Kryptos im Nachlass. Und nun?
It´s the Private Key, stupid!
EINLEITUNG: EIN GLEITSCHIRM, EIN UNTERNEHMER1Aus Gründen der Lesbarkeit wird in diesem Beitrag auf die Verwendung geschlechtsspezifischer Sprachformen verzichtet. Entsprechende Bezeichnungen gelten stets für alle Geschlechtsidentitäten. UND EIN BERG VON KRYPTOWÄHRUNGEN
Stellen Sie sich vor: Unternehmer U, jung, dynamisch und mit einem Faible für technologischen Fortschritt, stürzt tragischerweise bei einem Gleitschirmflug ab. Mit 42 Jahren verlässt er diese Welt – und hinterlässt ein Testament sowie ein Vermögen in Höhe von mehreren Millionen Euro in Kryptowährungen.2Dr. Pierre Plottek und Maria-Dolores Rietz, Krypto-Assets im notariellen Nachlassverzeichnis und die Pflichten des Notars, ZErb 2024, S. 1 ff. Die Familie ist ratlos, die Testamentsvollstreckung ist angeordnet, und wir Anwälte fragen uns: Was nun?

Bodo M. Schneider | Rechtsanwalt | zertifizierter Testamentsvollstrecker (DVEV)
KRYPTOWERTE: EIN NEUES KAPITEL IM ERBRECHT
Kryptos sind gekommen, um zu bleiben. Die Adoption ist weit vorangeschritten, denken Sie nur an die Bitcoinund Ether-Spot-ETF-Zulassungen in den USA Anfang 2024. Ihre rechtliche Einordnung ist jedoch alles andere als trivial. Gemäß § 1 Abs. 11 Satz 4 KWG handelt es sich bei Kryptowerten um digitale Darstellungen eines Wertes, der von keiner Zentralbank oder öffentlichen Stelle emittiert wurde oder garantiert wird und nicht den gesetzlichen Status einer Währung oder von Geld besitzt. Sie können als Zahlungsmittel oder zu Anlagezwecken dienen – und können auf elektronischem Wege übertragen, gespeichert und gehandelt werden. Nach herrschender Meinung gelten Kryptowerte als „sonstige Gegenstände“ als Oberbegriff der Sache in § 90 BGB.3V. Oertzen/Grosse, DStR 2020, 1651; Spindler/Bille, WM 2014, 1357, 1360. Doch dieser Begriff führt uns nicht aus der juristischen Sackgasse. Wie bewerten wir diese Vermögenswerte? Welche steuerlichen und erbrechtlichen Herausforderungen kommen auf uns zu?
NOT YOUR KEY, NOT YOUR COIN!
Die Arbeit des Testamentsvollstreckers (TV) beginnt mit der Suche. Aber wonach sucht der TV genau? Nach der Wallet? Hot- oder Coldwallet? Nach der PIN? Oder nach der Seed-Phrase? Die Digitalisierung bringt uns an den Punkt, an dem ein 256-Bit-Schlüssel – eine Kombination aus Nullen und Einsen – über Millionen entscheidet. Ohne Private Key keine Coins, denn es gilt: „Not your key, not your coin“. Eine Kombination von regelmäßig 256 Nullen und Einsen kann sich nur Rain Man4https://de.wikipedia.org/wiki/Rain_Man. fehlerfrei merken. Aus diesem Grund gibt es die sogenannte Seed-Phrase: 12 oder 24 Worte, die die privaten Keys digital ersetzen.
„It’s the Private Key, stupid! “5„The economy, stupid“, später „It’s the economy, stupid“ – geprägt 1992 von dem Wahlkampfstrategen James Carville in der Wahlkampagne von Bill Clinton.
Die gute Nachricht: Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 12. Juli 2018 zum „digitalen Nachlass“6BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17 = BGHZ 219, 243 = NJW 2018, 3178 – Zugriff der Eltern auf den Facebook-Account des verstorbenen Kindes. klargestellt, dass dieser nicht als „Sondernachlass“, sondern als ganz normaler Bestandteil des Nachlasses des Erblassers anzusehen ist.
Das Wirtschaftsgut Kryptowert wird mit den jeweiligen Transaktionen in der Blockchain geführt. Die Blockchain ist ein öffentliches digitales Register oder Kassenbuch mit einer Kette von digitalen Bausteinen in einem dezentralen Peer-to-peer-Netzwerk. Diese Bausteine werden nacheinander aneinandergereiht und bilden dann eine Kette. Alle, die mitmachen, haben dieselbe Kette und können sehen, was passiert. Deshalb kann niemand etwas heimlich ändern, weil sonst die Kette kaputtgehen würde und alle das merken. So bleibt die Kette sicher und für alle nachvollziehbar.
Der Private Key ist von dem öffentlichen Schlüssel (Public Key) zu unterscheiden, dieser Public Key ist öffentlich bekannt und dient der allgemeinen Identifizierung. Nur der Private Key (der kryptografische Schlüssel = Kombination von 256 Nullen und Einsen, vereinfacht in der Seed-Phrase) ermöglicht dem Inhaber die tatsächliche Verfügungsgewalt über die der Brieftasche (Wallet) zugeordneten und in der Blockchain geführten Kryptowerte.7Los geht es mit der digitalen Kryptographie 1991 mit dem Verschlüsselungsprogramm „pretty good privacy“ – PGP von Phil Zimmermann. Der Private Key ist als Teil des digitalen Nachlasses also grundsätzlich vererbbar. So weit, so gut.
In der Praxis stellt sich jedoch die Frage, wie der tatsächliche Zugriff auf Wallets und Konten – also die Verfügung über das Wirtschaftsgut – sichergestellt werden kann. Es braucht klare Anweisungen im Testament und – ganz wichtig – die entsprechende Dokumentation der Zugangsdaten. Der Hinweis und die Aufforderung an den Mandanten zu einer solchen umfassenden Dokumentation ist schon jetzt eine Verpflichtung des Beraters für die ordnungsgemäße Nachlassgestaltung, wenn Kryptowerte mit im Spiel sind.
Wenn der Private Key in Papierform (Paperwallet) vorliegt, so handelt es sich um eine sogenannte Coldwallet oder Hardwarewallet, diese benötigen im Gegensatz zur Hotwallet keine ständige Online-Verbindung. Das Papier der Paperwallet geht als Teil der bekannten analogen Welt unproblematisch im Wege der Universalsukzession auf den Erben über. Nichts anderes gilt, wenn der Private Key auf einem physischen Speichermedium – Hardwarewallet – hinterlegt ist. Auch dann handelt es sich um eine sogenannte Coldwallet, die auf den Erben übergeht.
Ist die Hardwarewallet (sieht häufig ähnlich aus wie ein USB-Stick) nach dem Erbfall nicht mehr aufzufinden oder die PIN für die Wallet ist den Erben nicht bekannt, der verkürzte Private Key in der Form der Seed-Phrase (12 oder 24 Worte) liegt aber vor, so ist nur das „Portemonnaie“ verloren gegangen, die Kryptowerte selbst sind es aber nicht! In einem solchen Fall wird eine neue Wallet gekauft und mit der vorhandenen Seed-Phrase werden die Kryptowerte in der neuen Wallet wieder erzeugt (Deep-Storage-Methode).
Wenn die Brieftasche online bei einem Anbieter oder einer Börse geführt wird, so handelt es sich um eine sogenannte „Hotwallet“ oder Softwarewallet und es gelten für diese anbieterabhängigen Brieftaschen die vertraglichen Verabredungen zwischen dem Erblasser als Kunden und dem jeweiligen Verwahrer der Kryptowerte. Für den Zugriff und die nachfolgende Verfügung von Kryptowerten braucht es bei der Hotwallet die Zugangsdaten zu dem Konto der Börse oder des Verwahrers.
Ein TV, der sich erst nach Monaten des Antritts seines Amtes um die Kryptos im Nachlass kümmert, läuft große Gefahr, sich begründeten Schadensersatzansprüchen auszusetzen. Denn bei den hochvolatilen Kryptowerten ist fast immer unverzügliches Handeln dringend angezeigt.
STEUERLICHE ASPEKTE: KEINE RUHE VOR DEM FINANZAMT
Das BMF-Schreiben vom 10. Mai 20228BMF v. 10.5.2022, IV C 1 – S 2256/19/10003:001. gibt klare Hinweise, wie Kryptowährungen steuerlich zu behandeln sind und als zusätzliche Dienstleistung Definitionen für die Kryptowelt. Kryptowerte sind danach Wirtschaftsgüter im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Virtuelle Währungen sind dem wirtschaftlichen Eigentümer zuzurechnen, nämlich demjenigen, der über den privaten Schlüssel verfügt. Eine Verlängerung der Veräußerungsfrist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 4 EStG kommt bei virtuellen Währungen nicht zur Anwendung!9BMF v. 10.5.2022, IV C 1 – S 2256/19/10003:001, Rn. 63.
Für die Steuerfestsetzung gilt in der Regel die FIFOMethode („First In – First Out“), wenn nicht der Steuerpflichtige eine andere Bestimmung trifft. Dennoch bleibt auch hier genug Spielraum für Streitigkeiten – einzelfallbezogene Entscheidungen werden an der Tagesordnung sein.
IRRTÜMER UND REALITÄT: KRYPTOWÄHRUNGEN IM ALLTAG
Ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass Kryptowährungen primär für illegale Aktivitäten genutzt werden. Durch das öffentlich geführte Kassenbuch – die Blockchain – werden Straftäter über kurz oder lang überführt. So ist zuletzt der Bitfinex-Hacker Ilya Lichtenstein am 15. November 2024 von einem US-Bundesbezirksgericht zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Ebenso hat der Betreiber der illegalen Streaming-Plattform „movie2k. to“ dem Freistaat Sachsen knapp 50.000 Bitcoin herausgeben müssen.
KRYPTOGRAPHIE – GEHEIM SCHREIBEN – EXKURS BEA
Kryptographie begegnet uns Anwälten in der täglichen Arbeit mit dem beA. Das besondere elektronische Anwaltspostfach verfügt jedoch nicht über eine echte Ende- zu-Ende-Verschlüsselung, also einem Private Key im klassischen Sinne. Stattdessen sind die privaten Schlüssel aller Anwälte – der Token – auch auf dem sogenannten Hardware Security Modul (HSM) gespeichert.10Durchgewunken vom BGH, Urteil v. 22.3.2021 – AnwZ (Brfg) 2/20. Dies wirft die Frage auf: Wie sicher sind Systeme, die zentrale Kontrollinstanzen haben?
„Erbrecht im Wandel der Zeit“
FAZIT
Kryptos im Nachlass sind kein Zukunftsszenario mehr. Sie sind Gegenwart. Als Anwälte müssen wir uns auf die Besonderheiten dieser digitalen Werte einstellen. Ob Private Key, Wallet oder Seed-Phrase – die richtige Vorbereitung und Dokumentation ist entscheidend. In diesem Sinne: Packen wir die Ostereiersuche im digitalen Nachlass mit juristischer Akribie und gelassener Heiterkeit an. Die Zukunft ist jetzt – und sie ist aufregend.11Was fehlt: Proof of Work, Proof of Stake, Token, Forging, Masternode, Initial Coin Offering, Airdrop, Fork, Minting, Yield Farming, Behandlung von Kryptowerten im Betriebsvermögen, MICA-Verordnung, internationaler Bezug (FIT 21), CARF, Quantencomputer etc. pp.
- 1Aus Gründen der Lesbarkeit wird in diesem Beitrag auf die Verwendung geschlechtsspezifischer Sprachformen verzichtet. Entsprechende Bezeichnungen gelten stets für alle Geschlechtsidentitäten.
- 2Dr. Pierre Plottek und Maria-Dolores Rietz, Krypto-Assets im notariellen Nachlassverzeichnis und die Pflichten des Notars, ZErb 2024, S. 1 ff.
- 3V. Oertzen/Grosse, DStR 2020, 1651; Spindler/Bille, WM 2014, 1357, 1360.
- 4https://de.wikipedia.org/wiki/Rain_Man.
- 5„The economy, stupid“, später „It’s the economy, stupid“ – geprägt 1992 von dem Wahlkampfstrategen James Carville in der Wahlkampagne von Bill Clinton.
- 6BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17 = BGHZ 219, 243 = NJW 2018, 3178 – Zugriff der Eltern auf den Facebook-Account des verstorbenen Kindes.
- 7Los geht es mit der digitalen Kryptographie 1991 mit dem Verschlüsselungsprogramm „pretty good privacy“ – PGP von Phil Zimmermann.
- 8BMF v. 10.5.2022, IV C 1 – S 2256/19/10003:001.
- 9BMF v. 10.5.2022, IV C 1 – S 2256/19/10003:001, Rn. 63.
- 10Durchgewunken vom BGH, Urteil v. 22.3.2021 – AnwZ (Brfg) 2/20.
- 11Was fehlt: Proof of Work, Proof of Stake, Token, Forging, Masternode, Initial Coin Offering, Airdrop, Fork, Minting, Yield Farming, Behandlung von Kryptowerten im Betriebsvermögen, MICA-Verordnung, internationaler Bezug (FIT 21), CARF, Quantencomputer etc. pp.