„Kunst statt Großkanzlei – ernsthaft?“

Wie ich meine Anwaltskarriere für Kunst aufgegeben habe

Zuletzt wurde ich häufiger gefragt, wie ich den Mut aufbringen konnte, meine Anwaltskarriere hinter mir zu lassen und Kunst als neuen Beruf zu wählen. Vor allem Kunst!? Kann der Gap noch größer sein? Keine Ahnung. Sag du’s mir. Ich bin ja schon gesprungen. Was ich jedoch sagen kann, ist, dass das NATÜRLICH nicht so geplant war. Du wachst nicht eines Morgens auf und denkst: „Hmmm, heute ist ein guter Tag zum Kündigen und Prinzessin (oder Künstlerin) werden.“

„Du wachst nicht eines Morgens auf und denkst: ‚Hmmm, heute ist ein guter Tag zum Kündigen und Prinzessin (oder Künstlerin) werden‘“

Ich wäre auch mit 18 nie auf die Idee gekommen, Kunst zu meinem Beruf zu machen. Viel zu unsicher. Brotlos. Kein sinnvoller Beitrag zur Gesellschaft. Immer abhängig von einem Gönner. Und wenn du nicht aufpasst, hast du ein Ohr weniger.

Annika Juds | The Female Empowerment Artist | Künstlerin/Ex-Anwältin/Speakerin | https://www.annikajuds.de
Fotos: Diane von Schoen

DIE VERNÜNFTIGEN JOBS

Gemalt habe ich schon immer. Seit ich denken kann. Auch schon immer Porträts. Doch wie sagt man so schön: Mir sind die vernünftigen Jobs dazwischengekommen. Nach dem Abitur habe ich zunächst Verwaltungswissenschaften studiert und war jahrelang Beamtin bei der Stadt Hamburg. Von Ungeduld und Ehrgeiz motiviert, habe ich Jura nebenbei studiert.

Für mein Referendariat wollte mir die Stadt jedoch keinen Sonderurlaub geben und so bin ich das erste Mal gesprungen. Ich habe mich aus dem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit entlassen lassen. Das hatten die auch noch nicht. Einige Kolleg:innen fanden das mutig, die meisten wohl eher leichtsinnig. Ich fand‘s logisch.

Ich hatte ein Ziel (den höheren Dienst), einen Plan A (zwei Jahre Referendariat und wieder an die Tür klopfen) und einen Plan B (wenn ich das Zweite Examen nicht schaffe, nehmen die mich vielleicht auch so zurück). Ich zog nach Frankfurt und kein Plan ging auf.

Großkanzleien waren schon an der Uni verschrien. Viel Arbeit, viel Ego, viel Geld. Wenig vom Rest. Spannend. Das wollte ich mir ansehen, dann mitreden können und dann was „Richtiges“ suchen. Doch ich bin hängen geblieben. Insgesamt fast zehn Jahre. Ich habe zwischenzeitlich nochmal die Kanzlei gewechselt, für mehr Perspektive. Doch auch da war der Partner Track zu unkonkret und was kommt eigentlich danach?

VORSICHT: AUSZEITEN KÖNNEN ZU NEUEN BERUFEN FÜHREN

Bevor ich also für eine Partnerschaft nochmal woanders neu starte, wollte ich mir eine Auszeit nehmen. Drei Monate. In Ruhe darüber nachdenken, ob das wirklich der nächste, juristisch logische Schritt ist. Oder vielleicht doch lieber was Kleineres? Oder Inhouse? Dann kamen Corona und mehr Zeit. Ich habe am Küchentisch wieder angefangen, Porträts zu malen. Eine Freundin hat mir eine Ausstellung in München organisiert und dann ging es steil. Fast jede Woche passierte etwas aufregendes Neues: Ein großer Artikel in der Süddeutschen Zeitung, ein Verkauf über Instagram nach Hawaii, ein Großauftrag für ein Ferienhaus in Griechenland und eine Kooperation mit AIDA Cruises, wo meine Porträts in deren Schiffsgalerien um die Welt fuhren.

„Die geplante Auszeit war längst abgelaufen, und kein Jurajob bot, was ich mit der Kunst bis dato gefunden hatte“

Viele Projektangebote, die einfach Spaß gemacht haben. Ernsthaft betrieben habe ich das nicht. Die geplante Auszeit war längst abgelaufen, und kein Jurajob bot, was ich mit der Kunst bis dato gefunden hatte: Selbstbestimmtheit. Eine unglaublich kreative und zeitliche Freiheit, die weder vorgibt, was Erfolg ist, noch ein Rentenalter kennt. Es klingt fast absurd: Sicherheit. Ich bin mir so sicher, in dem was ich tue. Das war ich als Anwältin nicht. Stück für Stück hatte es sich selbst bewiesen. Kunst muss nicht brotlos sein. Es ist ein Luxusprodukt, das Menschen sehr glücklich machen kann. Etwas, das bleibt. Eine Frage drängte sich langsam auf: Was ist drin, wenn ich das mit Vollgas mache? Keine Ahnung, aber ich wollte es rausfinden.

KANNST DU DAVON LEBEN?

Der erste Schritt war Fortbildung. Dank Corona alles online. Ich belegte Kurse zu Marketing, Buchhaltung, Steuer, Branding, Unternehmertum. Denn das bin ich jetzt: Unternehmerin. Und ja, ich kann davon leben. Gut. In München.

Das ist übrigens fast immer die zweite Frage, die ich kriege. Die erste: Was machst du so beruflich? Die zweite (gern in Verbindung mit hochgezogenen Augenbrauen): Kannst du davon leben? Das bin ich als Anwältin nie gefragt worden. Manche Künstler:innen bringt diese Frage regelmäßig in Rage. Mich nicht. Aber ich kann verstehen, warum. Denn diese Frage ist ein ganzes Fass an Fragen: Machst du Umsatz? Machst du gar Gewinn? Du lebst also nicht vom Staat? Ist deine Malerei schön genug, dass andere sie mögen? So gut, dass sie ins Wohnzimmer einziehen darf? Und dafür sogar Geld gezahlt wird? Viel Geld?

„Kannst du davon leben? Das bin ich als Anwältin nie gefragt worden“

Ich bin jetzt seit vier Jahren Künstlerin und antworte oft mit einem schlichten „Ja“. Manchmal auch mit: „Ja, und du? Kannst du von deinem Job leben?“ Das führt oft zum ersten Lachen und man ist im Gespräch. Wenn ich dann gefragt werde, was ich male, zücke ich meine Visitenkarte. Darauf ist eins meiner stärksten Motive. Ein Frauenporträt in Petrol und Mint mit einem neongelben „M“, dass wie Teufelshörner aus den Haaren kommt. „Sei mutig“ heißt es.

FEMALE EMPOWERMENT ART

Auf die Frage, ob das ein Foto ist, kann ich mit Nein antworten. Ich male die Porträts tatsächlich alle von Hand. Sie entstehen aufwendig und in einer – wie ich finde – einzigartigen Weise: Zunächst schaffe ich Entwürfe zu meiner Intention. Ich arbeite nicht intuitiv, sondern planvoll. Was will ich ausdrücken und welcher Gesichtsausdruck mit welcher Farbkombi liefert genau das? Erst wenn das steht, geht’s los. Die Grundlage ist ein Holzboard aus Ahorn, das ich weiß mit Gesso grundiere. Es folgt Acrylfarbe, meist nur zwei Farben, ganz gradlinig durchs Bild. Wichtig für die Dramatik. Ist die Acrylfarbe trocken, male ich das Porträt mit wasserfester Tinte freihändig darauf. Nur die kleinste Abweichung am Mundwinkel verändert den Ausdruck. Fehlertoleranz: null.

Ich male nur Frauen. Das ist keine Entscheidung gegen Männer. Es ist eine Entscheidung für Frauen. Fokus auf ein Thema, das echten Impact haben kann und soll. Ich nenne meine Arbeiten „Female Empowerment Art“. Ich bin der festen Überzeugung, dass Kunst mehr sein kann, als nur teure Deko oder eine Maltechnik. Das nutzt sich ab. Kunst muss für mich immer klug sein und einen Mehrwert liefern.

1. Reihe von links: Annika Juds – Kunstwerk Fokus, Kunstwerk Ganz sicher, Kunstwerk Sei mutig

Ich male Frauenporträts, die eine ganz bestimmte Wirkung haben dürfen. Klar, das Kunstwerk muss optisch gefallen, sonst hängst du es nicht auf. Aber stell dir vor, es erinnert dich täglich an deine Ziele, Werte oder Stärken. An die schönen Momente. Dann macht das was mit dir. Im besten Fall: selbstreflektierter, mutiger, zufriedener. Meine Werke kommen daher alle mit einer ganz speziellen Intention. Ich verarbeite keine schlechten Erfahrungen damit, ich will Bewusstsein und Sichtbarkeit für eingefahrene Glaubenssätze schaffen. Das ist derzeit mein Thema.

MEIN ALLTAG IST FLEXIBLER, ABER NICHT WENIGER VOLL

Ich arbeite auch nicht weniger als vorher, vielleicht sogar mehr. Denn ich bin jeden Tag im Atelier, auch sonntags. Wochenende gibt es so eigentlich nicht mehr. Wenn ich nicht male, bin ich trotzdem mit dem Kopf oder den Füßen irgendwie für die Kunst unterwegs.

„Ich arbeite auch nicht weniger als vorher, vielleicht sogar mehr“

Künstlerin sein bedeutet natürlich mehr als nur Malen. Jede:r Selbständige kennt es. Social Media (bei mir vor allem LinkedIn), jeden Sonntag ein Newsletter mit neuen Werken oder über meinen Alltag, Online-Shop, Buchhaltung, Kunstmessen. Dazu kommen noch Projekte, die ich einfach nicht ablehnen kann: Buchcover, Impulsvorträge über meinen Weg (oft mit Kunstausstellung vor Ort), Team-Events, Interviews und Podcasts. Es macht mir Spaß, ich kann‘s kaum verstecken.

TROTZDEM IST NICHT ALLES ROSA

Wenn ich noch Stress empfinde, dann weil ich mir den selbst mache. Da ist noch ganz viel Großkanzleianwältin drin. Gern 120 Prozent, immer perfekt abliefern. Trotzdem entwickle ich mich weiter: Ich kann eine E-Mail auch mal einen Tag unbeantwortet lassen.

Bei allem Frohsinn, es gibt auch Schattenseiten. Großes Thema in der Kunst ist Wertschätzung. Oft wird mir gespiegelt, dass ich dankbar sein muss, weil ich wo ausstellen oder meine Erfahrung teilen darf. Kostenlos. Natürlich. Die Sportlerin auf dem Panel bekommt eine Gage, mir sagt man, ich könne ja Kunst mitbringen (was echt ein logistischer Aufwand ist), und vielleicht gefällt die jemandem, so dass gekauft wird. Keine Musikband tritt mit der – einzigen – Karotte vor der Nase auf, dass nach zwei Stunden kostenlosem Konzert vielleicht eine Platte gekauft wird. Zeit, Können und Erfahrung haben einen Wert. Auch dafür trete ich ein. Aber wie vieles, über Nacht funktioniert das nicht.

Bleibt noch eine letzte Frage, oder? Wenn ich früher gewusst hätte, wie gut mir der Beruf als Künstlerin taugt, hätte ich ihn eher ergriffen? Nein. Ich sag immer: Jede Entscheidung hat man in einer aktuellen Lage getroffen und in Summe haben sie einen dahin geführt, wo man jetzt ist. Es ist nie zu spät für was Neues. Aber man muss sich halt auch trauen.

Heft 07 / 08 | 2024 | 73. Jahrgang