Karikatur und Justiz

Was Bildsatire alles darf.

Wenn man über „die Karikatur“ sprechen soll, wird es meistens ernst, denn Karikaturisten müssen mit ihrer Zeichnung anecken, provozieren, übertreiben, müssen Lichter anzünden und riskieren, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen.
Das ist so, seit es die Karikatur bzw. das Spottbild gibt, also seit fast 600 Jahren. Die Karikatur bringt brisante Fragen zu Recht und Unrecht zugespitzt und unzensiert auf den Punkt und löst damit Streit und Diskussionen aus oder dient als Ventil, um kollektiven Unmut auszudrücken, – all das begleitet von einer Justiz, die im Zweifel auch in eigener Sache darüber entscheidet, was tragbar ist und was nicht.

Philipp Heinisch | Zeichner, Karikaturist und Maler | Ehrenmitglied des Berliner Anwaltsvereins | www.kunstundjustiz.de

Es ist gut für die Streitkultur, wenn, wie im Juni 2023 geschehen, Karikatur mit der Justiz in deren eigenen Räumen zusammentrifft und den Diskurs wachhält: Wozu brauchen wir die Karikatur? Oder: In welcher Verfassung wären wir, wenn es keine Karikaturen mehr gäbe?
Wäre die politische und rechtspolitische „Suppe“ nicht ohne Salz und Würze? Ist die Karikatur nicht der Seismograf der Freiheit? Und das nicht erst seit gestern, sondern seit um 1450 die Druckkunst erfunden wurde. Damit wurde ein revolutionäres Medium der Wissensvermittlung für jedermann zugänglich und sein Erfolg war eng mit der Karikatur verbunden, die die Aussage des Textes pointiert verstärkte. 1494 erscheint in Basel die satirische Schrift „Das Narrenschiff“ des Rechtsgelehrten und Humanisten Sebastian Brant und zusätzlich zum Text auch eine Quasi- Karikaturensammlung. Das Ziel der Satire war, die herrschende römische Kirche an die Tugenden, also an ihren ethisch-moralischen Auftrag zu erinnern. Dazu wandte Brant einen psychologischen Trick an: die paradoxale Intervention.
Gerade das, wofür man sich besonders stark macht, weil es besonders wichtig ist – gerade das macht man lächerlich: Im Narrenschiff sind es die Tugenden, für die sich sowieso kein Mensch interessiert – also brauchen wir sie nicht und schicken sie per Schiff in das Sumpfgebiet Narragonien. Natürlich soll dann ein moralischer Aufschrei durch das Land gehen und sollen die Tugenden zurückkehren.

„Justitia mit einem Tuch vor Augen – ein karikaturistischer Geniestreich von Albrecht Dürer“

Unter den Tugenden, die keiner braucht, ist natürlich auch die Gerechtigkeit, hier erstmals in der Kulturgeschichte mit einem Tuch vor Augen dargestellt – ein geniales Spottbild des damals 22-jährigen Albrecht Dürer.

Es ist ein Narr, der Justitia mit einem Tuch die Sicht auf das Wesentliche versperrt. Dabei soll doch gerade sie ganz genau HINSCHAUEN! Eine Adaption der Bildidee erscheint fünf Jahre später in der Bambergischen Halsgerichtsordnung mit einem ganzen „blinden“ Richterkollegium und mit der Aussage: Solche Richter sind unwürdig! Dürers Spottbild/Karikatur mit maximaler Wirkung auf den rechtlichen Alltag. Das sollte man nicht vergessen, auch wenn wir über Gerechtigkeit reden.

„Was die Karikatur ausmacht, sind die Übertreibung, der Spott und die künstlerisch gelungene Zeichnung“

Alles, was das Wesen der Karikatur ausmacht, war schon zu der Zeit ihrer Entstehung aktuell – vom makabren Zynismus bis zu flockigem Humor –, und das mit Witz, Wut und Esprit und einem gekonnten Strich. Eindrücke dazu konnte man in der Ausstellung „In guter Verfassung“ im Bundesministerium für Justiz gewinnen. In dieser ging es auch um ein Ausrufungszeichen des Verbands „Cartoonlobby e.V.“, der auf Dauer ein Forum für kritische Zeichenkunst einrichten möchte, was einem „politischen Berlin“ gut zu Gesicht stünde. Die Stadt hat allerdings bislang mit schnöder Missachtung auf Appelle reagiert, denn man konnte die Karikatur im Senat etatmäßig nicht zuordnen, nicht der hohen Kunst und nicht der Literatur im Sinne von Comic-Literatur – eine bleibende Erfahrung von Bürokratie.

EIN FORUM FÜR KARIKATUR UND SATIRISCHE KUNST? ABER BLOSS NICHT IN BERLIN!

Dabei haben bedeutende und mutige Künstler die Karikatur zu einer Kunstform erhoben, die geistigen Fortschritt bewirken will – wie in England William Hogarth/ James Gillray, in Frankreich Honoré Daumier/Charles Philippon oder in Deutschland Th.Th.Heine/George Grosz und die Karikaturisten im Simplizissimus.
Angesichts des politischen Desinteresses gehört ein gewisser Mut dazu, freiberuflich von der Karikatur leben zu wollen, denn wer in diesem Beruf aktiv ist, lebt ja indirekt von denen, die er/sie z.T. schonungslos kritisiert. Wer will schon in den Spiegel sehen, der ihn auch seine dunklen oder unangenehmen Seiten sehen lässt, und dafür zahlen?

WAS ALSO DARF DIE BILDSATIRE UND WAS NICHT?

Ein wesentliches Kriterium ist die Lebensweisheit: „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“, will sagen: Karikatur ist nie Selbstzweck, sondern eine Reaktion auf etwas „Unerfreuliches“, vgl. dazu auch die Entscheidung des BVerfGE 75, 369 vom 3.6.1987, in der es um eine Karikatur ging, mit der nun ausgerechnet die Justiz selbst angegriffen wurde, nämlich über die fatale Kollusion – den „Liebesakt“ – der Justiz mit der Parteipolitik. Das fand die angegriffene Justiz bis hin zum BVerfG gar nicht komisch und urteilte als Betroffene in eigener Sache gegen die Karikatur und schwer daneben.
Als Jurist und Karikaturist bin natürlich auch ich gern befangen, denn ich lebe für eine lebendige Streitkultur, die angesichts automatisierter Verfahren zu veröden droht. Umso wichtiger sind bildhafte Reflexionen über Recht und Gerechtigkeit, die oft genug genau ins Schwarze treffen, oder auch mal daneben. Das muss die Gesellschaft aushalten und nur so ist sie ist in guter Verfassung.

Exklusiv für Mitglieder | Heft 09/2022 | 72. Jahrgang