldigt, wenn diese auf unvorhersehbaren, unvermeidbaren Hinderungsgründen beruht. Ergänzend bieten die UNIDROIT Principles und die ICC-Musterklausel flexible Regelungen für internationale Verträge. Die Unvorhersehbarkeit eines Hindernisses, das zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses für eine „vernünftige Person“ nicht absehbar war, ist dabei grundsätzlich ein zentraler Prüfstein.
„Eine höhere Gewalt kommt nur für tatsächlich unvorhersehbare Ereignisse in Betracht. Die Anforderungen an diese Unvorhersehbarkeit sind dabei sehr hoch“
Der Vortrag verdeutlichte, dass das Verständnis von höherer Gewalt in internationalen Verträgen oft situationsbedingt und interpretationsabhängig ist, wobei Faktoren wie Risikoallokation und die Zumutbarkeit von Maßnahmen zur Schadenvermeidung eine Rolle spielen. Eine höhere Gewalt kommt nur für tatsächlich unvorhersehbare Ereignisse in Betracht. Die Anforderungen an diese Unvorhersehbarkeit sind dabei sehr hoch.
FAZIT
Zwischen Lieferkettensorgfaltspflichten und Lieferkettenstörungen ist der heutige Rechtsberater sowohl voraussehend als auch nachsehend gefragt. Der diesjährige Deutsch-Portugiesische Rechtsdialog stellte diese Herausforderungen anschaulich anhand der unterschiedlichen Vorträge und Ansatzweisen dar. Das Augenmerk fiel nicht zuletzt auf den sicheren Hafen der proaktiven Vertragsgestaltung auf dem Weg zur Nachhaltigkeit und ihrer präventiven Funktion der Vermeidung potenzieller Konflikte.