Kolleginnen und Kollegen – demnächst auch alle bei TikTok?

Der Kanzler ist jetzt auf TikTok. Wer von Euch demnächst auch?

HerrAnwalt etwa, mit bürgerlichem Namen Tim Hendrik Walter, hat sich auf der wohl derzeit beliebtesten Videoplattform TikTok einen Namen gemacht, indem er sein Fachwissen als Anwalt auf eine besonders zugängliche und zeitgemäße Weise präsentiert. Mit einer Mischung aus Humor und sachlicher Expertise behandelt er eine Vielzahl von rechtlichen Themen und erreicht erstaunliche 6,7 Millionen (meist) junge Plattformnutzer. Von Fragen des Mietrechts über Verkehrsregelungen bis hin zu arbeitsrechtlichen Belangen deckt er ein breites Spektrum ab.

Kerem Bakir | Rechtsanwalt | HÄRTING Rechtsanwälte | www.haerting.de

Was HerrAnwalt besonders auszeichnet, ist seine Fähigkeit, komplexe rechtliche Konzepte in verständliche Erklärungen zu übersetzen, ohne dabei den Unterhaltungsfaktor zu vernachlässigen. Seine Videos sind nicht nur informativ, sondern auch unterhaltsam, was sie für ein breites Publikum ansprechend macht. Dabei schafft er es, trockene Rechtsthemen mit einem lockeren Erzählstil und einem Schuss Humor zu präsentieren, was ihn von anderen TikTok-Nutzern abhebt.

Auch der Tiktoker „Vinqcent“ ist mit nun über 300.000 Followern ein sehr erfolgreicher Content Creator, der nahezu ausschließlich Jura-Videos veröffentlicht. Der sich „nur ein langweiliger Jurastudent“ nennende Influencer macht vor allem sogenannte POV-Videos (point of view), also Videos, aus dem einem bestimmten Blickwinkel. In einem Video etwa, das mit „POV Jurastudenten, wenn ihnen der Mietvertrag nicht gefällt“ überschrieben ist, zeigt er im Rollenspiel bei einer Durchsicht eines Mietvertrags lebhaft, welche Klauseln unzulässig sind, mit passender Begründung und Erläuterung der zugrundeliegenden BGH-Entscheidung.

Auf ihrem YouTube-Kanal bietet die Kanzlei des umtriebigen Kollegen Christian Solmecke, den man sicher als Pionier des lehrreichen Jura-Unterhaltungs-Contents auf YouTube bezeichnen kann, rechtliche Informationen und Ratschläge zu Themen wie Medienrecht, Urheberrecht und Internetrecht. Sie behandeln aktuelle rechtliche Entwicklungen, geben Tipps zur rechtlichen Absicherung von Online-Aktivitäten und beantworten häufig gestellte Fragen im Zusammenhang mit Rechtsfragen im digitalen Raum. Dabei thematisieren sie oft Streitigkeiten, die aus verschiedenen Gründen mediale Aufmerksamkeit erlangt haben, aber auch Fragen im Zusammenhang mit Personen der Entertainment-Gegenwart wie: „Jan Böhmermann geht gegen Imker vor: Bienen-Streit um „Beewashing“, „Anzeigenhauptmeister im Krankenhaus! N. Matthei von Frau attackiert“ oder „.Muss Monte in den Knast? Strafanzeige nach Zug- und Rad-Zoff“. Das kommt an bei der Zielgruppe – beachtliche 1,01 Millionen Abonnenten folgen dem Rechts-Kanal. Auch der dazugehörige Instagram-Kanal „recht2go“ erreicht 112.000 Follower.

Aber auch auf Instagram gewinnen Jura-Accounts an Beliebtheit, wenn sie denn unterhaltsam gemacht sind. Unter dem Namen @einfach.recht gibt der 28-jährige Diplom- Jurist Aleix Castillo vor allem auf Instagram Hunderttausenden auf den sozialen Netzwerken juristische Alltagstipps, Tendenz steigend. Dabei greift er sich teils komplexe Gesetze oder Entscheidungen und erklärt sie in Rollenspielen seinen Abonnenten. Das ist unterhaltsam und lehrreich zugleich.

Auch diese Kanäle werden aufgrund ihrer hohen Reichweite Unternehmen anziehen, die den „guten Draht“ zum Publikum für Kooperationen nutzen wollen. Welche Kunden die Legal Influencer und deren Publikum als erstes für sich entdecken werden, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass auch die Legal Influencer sich an die geltenden Influencer-Marketing-Regelungen halten müssen.

KENNZEICHNUNGSPFLICHTEN AUCH FÜR LEGAL INFLUENCER

In Deutschland gilt für Influencer im Rahmen des Wettbewerbsrechts die Pflicht, jegliche Werbebeiträge eindeutig zu kennzeichnen, wenn diese als Unternehmer einer gewerblichen Tätigkeit nachgehen. Für die Annahme einer gewerblichen Tätigkeit muss der Influencer selbständig, planmäßig und auf eine gewisse Dauer eine entgeltliche Leistung am Markt anbieten.1BGH v. 9.9.2021 – I ZR 90/20 Rz. 35, MDR 2021, 1404 – Influencer I.

Darunter fällt nicht nur der Verkauf von Waren oder Dienstleistungen, sondern auch die Vermarktung und Kommerzialisierung des eigenen Profils.2BGH v. 9.9.2021 – I ZR 90/20 Rz. 36, MDR 2021, 1404 – Influencer I. Wann genau Letzteres angenommen werden muss, ist jedoch nicht durch gefestigte Kriterien geklärt. Faktoren, die die Rechtsprechung heranzieht, sind etwa das Auftreten nach außen hin und geschäftliches Selbstverständnis, Angebotsfrequenz und -portfolio, Klassifizierung und Denomination des Angebots und die Entgeltlichkeit der Produktplatzierung. Es kommt dafür jedoch nicht auf die Anzahl der Follower oder der allgemeinen Bekanntheit des Influencers an.

Wirbt ein Influencer im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit für sein eigenes oder für ein fremdes Unternehmen (gegen eine Vergütung oder sonstige Leistung), liegt in der Regel eine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG vor, die den Regelungen des Wettbewerbsrechts unterfällt.

Erhält der Influencer keine Gegenleistung für seine Werbung, fehlt der unmittelbare Zusammenhang (i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG) mit der Absatzförderung eines Produktes, sodass das UWG keine Anwendung findet. Eine Ausnahme besteht jedoch, wenn der Beitrag nach seinem Gesamteindruck übertrieben werblich ist, also einen werblichen Überschuss enthält, so dass die Förderung fremden Wettbewerbs eine größere als nur eine notwendigerweise begleitende Rolle spielt.3BGH v. 13.1.2022 – I ZR 35/21 – Influencer III, NJW 2022, 2016 Rz. 36.

Nach § 5a Abs. 4 Satz 3 UWG wird der Erhalt oder das Versprechen einer Gegenleistung gesetzlich vermutet. Der handelnde Influencer trägt die Beweislast und wird sich, etwa mit einem Beleg über den (privaten) Kauf bei einer Produktempfehlung, gegen die Vermutung wehren müssen.

Ist der Influencer im Ergebnis als Unternehmer tätig und erbringt er eine geschäftliche Handlung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG, trifft ihn die genannte Kennzeichnungspflicht.

Danach muss jede Werbung eindeutig als solche gekennzeichnet werden, wenn sich der „kommerzielle Zweck“ eines Postings nicht „unmittelbar aus den Umständen“ ergibt (§ 5a Abs. 4 Satz 1 UWG). So soll der Verbraucher die Gelegenheit erhalten, sich bereits im Voraus auf den kommerziellen Charakter der Handlung einzustellen, um eine kritische Bewertung vorzunehmen oder sich gänzlich von ihr abzuwenden zu können.4BGH v. 9.9.2021 – I ZR 90/20 Rz. 89, MDR 2021, 1404 – Influencer I.

Die Pflicht zur Kennzeichnung des kommerziellen Zwecks entfällt, wenn das äußere Erscheinungsbild der geschäftlichen Handlung so gestaltet wird, dass die Verbraucher den kommerziellen Zweck klar und eindeutig auf den ersten Blick erkennen können. Hierbei gilt es, auf den durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Verbraucher abzustellen.5BGH v. 9.9.2021 – I ZR 90/20 Rz. 87, MDR 2021, 1404 – Influencer I.  Ausreichend ist zum Beispiel eine Kennzeichnung als „Werbung“ oder „Anzeige“.

INFLUENCER LEGAL HUB

Die Darstellung der Rechtslage in Deutschland ist schon kompliziert genug und obigen Ausführungen hierzu stark vereinfacht. Ob Influencer hierzulande tatsächlich durchblicken, wann genau was gekennzeichnet werden muss, darf bezweifelt werden. Dass es einen Austausch über medienpräsente Gerichtsentscheidungen gibt oder eine Beschäftigung mit der rechtlichen Situation, wenn ein/e Influencer/in abgemahnt wird, darf dagegen vermutet werden. Ob die Entscheidungen von denen, die sie betreffen, verstanden werden, wird nicht „abgeklopft“.

Schaut man sich nur die deutschen Entscheidungen zum Influencer-Marketing an, dann erkennt man jedoch, dass die rechtliche Situation erklärungsbedürftig ist. Die Regelungen und die Rechtsprechung können mitunter unübersichtlich und komplex sein.

Wie alle am Wettbewerb teilnehmenden Akteure müssen aber auch Influencer, die als Unternehmer mit Verbrauchern agieren, rechtliche Regelungen achten und einhalten. Zur Vereinfachung und Bündelung aller zu achtenden Regelungen hat die Europäische Kommission das sogenannte Influencer Legal Hub veröffentlicht.

Das Influencer Legal Hub ist eine neu erstellte Sammlung von Materialien, darunter Videoschulungen (Webinare), schriftliche Rechtsunterlagen, Übersichten über wichtige europäische Gesetze und Fallbeispiele vom Gerichtshof der Europäischen Union sowie Links zu anderen einschlägigen nationalen Verbraucherbehörden und weitere Ressourcen. Mit dieser Hilfestellung können Influencer sich nun mit den im Rahmen ihrer Tätigkeit erforderlichen Verbraucherschutzstandards vertraut machen. Insbesondere soll damit anschaulich dargestellt werden, wie Werbung zu kennzeichnen ist und welche Folgen etwaige Verstöße haben.

Dass der Nachholbedarf enorm ist, ergibt sich auch aus einem sogenannten Sweep der Europäischen Kommission, denn die hat 576 Influencer-Posts in den sozialen Medien überprüft und dabei festgestellt, dass 97 Prozent der Influencerinnen und Influencer Posts mit kommerziellem Inhalt veröffentlichten, aber nur 20 Prozent dies systematisch als Werbung offenlegten. 38 Prozent von ihnen nutzten nicht die extra angefertigten Plattformlabels, die zur Offenlegung kommerzieller Inhalte dienen, wie etwa „bezahlte Partnerschaft“ auf Instagram. Stattdessen entschieden sich diese Influencerinnen und Influencer für eine andere Formulierung wie „Zusammenarbeit“ (16 %), „Partnerschaft“ (15 %) oder ein allgemeines Dankeschön an die Partnermarke (11 %). Darüber hinaus bewarben 40 Prozent der Influencerinnen und Influencer ihre eigenen Produkte, Dienstleistungen oder Marken, wobei 60 Prozent davon nicht konsequent oder gar nicht offenlegten, dass es sich um Werbung handelt. Dabei handelte es sich auch nicht um nur unbedeutende Akteure, denn 82 Influencerinnen und Influencer hatten über 1 Millionen Follower, 301 über 100.000 und 73 zwischen 5000 und 100.000.

Aufklärung ist deshalb nötig – je schneller, desto besser. Vom Gesetz über die digitalen Dienste, dass auf alle Online-Plattformen Anwendung findet und seit dem 17. Februar 2024 in Kraft getreten ist, werden die Influencer schließlich auch irgendwann hören.

Heft 06 | 2024 | 73. Jahrgang

  • 1
    BGH v. 9.9.2021 – I ZR 90/20 Rz. 35, MDR 2021, 1404 – Influencer I.
  • 2
    BGH v. 9.9.2021 – I ZR 90/20 Rz. 36, MDR 2021, 1404 – Influencer I.
  • 3
    BGH v. 13.1.2022 – I ZR 35/21 – Influencer III, NJW 2022, 2016 Rz. 36.
  • 4
    BGH v. 9.9.2021 – I ZR 90/20 Rz. 89, MDR 2021, 1404 – Influencer I.
  • 5
    BGH v. 9.9.2021 – I ZR 90/20 Rz. 87, MDR 2021, 1404 – Influencer I.