Grenzüberschreitende Erbfälle II
Praktische Aspekte, Teil II
Im ersten Teil unseres Artikels haben wir den Erbfall der Familie Uellendahl vorgestellt, einen Fall, der aufgrund seines grenzüberschreitenden Charakters den polnischen Gerichten viele praktische Schwierigkeiten bereitet hat. Nun möchten wir Ihnen zeigen, wie das polnische Nachlassgericht diesen Erbfall gelöst hat.
Małgorzata Gemen | polnische Rechtsanwältin und Gründerin der Anwaltskanzlei Adwokat Małgorzata Gemen mit Sitz in Stettin | Polen | www.kanzlei-gemen.de Łukasz Łowkiet | polnischer Rechtsanwalt und Gründungspartner der Kanzlei Dobrołowicz Weissgerber Łowkiet Adwokaci Sp. p. mit Sitz in Stettin | Polen | www.anwalt-polen24.de
RÜCKBLICK
Zur Erinnerung weisen wir darauf hin, dass die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (nachfolgend „Erbrechtsverordnung“) im Erbfall der Familie Uellendahl – aufgrund der Eröffnung des Erbfalls vor dem 17. August 2015 – nicht anwendbar war. Darüber hinaus unterlag das Erbschaftsverfahren in Bezug auf die geerbten Eigentumsrechte an der Immobilie in Polen der ausschließlichen Zuständigkeit der polnischen Gerichte.
Die Infragestellung dieser Tatsache durch das polnische Nachlassgericht, indem es den ursprünglichen Antrag von Frau Uellendahl auf Erteilung eines Erbscheins wegen des angeblichen Vorliegens der Rechtskraftwirkung zurückwies, verursachte weitere verfahrensrechtliche Probleme sowohl für die Antragstellerin als auch für das Gericht selbst.
„Im Fall der Familie Uellendahl stellte sich daher die Frage, ob der Beschluss des Nachlassgerichts, mit dem der ursprüngliche Antrag von Frau Uellendahl auf Erteilung eines Erbscheins zurückgewiesen worden war, durch das Gericht abgeändert werden konnte, und wenn ja, inwiefern sich die Umstände des Falls geändert haben könnten, um den erforderlichen Änderungsgrund zu rechtfertigen“
Nach der polnischen Zivilprozessordnung werden nämlich Fälle, die die Erteilung eines Erbscheins betreffen, im Rahmen eines nichtstreitigen Verfahrens geprüft. Die Möglichkeit, rechtskräftige Entscheidungen in der Hauptsache zu widerrufen, ist nur möglich, wenn dies durch eine Sondervorschrift vorgesehen ist. Allerdings kann ein rechtskräftiger Beschluss, mit dem ein Antrag zurückgewiesen wurde (und darum handelte es sich bei dem ursprünglichen Beschluss des Nachlassgerichts im vorliegenden Fall, wenn auch fälschlicherweise), vom Gericht geändert werden, wenn sich die Umstände des Falls ändern (so Artikel 523 der polnischen Zivilprozessordnung). Im Fall der Familie Uellendahl stellte sich daher die Frage, ob der Beschluss des Nachlassgerichts, mit dem der ursprüngliche Antrag von Frau Uellendahl auf Erteilung eines Erbscheins zurückgewiesen worden war, durch das Gericht abgeändert werden konnte, und wenn ja, inwiefern sich die Umstände des Falls geändert haben könnten, um den erforderlichen Änderungsgrund zu rechtfertigen. Und für den Fall einer negativen Antwort – hätte Frau Uellendahl überhaupt noch die Möglichkeit, ein ordentliches Nachlassverfahren durchführen zu lassen?
LÖSUNGSMÖGLICHKEITEN
Nach einer rechtlichen Analyse der verfügbaren Handlungsmöglichkeiten für das weitere Vorgehen im Erbfall der Familie Uellendahl wurde beschlossen, die Anträge auf zwei alternative Arten vorzubringen.
Zunächst wurde das Nachlassgericht gemäß Artikel 523 der polnischen Zivilprozessordnung ersucht, den Beschluss, mit dem der ursprüngliche Antrag von Frau Uellendahl zurückgewiesen wurde, dahingehend abzuändern, dass die Erbschaft ihres verstorbenen Bruders – im Umfang der dinglichen Rechte an der in Polen belegenen Immobilie – vollständig von Frau Uellendahl erworben wurde. In diesem Zusammenhang wurde argumentiert, dass die in Artikel 523 der polnischen Zivilprozessordnung genannte Änderung des Sachverhalts darin besteht, dass in den Anwendungsbereich des Antrags auf Erteilung eines Erbscheins nur dingliche Rechte an in Polen belegenen Immobilien einbezogen werden. Da Frau Uellendahl den Umfang des im vorliegenden Fall gestellten Antrags ursprünglich nicht spezifiziert hatte, hätte das Bezirksgericht zu dem Schluss kommen können, dass sich der Antrag auf den gesamten Nachlass ihres verstorbenen Bruders beziehe. Die Immobilie war derweil der einzige Bestandteil des Erbvermögens des Erblassers, der sich auf polnischem Staatsgebiet befand.
Für den Fall, dass das Nachlassgericht davon ausgehen würde, dass die Umstände des Falls nicht die in Artikel 523 der polnischen Zivilprozessordnung beschriebenen Voraussetzungen erfüllten, wurde das Nachlassgericht gebeten, den eingereichten Antrag – im Hinblick auf Artikel 11102 der polnischen Zivilprozessordnung (der den Grundsatz aufstellt, dass die inländische Zuständigkeit für die bei den Gerichten anhängigen Rechtssachen ausschließlich ist, soweit die Entscheidung dingliche Rechte an in der Republik Polen belegenen Immobilien oder den Besitz an Immobilien betrifft) als gesonderten Antrag auf Erteilung eines Erbscheins zu behandeln, allerdings nur im Rahmen von Artikel 11002 der polnischen Zivilprozessordnung. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass das Gericht bei dieser Vorgehensweise alle in der polnischen Zivilprozessordnung für diese Art von Fällen vorgesehenen gerichtlichen Tätigkeiten durchführen müsste. Das Nachlassgericht war daher verpflichtet, von Amts wegen eine mündliche Verhandlung abzuhalten, den Kreis der gesetzlichen und testamentarischen Erben des Erblassers zu ermitteln und diese Personen zur Verhandlung zu laden, zu prüfen, ob der Erblasser Testamente hinterlassen hat, und von der Person, die sich als Erbe meldet, eine Erbschaftszusage zu einzuholen. Die Erbschaftszusage besteht aus einer Erklärung über alles, was dem Erben, welcher sich an das Nachlassgericht gewendet hat, über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Personen, die von der Erbfolge ausgeschlossen sind oder die mit ihm zusammen erben würden, sowie über eventuelle Testamente des Erblassers bekannt ist. Die Durchführung aller oben genannten Maßnahmen ist in der Regel zeitaufwendig und erfordert – insbesondere bei der Bestimmung des Kreises der gesetzlichen Erben – den Nachweis der Zugehörigkeit zu diesem Kreis durch entsprechende standesamtliche Unterlagen. In Fällen mit Auslandsbezug verlängert sich die Dauer eines solchen Verfahrens entsprechend, weil der Erbe, der sich an das Nachlassgericht wendet, alle erforderlichen Unterlagen selbst beschaffen und dem Gericht mit einer beglaubigten Übersetzung ins Polnische vorlegen muss. So war es auch im Fall der Familie Uellendahl.
ENTSCHEIDUNG DES POLNISCHEN NACHLASSGERICHTS
Das polnische Nachlassgericht stellte schließlich fest, dass es keinen Grund gab, den Beschluss, mit dem der ursprüngliche Antrag von Frau Uellendahl zurückgewiesen wurde, zu ändern (gemäß Artikel 523 der Zivilprozessordnung).
Das Nachlassgericht behandelte den Fall der Familie Uellendahl als eigenständige Erbsache, bei der es lediglich um einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins in Bezug auf das Eigentum an der in Polen gelegenen Immobilie des verstorbenen Bruders von Frau Uellendahl ging (also ein gesonderter Antrag auf Erteilung eines Erbscheins). Das Nachlassgericht führte alle für diesen Fall vorgesehenen gerichtlichen Tätigkeiten durch.
Das erneute Erbschaftsverfahren dauerte mehr als 18 Monate und endete mit einem Urteil in der Sache, in dem festgestellt wurde, dass Frau Uellendahl das Erbe ihres Bruders (in Form von dinglichen Rechten an einer in Polen gelegenen Immobilie) erworben hat.
FAZIT
Der Fall der Familie Uellendahl veranschaulicht perfekt, wie viele Probleme und Fragen ein scheinbar unkomplizierter grenzüberschreitender Erbfall aufwerfen kann.
„Durch die Erbrechtsverordnung und damit die Einführung des europäischen Erbscheins wäre es Frau Uellendahl nunmehr möglich, ihre Rechte an dem Erbe ihres verstorbenen Bruders in Polen problemlos nachzuweisen“
Antworten und Lösungen liefert der EU-Gesetzgeber. Durch die Erbrechtsverordnung und damit die Einführung des Europäischen Erbscheins wäre es Frau Uellendahl nunmehr möglich, ihre Rechte an dem Erbe ihres verstorbenen Bruders in Polen problemlos nachzuweisen. Die polnische Justiz wäre dann nur noch mit der Durchführung des entsprechenden Grundbuchverfahrens befasst, einschließlich der Eintragung von Frau Uellendahl – als Erbin ihres Bruders – in das entsprechende Grundbuchregister auf der Grundlage des europäischen Erbscheins.