Hatespeech auf Social Media

Was dies über unsere politische Lage aussagt und wie das zu einem Rückschritt im Bereich lang erkämpfter Frauenrechte führt

Hatespeech – insbesondere auf Social Media – ist ein bekanntes Problem. Es beschreibt eine gewalttätige Sprache mit dem Ziel der Herabsetzung von einzelnen Menschen oder ganzen Gruppen. Sie kränkt und verängstigt die Betroffenen, verletzt die Würde dieser Menschen.

Die Erfahrung zeigt: Vor allem Frauen und marginalisierte Gruppen sind Zielscheibe von Hassrede und Beleidigung im Netz. Ob als Privatnachricht oder öffentlich als Kommentar oder Beitrag auf Instagram, X und Co. – Beschimpfungen, Aufrufe zur Gewalt bis hin zu Morddrohungen sind an der Tagesordnung. Frauen haben es hierbei weit häufiger als Männer mit der Androhung von sexualisierter Gewalt oder Gewalt im Allgemeinen zu tun.

Der Internationale Frauentag am 8. März wurde als Initiative für Gleichberechtigung ins Leben gerufen. Erkämpft wurden viele demokratische Rechte, unter anderem das Wahlrecht der Frauen und die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe. Und gekämpft wird weiterhin, beispielsweise für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs.

Schaut man sich das massive Ausmaß der misogynen Anfeindungen auf Social Media, den Gender Pay Gap, die Gewaltstatistik und oft dürftigen Frauenquoten an, wird aber deutlich, dass wir von einer tatsächlichen Gleichberechtigung noch weit entfernt sind.

Katja Dunkel, LL.M. | Rechtsanwältin | DUNKEL Rechtsanwältinnen | www.dunkel-rechtsanwältinnen.de

FILTERBLASEN UND VERKLEINERTE DISKUSSIONSRÄUME

Eine große Herausforderung mit Hatespeech im digitalen Raum ist die nicht aufzuhaltende, rasante Verbreitung und die ständige Konfrontation mit ihr. Ist ein Kommentar einmal in der Welt, bleibt er in der Regel für immer sichtbar.

Menschen halten sich mehr und mehr in sozialen Netzwerken auf und beziehen einen Großteil ihrer Informationen darüber. Man „folgt“ Profilen mit gleicher Wertegrundlage, befindet sich also zunehmend in gleichgesinnten Echokammern. Die Verbreitung von Hass wird durch diese Filterblasen begünstigt, in denen immer kleinere Diskussionsräume entstehen. Andere Meinungen werden nicht mehr gehört.

„Die Verbreitung von Hass wird durch diese Filterblasen begünstigt, in denen immer kleinere Diskussionsräume entstehen. Andere Meinungen werden nicht mehr gehört“

Der Algorithmus tut sein Übriges und pusht kurze, emotionale Aussagen nach oben und verhilft so zu mehr Reichweite. Ein ausführlicher, gut recherchierter und objektiv gehaltener Artikel wird von weitaus weniger Menschen gelesen als die emotional aufgeladenen Buzzwords in einem Instagram-Post, der reißerisch klingt und schnell tausendfach geteilt wird. So kann durch gezielte Kommentare, die mit Hatespeech durchzogen sind, leicht eine aggressive Atmosphäre kreiert werden und der Hass wird verinnerlicht.

DEGRADIERUNG WIRD WIEDER SALONFÄHIG

Wird den Beleidigungen nichts entgegengesetzt und sind abwertende Beiträge auf Social Media überproportional sichtbar, dann sinkt auch die Empörung darüber. Der Ton wird zunehmend als normal empfunden und es entsteht ein gesamtgesellschaftliches Klima, in dem gewisse Aussagen wieder salonfähig werden.

Wird die Sprache also zu einem großen Teil gewaltvoll und beleidigende Ausdrucksweisen zum Alltag, so besteht die Gefahr, dass diese Positionen unreflektiert übernommen werden. Daraus resultierend nimmt der Hass gegenüber Frauen und marginalisierten Gruppen zu. Sprache wird zu Wahrheit und Kommentare werden in die Tat umgesetzt. Ein verurteilter Sexualstraftäter, der regelmäßig Frauen beleidigt, wird amerikanischer Präsident.

WO FÄNGT HATESPEECH AN?

Doch wo fängt Hatespeech an und wo hört sie auf? Beleidigung, Verleumdung und üble Nachrede sind nach dem Strafgesetz verfolgbar. Beschimpfungen, Vergewaltigungsaufrufe, Morddrohungen oder das Verbreiten von unwahren Tatsachen muss man nicht einfach so hinnehmen, sondern kann rechtlich dagegen vorgehen. Solche Äußerungen sind nicht von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Grundgesetz geschützt, da sie unverhältnismäßig die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzen.

Leider scheinen die Social-Media-Plattformen häufig eine sehr viel weitere Definition von Meinungsfreiheit zu vertreten. Hasskommentare und Aufrufe zu Gewalt gegen Frauen werden oft nicht als Verstoß gegen die Richtlinien der Plattform gewertet. Im Gegenteil – Plattformen wie X und Meta kündigen an, in Zukunft seltener gegen Hatespeech und Fake News vorzugehen. So soll die Meinungsfreiheit gestärkt und Zensur entgegengewirkt werden. Im Ergebnis dürfen in den USA Frauen im Internet als Haushaltsinventar und Homosexualität und Transsexualität als Geisteskrankheiten bezeichnet werden.

Rechtswidrige Beiträge werden gemeldet, es wird zur Löschung aufgefordert und die Betreiber*innen der Plattform bleiben untätig. Wird ein Profil dann doch mal gesperrt, so ist die Konsequenz oft einfach eine neue Registrierung unter anderem Namen. Die zivilrechtliche Verfolgung ist aufgrund anonymer Profile nahezu unmöglich.

Hatespeech kann auch noch weiter gehen: Diffamierungskampagnen, gezieltes Streuen von Fehlinformationen, der Aufruf zum Verbreiten von negativen Nachrichten über einzelne Personen. Die Veröffentlichung eines einzelnen Satzes kann durch gezieltes, vielfaches Weiterverbreiten ein solches Ausmaß der Verwüstung annehmen, dass ganze Existenzen zerstört werden.

Ein verkürzt dargestellter Sachverhalt, mit emotionalisierenden Buzz-Words geschmückt, füttert den Algorithmus, wird geteilt und erlangt große Aufmerksamkeit – die Reaktionen: Investigativ! Hast Du schon gehört?! Aktivistische Aufklärungsarbeit! Ein Skandal! Ein wichtiger Teil des Sachverhalts, der alles in einem anderen Licht dastehen lassen würde, wird verschwiegen. Die Schnelligkeit der sozialen Netzwerke überrollt jegliche Handlungsfähigkeit.

Die verkürzte Darstellung greift von der anonymen Echoblase der Social-Media-Plattformen auf die weit persönlichere Blase der Karrierenetzwerke LinkedIn und Co. um und wird auf einmal aus dem digitalen Raum in den analogen getragen. Der Ruf ist dahin, der gesellschaftliche Druck zu hoch. Viele sind dem Ausmaß solcher Shitstorms nicht gewachsen und geben auf, auch wenn sie vor Gericht das Gegenteil beweisen könnten. Den Beigeschmack der Persona non grata kann man nicht mehr so einfach abschütteln. Was Wahrheit oder Unwahrheit ist, spielt keine Rolle mehr.

RÜCKZUG DER FRAUEN

In einem solchen Klima ist die Gefahr groß, dass sich immer mehr Menschen aus Angst vor Angriffen aus dem öffentlichen Raum zurückziehen. Wir sehen es an Beispielen von aktivistischen Frauen, erfolgreichen Frauen, politisch aktiven Frauen, die systematisch diffamiert werden. Ein Beispiel ist Tessa Ganserer, die ihre politische Karriere aufgrund von nicht endendem Hass beenden musste. Wenn dies geschieht, verkleinert sich der Diskussionsraum, ihre Stimmen verschwinden.

Es scheint, als verdauen Frauen Shitstorms weitaus schlechter als ihre männlichen Kollegen. Liegt dies an ihrer geringen Resilienz oder vielmehr an einem immer noch patriarchalen System, in dem Männer die größten Teile der Macht und Meinungen prägen? Oder etwa an der Wucht der Hasskommentare, die bei Frauen weitaus aggressiver und sexualisierter ausfällt?

Fakt ist: Hatespeech lässt vermehrt Frauen, die sich in Organisationen oder auch privat engagieren, verstummen oder aus der Öffentlichkeit verschwinden. Wer nicht mitdiskutieren kann, der kann auch nicht für sich einstehen. Die Konsequenz ist, dass wir ihre Stimmen und ihren wichtigen Input verlieren. Führt sich diese Tendenz fort, so wird das Ungleichgewicht der Machtverteilung zwischen Mann und Frau noch größer. Patriarchale Strukturen verhärten sich, Frauenrechte leiden darunter. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, wie männerdominierte Meinungen zu männergemachter Politik und Wirtschaft werden.

„Fakt ist: Hatespeech lässt vermehrt Frauen, die sich in Organisationen oder auch privat engagieren, verstummen oder aus der Öffentlichkeit verschwinden. Wer nicht mitdiskutieren kann, der kann auch nicht für sich einstehen“

Der Male gaze ist auf dem Auge des Frauenrechts zwar nicht blind, doch leider etwas kurzsichtig, was die Gestaltung einer gleichberechtigten Gesellschaft angeht. So macht sich etwa die AfD für einen frauenpolitischen Rückschritt stark, will zurück zur heteronormen Kleinfamilie und traditionellen Geschlechterrollen. Sie fordert die Verschärfung des Abtreibungsrechts und vergleicht Feminismus mit Krebs.

SCHWÄCHUNG DER DEMOKRATIE

Verliert die Gesellschaft wichtige Stimmen von Frauen und marginalisierten Gruppen, geht uns die Diversität und Meinungsvielfalt verloren, die wir für eine funktionierende Demokratie brauchen. Die Meinungsvielfalt muss durch Schaffung gewaltfreier Räume geschützt werden. Der Staat wird seinem Auftrag zur Gleichberechtigung hier nicht gerecht. Das Internet ist kein gewaltfreier Raum und staatliche Reglementierungen gehen in dem Bereich deutlich zu kurz. Die Herausforderung wird sein, die richtige Balance zwischen Überregulierung und rechtsfreien Räumen zu finden. Social Media ist aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken und kann richtig genutzt eine große Bereicherung sein. Aber das nur, wenn die Menschen, die es nutzen, aufgeklärt sind. Diesem Problem muss sich die Politik annehmen.

UND NUN?

Bei all diesen Rückschritten und dem Vormarsch der Neuen Rechten fällt es schwer, positiv in die Zukunft zu blicken. Hass lässt starke Stimmen verstummen und sorgt dafür, dass Menschen sich allein fühlen, besonders in den sozialen Medien.

Doch wir dürfen uns nicht von der Hassblase blenden lassen, denn wir sind viele. Und wenn wir zusammenstehen, sind wir laut und werden gehört. Der Internationale Frauentag erinnert uns jedes Jahr daran, welche Fortschritte wir bereits erreicht haben. Und er sollte uns ermutigen, auch weiterhin furchtlos für Gleichberechtigung einzutreten. Online und offline.

Heft 03 | 2025 | 74. Jahrgang