Grenzüberschreitende Erbfälle
Praktische Aspekte, Teil I
Im Rahmen der deutsch-polnischen Rechtspraxis sind wir in unserer anwaltlichen Tätigkeit häufig mit dem gesamten Spektrum praktischer Herausforderungen unserer internationalen Mandantschaft konfrontiert, insbesondere bei grenzüberschreitenden Erbfällen. In diesem zweiteiligen Artikel stellen wir Ihnen anhand eines Fallbeispiels die spezifischen Probleme einer grenzüberschreitenden Erbschaftssache vor, bei der der Nachlass eine in Polen gelegene Immobilie umfasst.
Małgorzata Gemen | polnische Rechtsanwältin und Gründerin der Anwaltskanzlei Adwokat Małgorzata Gemen mit Sitz in Stettin | Polen | www.kanzlei-gemen.de Łukasz Łowkiet | polnischer Rechtsanwalt und Gründungspartner der Kanzlei Dobrołowicz Weissgerber Łowkiet Adwokaci Sp. p. mit Sitz in Stettin | Polen | www.anwalt-polen24.de
EINLEITUNG
Grenzüberschreitende Erbfälle stellen, angesichts des den Bürgern der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gewährten Grundrechts auf Freizügigkeit, nach wie vor eine erhebliche Herausforderung dar – trotz der seit dem 17. August 2015 geltenden Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (nachfolgend „Erbrechtsverordnung“). Dies betrifft sowohl diejenigen, die unmittelbar mit der Regelung des Nachlasses des Erblassers befasst sind, als auch die Behörden und Institutionen, die in dieser Angelegenheit zu entscheiden haben. Das gilt insbesondere für die Vererbung von Immobilien, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem letzten Wohnsitz des Erblassers gelegen sind und in denen die oben genannte Erbrechtsverordnung nicht gilt (vor dem 17. August 2015 eröffnete Nachlassverfahren). Der Erbfall der Familie Uellendahl stellt in dieser Hinsicht ein sehr interessantes Beispiel nach polnischem Recht dar.
HINTERGRUND DES ERBFALLS UELLENDAHL
Frau Uellendahl wurde aufgrund einer rechtskräftigen Entscheidung des deutschen Nachlassgerichts als Alleinerbin ihres Bruders anerkannt. Zu seinem Vermächtnis gehörte u. a. das Eigentumsrecht an einer in der Republik Polen gelegenen Immobilie. Um die Rechtsnachfolge, die sich aus dem Erbe ihres Bruders ergab, im polnischen Grundbuch offenzulegen und eintragen zu lassen, beantragte Frau Uellendahl bei dem für den Standort der Immobilie zuständigen Bezirksgericht (dem polnischen Nachlassgericht) einen Erbschein, auf Grundlage der oben genannten Entscheidung des deutschen Nachlassgerichts. Das polnische Nachlassgericht wies den Antrag von Frau Uellendahl mit dem Hinweis auf das Vorliegen der Rechtskraftwirkung (res iudicata) der bereits ergangenen deutschen Entscheidung zurück: Nach Ansicht des polnischen Nachlassgerichts war eine Entscheidung eines deutschen Gerichts ergangen, mit welcher der Erwerb des Nachlasses durch Frau Uellendahl bereits festgestellt worden war. Aus diesem Grund war laut dem polnischen Nachlassgericht in diesem Fall die einzig sachgerechte Vorgehensweise, die Durchführung eines Verfahrens, das darauf abzielt, den deutschen Erbschein in Polen als wirksam anzuerkennen, was wiederum die Offenlegung der Rechtsnachfolge im Grundbuch ermöglichen würde. Gleichzeitig entschied das polnische Nachlassgericht, dass es für die Anerkennung der Entscheidung des ausländischen Gerichts nicht zuständig sei und verwies den Fall an das seiner Meinung nach zuständige Landgericht, um ein Anerkennungsverfahren durchzuführen. Das Landgericht wies den Antrag aus formalen Gründen zurück und entschied außerdem, den Fall nicht zur Prüfung zuzulassen.
DAS GRUNDPROBLEM
Die Entscheidung des polnischen Gerichts, den Antrag von Frau Uellendahl wegen der angeblich bereits vorliegenden Rechtskraftwirkung (res iudicata) der deutschen Entscheidung zurückzuweisen, wird nicht durch die polnischen Verfahrensvorschriften gestützt. Das grundlegende Problem, mit dem sich das Bezirksgericht in dieser Rechtssache nicht befasst hat, ist die Klärung der Frage der ausschließlichen Zuständigkeit der polnischen Gerichtsbarkeit in Bezug auf die Erbschaft von in der Republik Polen gelegenen Immobilien. Vergleiche Art. 11102 der polnischen Zivilprozessordnung: „Die inländische Gerichtsbarkeit in Sachen, die im nichtstreitigen Verfahren geprüft werden, ist insoweit ausschließlich, inwieweit die Entscheidung sich auf dingliche Rechte an Grundstücken oder an Besitz von Grundstücken im Gebiet der Republik Polen bezieht.“ Diese Vorschrift bedeutet, dass die Position des polnischen Obersten Gerichtshofs in seiner Entscheidung vom 6. März 1970 (Az.: I CR 3/70) gültig bleibt, wonach Nachlassverfahren im Bereich der dinglichen Rechte an in Polen gelegenen Immobilien ausschließlich der Zuständigkeit der polnischen Gerichte unterliegen. Dabei ist jedoch zu betonen, dass sich diese Regelung nur auf Nachlässe bezieht, die vor dem Inkrafttreten der Erbrechtsverordnung angefallen sind.
„Nachlassverfahren im Bereich der dinglichen Rechte an in Polen gelegenen Immobilien unterliegen ausschließlich der Zuständigkeit der polnischen Gerichte“
Im Fall von Frau Uellendahl war es ein Fehler, die Sache an das Landgericht zu verweisen, damit dieses das Verfahren zur Anerkennung der Entscheidung des deutschen Erbschaftsgerichts durchführt. Die deutsche Gerichtsentscheidung konnte gemäß den polnischen Verfahrensvorschriften nicht anerkannt werden, soweit sich die Anerkennung auf eine in der Republik Polen gelegenen Immobilie bezieht, da – wie oben erläutert – in dieser Angelegenheit ausschließlich polnische Gerichte zuständig sind. (Außerdem besteht die Besonderheit, dass deutsche Erbscheine gar nicht in Rechtskraft erwachsen.) Der Fall von Frau Uellendahl veranschaulicht sehr gut die Komplexität grenzüberschreitender Erbfälle, einschließlich der Probleme, mit denen einerseits die betroffenen Parteien selbst und andererseits die Justiz im Allgemeinen konfrontiert sind. Ähnlich gelagerte Erbfälle sind trotz des Inkrafttretens der Erbrechtsverordnung im Jahr 2015 immer noch keine Seltenheit. Hervorzuheben ist jedoch, dass der EU-Gesetzgeber mit der Einführung der Erbrechtsverordnung versucht hat, die Problematik grenzüberschreitender Erbschaften umfassend zu regeln und ein Mittel (Remedium) zu schaffen, um ähnliche Fälle wie den von Frau Uellendahl abschließend zu lösen.
AUSBLICK
Im zweiten Teil dieses Artikels erfahren Sie, wie das polnische Gericht diesen Fall gelöst hat. Dabei werden wir insbesondere auf die Rolle der europäischen Gesetzgebung eingehen.