Kein Fremdbesitz an Rechtsanwaltskanzleien
Urteil des EuGH vom 19. Dezember 2024
I. WEGWEISENDES URTEIL DES EUGH
- In ihrem Urteil vom 19.12.2024 (C-295/23, Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft UG ./. RAK München) hat die Große Kammer des EuGH entschieden, dass das in der BRAO verankerte Verbot der Beteiligung reiner Finanzinvestoren an einer Rechtsanwaltsgesellschaft zulässig ist. Die deutschen Regelungen zum Fremdbesitzverbot sind unionsrechtskonform. Die Große Kammer des EuGH rechtfertigt ihre Entscheidung vor allem mit dem Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit und mit dem Schutz der Empfänger von Rechtsdienstleistungen.
- Es sei erwähnt, dass der Aufbau der Urteile des EuGH sich von Urteilen deutscher Gerichte deutlich unterscheidet: Für uns ungewohnt befindet sich der Tenor am Ende des Urteils, das eher wie ein Gutachten abgefasst ist.

Jörg Schachschneider | Rechtsanwalt | Vorstandsmitglied des BAV | Mitglied der Satzungsversammlung bei der BRAK | www.BerlinerAnwalt.com
II. SACHVERHALT
Die Klägerin war die Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft UG mit Sitz in Deutschland und vermutlich ausschließlich deswegen gegründet, um das deutsche Fremdbesitzverbot über europäisches Recht zu kippen. Nach Erhalt der Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft durch die RAK München veräußerte Halmer 51 Prozent der Anteile an eine österreichische GmbH, was er der RAK München mitteilte. Daraufhin widerrief diese die Zulassung wegen Verstoßes gegen das Fremdbesitzverbot. Dagegen klagte die UG vor dem AGH München. Dieser stieg auf den Vortrag der Klägerin ein und äußerte Zweifel an der Vereinbarkeit des Fremdbesitzverbotes mit europäischen Normen zur Kapitalverkehrsfreiheit, Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit. Die Satzung der klagenden UG stelle die anwaltliche Unabhängigkeit in genügender Weise sicher, so dass die angegriffene Regelung nicht erforderlich sei. Der AGH München legte die Frage zur Vorabentscheidung dem EuGH vor.
III. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
1.)
a)
Der EuGH stellte seine Prüfung unter die Überschrift, dass mit der deutschen Regelung im Wesentlichen verhindert werden soll, dass reine Finanzinvestoren, die nicht die Absicht haben, in der Gesellschaft beruflich tätig zu sein, auf das operative Geschäft der Rechtsanwaltsgesellschaft Einfluss nehmen, und ob das europarechtskonform sei.
b)
Sodann prüfte der EuGH die deutschen Normen anhand der Merkmale Diskriminierungsfreiheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit.
aa)
Ohne nähere Begründung stellt der EuGH fest, dass das Fremdbesitzverbot nicht diskriminierend sei (Rz. 63 der genannten Entscheidung).
„Zwingende Gründe des Allgemeininteresses rechtfertigen das Fremdbesitzverbot; Erfordernis der Loyalität des Rechtsanwalts“
bb)
Für die Prüfung der Erforderlichkeit geht der EuGH von dem Ziel aus, dass die anwaltliche Unabhängigkeit und Integrität sowie die Wahrung des Transparenzgebots und die Beachtung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht sichergestellt werden sollen, Rz. 64. Und es sei „offensichtlich, dass diese Zielsetzung mit dem Schutz der Dienstleistungsempfänger, hier der Empfänger von Rechtsdienstleistungen, und mit der Wahrung der ordnungsgemäßen Rechtspflege zusammenhängt, beides zwingende Gründe des Allgemeininteresses“, Rz. 65. Die anwaltliche Vertretungsaufgabe, die im Interesse einer geordneten Rechtspflege auszuüben sei, bestehe vor allem darin, in völliger Unabhängigkeit und unter Beachtung des Gesetzes sowie der Berufs- und Standesregeln die Interessen des Mandanten bestmöglich zu schützen und zu verteidigen, so der EuGH weiter. Mit den Aufgaben, für die Rechtsuchenden einzutreten und unabhängig Rechtsberatung zu erteilen, gehe das Erfordernis der Loyalität des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten einher. Loyalität, ein Wort, welches im Sprachgebrauch der Befürworter von Fremdbesitz nicht vorkommt, so wie die Mandanteninteressen ohnehin keine Rolle spielen. Umso bemerkenswerter, dass der EuGH sich dieses schönen Wortes bedient.
cc)
Bezüglich der Verhältnismäßigkeit sei Voraussetzung, dass die deutschen Normen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sind, nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, und nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden können, die zum selben Ergebnis führen. Das Fremdbesitzverbot sei geeignet zu gewährleisten, dass das Ziel der Wahrung der ordnungsgemäßen Rechtspflege und des Schutzes der anwaltlichen Integrität erreicht wird und dass dem Verbot von Interessenkonflikten Rechnung getragen werde. „Das Bestreben eines reinen Finanzinvestors, seine Investition ertragreich zu gestalten, könnte sich nämlich auf die Organisation und die Tätigkeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft auswirken. Und der EuGH in Rz. 69: „So könnte ein solcher Investor, sollte er den Ertrag seiner Investition für unzureichend halten, versucht sein, auf eine Kostensenkung oder das Bemühen um eine bestimmte Art von Mandanten hinzuwirken – gegebenenfalls unter der Androhung, dass er andernfalls seine Investition zurückziehen werde, was seine Einflussmöglichkeit, und sei sie auch nur mittelbar, hinreichend ausmacht.“
2.)
In Ermangelung einer Harmonisierung der für den Rechtsanwaltsberuf geltenden Berufs- und Standesregeln auf Unionsebene stehe es grundsätzlich jedem Mitgliedstaat frei, die Ausübung dieses Berufs in seinem Hoheitsgebiet zu regeln. Die für den Rechtsanwaltsberuf geltenden Regeln könnten daher in den einzelnen Mitgliedstaaten erheblich voneinander abweichen, Rz. 72. Damit haben sich auch Verweise der Fremdbesitzbefürworter auf abweichende Regeln in anderen Staaten erledigt.
3.)
Die Einschätzung eines Mitgliedstaats, dass sich in Satzungen von Rechtsanwaltsgesellschaften getroffene Regelungen in der Praxis als unzureichend erweisen, um die Erreichung der angeführten Ziele effektiv sicherzustellen, sei legitim, Rz. 74. Damit erteilte der EuGH Umgehungskonstruktionen durch entsprechende Gesellschaftsverträge und wohl auch durch zwischengeschaltete „Servicegesellschaften“ eine Absage.
4.)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Fremdbesitzverbot durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.
IV. BEWERTUNG
Ob der gegenteiligen Schlussanträge des portugiesischen Generalanwalts knallten ja bei den Rechtsschutzversicherern und deren Lobbyisten schon die Champagnerkorken und kwarten die Kaviardosen. Der EuGH folgte dem Generalanwalt dieses Mal (sonst folgt das Gericht wohl in 80 Prozent der Fälle) jedoch nicht. Ich halte die Entscheidung für richtig und fundiert. Erfreulicherweise stellte der EuGH auch auf den Schutz der Rechtsuchenden ab, deren Interessen bei den Fremdbesitzbefürwortern unerheblich sind. Die katastrophalen Entwicklungen von Fremdbesitz im Gesundheitsbereich zulasten der Patienten sollte Warnung genug für alle sein.
V. AUSBLICK
1.)
Zwar gibt es verschiedentliche Versuche, insbesondere von Rechtsschutzversicherern, das Fremdbesitzverbot durch gewisse Konstruktionen mit zwischengeschalteten „Servicegesellschaften“ zu umgehen. Diese dürften aber nicht nur an erheblichen Interessenkollisionen leiden, die für sich alleine schon zur Unwirksamkeit führen, sondern schlicht und einfach gegen den grundsätzlichen Rechtsgedanken des Umgehungsverbots des § 134 BGB verstoßen. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis sich die Rechtsanwaltskammern mit solchen Umgehungskonstrukten befassen und Unterlassung verlangen bzw. Zulassungen widerrufen.
„Für Mandanten bringt Fremdbesitz keine Vorteile, sondern nur Nachteile“
2.)
Der EuGH hat sich in seinem Urteil intensiv auch mit der Satzung des dortigen Klägers beschäftigt. Diese war natürlich – auf dem Papier – so konstruiert, dass sie den Anschein erweckte, Unabhängigkeit, Freiheit, Verschwiegenheit und Vermeidung der Gefahr von Interessenkollisionen der beteiligten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte seien gewahrt. Jedoch ließ der EuGH eine solche Satzung explizit nicht ausreichen. Mandanten jedenfalls können nur dringend davor gewarnt werden, ihre Interessen solchen interessegeleiteten Konstrukten und Rechtsanwaltsgesellschaften anzuvertrauen. Der EuGH hat das Verbot von Fremdbesitz an Rechtsanwaltsgesellschaften auch mit dem Schutz der Empfänger von Rechtsdienstleistungen begründet. Für Mandanten bringt Fremdbesitz keine Vorteile, sondern nur Nachteile, bestimmt nach den Profitinteressen des „Investors“, woran in Deutschland vorrangig Rechtsschutzversicherer, gerne verbrämt mit dem Deckmäntelchen Legal Tech, interessiert sind. Denn welcher echte Investor käme denn schon auf die Idee, ausgerechnet in eine Rechtsanwaltsgesellschaft statt in tatsächliche, relevante Wirtschaftsunternehmen zu investieren?
3.)
Der Wunsch nach Fremdbesitz an Rechtsanwaltskanzleien kommt mangels Bedarfs auch gar nicht aus der Anwaltschaft. Die Forderung nach der Zulassung von Fremdbesitz, die kommt von Rechtsschutzversicherungen, die sich gerne Rechtsanwaltskanzleien als nützliche Haustiere, als Nutztiere zum Nachteil der Versicherten halten wollen.