Landgericht Bielefeld, 1 O 181/22

14.07.2023

Die Klage wird abgewiesen.[…]

TATBESTAND:

Die Beklagte betreibt für die Stadt Bielefeld Marketing.

Zum 25. Jubiläum der Veröffentlichung der sogenannten „Bielefeld-Verschwörung“ im Jahr 1994 lobte die Beklagte einen Betrag in Höhe von 1 Mio. EUR aus, für den Beweis, dass es Bielefeld nicht gibt.

Am 21.08.2019 wurde der Wettbewerb in einer Pressemitteilung beworben mit dem Text:

„Ein Preisgeld von einer Million Euro gibt es aktuell für die Person, die beweisen kann, dass es Bielefeld gar nicht gibt. Echt jetzt? Hinter diesem Aufruf steckt die Stadt sogar selbst. Echt jetzt! Der Wettbewerb heißt „Die #Bielefeldmillion – Das Ende einer Verschwörung“ und steigt im Jubiläumsjahr des Spruchs „Bielefeld gibt es doch gar nicht!“. Dieser Satz gehört zur angeblichen „Bielefeld-Verschwörung“, die vor 25 Jahren vom Kieler Achim Held erstmals im Internet veröffentlicht wurde.[…]“

[…] Beweisen, dass es Bielefeld gar nicht gibt? Um diese Aufgabe ist niemand zu beneiden. Zweifel an der Existenz der Stadt und ihrer 340.000 Einwohner wären wohl Nahrung für ökonomische Albträume. Bielefeld ist Zentrum einer der stärksten Wirtschaftsregionen Deutschlands, geprägt durch Familienunternehmen, weltbekannte Marken und „Hidden Champions“. In den vergangenen zehn Jahren stieg die jährliche Bruttowertschöpfung in Bielefeld um 24 Prozent (12,8 Milliarden Euro) und die Zahl der versicherungspflichtigen Jobs um 20 Prozent (158.000). Und wenn all die Wachstumszahlen nur Illusion ist, wie erklärt man das den 38.000 Studierenden (plus 54 Prozent seit 2009), die hier den Grundstein für ihren beruflichen Lebensweg legen? […]“

Über soziale Medien und den Internetauftritt der Beklagten wurde gleichzeitig folgender Text veröffentlicht:

„[…] Wie du belegen kannst, dass es Bielefeld nicht gibt? Deiner Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Ob Bilder, Videos oder Texte – jegliche Art von Beitrag ist erlaubt, nur unumstößlich müssen die Perlen deiner Weisheit sein, um die #Bielefeldmillion zu gewinnen. […]“

[…] Ich bin kein Verschwörungstheoretiker. Darf ich trotzdem mitmachen?

Natürlich! Ob analytischer Denker oder kreativer Geist, alt oder jung, Einzelperson oder Schulklasse – dudarfst teilnehmen. Ausgeschlossen sind nur Mitarbeiter von Bielefeld Marketing und der Stadt Bielefeld. Das ist erstens so üblich für Ausrichter eines Wettbewerbs. Und zweitens kann allein der Versuch eines Beweises Grund für eine dienstliche Standpauke sein. Nicht mitmachen dürfen außerdem Mitarbeiter von Geheimdiensten, Mitglieder der Illuminati und Achim Held, der Erfinder der Verschwörung (Achim, du hattest deinen Spaß!) […] Die Echsenmenschen aus dem Inneren der Erde haben dich angerufen und du hast es auf Band? Du hast die Landung eines Ufos in Bielefeld-Baumheide fotografiert? Kondensstreifen am Himmel haben dir eine geheime Botschaft zukommen lassen? Du hast da mal was auf Facebook gelesen? Zeig uns deine Beweise.

[…] Eine Million Euro gibt’s nicht so leicht. Wir prüfen jede Einsendung auf Herz und Nieren. In Bielefeld gibt es nicht eine Universität, sondern gleich sechs Fachhochschulen. Wir finden für jedes Argumentationsmuster einen Experten, der euren vermeintlichen Beweis in die Zange nimmt. Aber natürlich wollen wir Kreativität und Witz auch belohnen: Die besten Einsendungen stellen wir der Öffentlichkeit regelmäßig vor. […]“

Ebenfalls verlinkt waren die Teilnahmebedingungen mit folgendem Text:

„[…] Der Teilnehmer muss die Nichtexistenz der Stadt Bielefeld beweisen. Hierzu ist eine erschöpfende Beweisführung erforderlich, die durch nichts und niemanden zu erschüttern ist. Potentielle Beweise, müssen per E-Mail […] eingereicht werden. […] Der Teilnehmer, dem es als Erster gelingt, die Nichtexistenz der Stadt Bielefeld zu beweisen, wird mit 1.000.000,00 Euro belohnt. […]“

Der Kläger übersandte der Beklagten am 30.8.2019 folgenden Text zur Teilnahme an der Auslobung:

„Beweis der Nichtexistenz Bielefelds

Erläuterung

Nach meiner Einschätzung ist der untenstehende Beweis innerhalb des gewählten und beschriebenen axiomatischen Systems korrekt. Damit ließe sich der Beweis auch nicht wiederlegen, bzw. nur außerhalb des gewählten axiomatischen Systems wiederlegen. Eine Widerlegung des Axioms ist innerhalb des gewählten Systems ebenfalls nicht möglich, es wird als Grundlage ohne Begründung oder deduktive Herleitung gewählt, siehe z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Axiom

Axiom

Menschen treffen keine Falschaussage, wenn die Wahrheit offenkundig ist.

Beweis Satz 1: Die Existenz oder Nicht-Existenz einer Stadt ist offenkundig. Beweis: Das statistische Bundesamt pflegt z.B. ein offizielles Gemeindeverzeichnis […].

Hauptsatz: Die Stadt Bielefeld existiert nicht.

Beweis: Wir nehmen an, die Stadt Bielefeld würde doch existieren. Dann wäre die zentrale Aussage der Bielefeld-Verschwörung „Bielefeld? Das gibt’s doch gar nicht“ falsch. Wir nennen diejenigen Menschen, welche diese Falschaussage mindestens einmal im öffentlichen Raum getroffen haben „BI-Vs“: Die Menge der BI-Vs ist nicht leer, sie enthält mindestens den Begründer der Verschwörung, Herrn Achim Held. Nach Satz 1 wäre die Existenz von Bielefeld für alle BI-Vs offenkundig. Dieses steht im Widerspruch zu Axiom 1. Dieser Widerspruch zeigt, dass die Annahme, die Stadt Bielefeld würde doch existieren, falsch war, also die Behauptung des Hauptsatzes richtig ist; was zu beweisen war.“

Die Beklagte teilte zuletzt mit Email vom 27.9.2019 mit, dass sie den Beweis nicht als geführt ansehe.

Der Kläger behauptet, den geforderten Beweis geführt zu haben. Der Begriff Beweis sei definiert und der axiomatische Beweis falle darunter. Die Beklagte habe insofern in ihrer Auslobung keine Einschränkungen gemacht. Da die Existenz der Stadt Bielefeld sinnlich wahrnehmbar für jedermann erkennbar sei, sei ein außerhalb der sinnlichen Wahrnehmung liegender theoretischer abstrakter Beweis gefragt gewesen. Erkenntnistheoretisch sei Sinneswahrnehmung eine Übereinkunft und nicht in jedem Fall der Weg zur unbestreitbaren Feststellung von Wirklichkeit. Es könne also gerade nicht ohne Weiteres aufgrund entsprechender Sinneswahrnehmung davon ausgegangen werden, dass von der Sinneswahrnehmung Abweichendes nicht beweisbar sei. Sein Beweis sei innerhalb des gewählten axiomatischen Systems nicht widerlegbar.

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, 1 Mio. Euro an den Kläger nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

[…]

Der Kläger beantragt „hilfsweise“ […].

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

[…]

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf die ausgelobte Belohnung in Höhe von 1 Mio. EUR nicht zu, § 657 BGB. Den erforderlichen Erfolg im Sinne der Teilnahmebedingungen hat der Kläger nicht herbeigeführt.

1.

Es handelte sich nach dem objektiven Empfängerhorizont aller zur Auslobung veröffentlichten Texte, wie auch der Teilnahmebedingungen, um eine scherzhafte Marketingaktion.

Der erforderliche Erfolg wäre, nach dem objektiven Empfängerhorizont nur der offensichtlich unmögliche empirische Beweis der Nichtexistenz Bielefelds gewesen. Der axiomatische Beweis innerhalb seines axiomatischen Systems war nicht erfasst.

Im Rahmen einer dem Bestreben nach humorvollen Marketingaktion wurden in den zu der Aktion veröffentlichten Texten kreative Beweisversuche gefordert, welche zu weiteren Marketingzwecken veröffentlicht werden konnten.

Bereits der Zusammenhang mit der „Bielefeld-Verschwörung“ verdeutlichte, dass es sich nicht um eine ernsthafte Auslobung handelte. Es handelte sich schließlich nicht tatsächlich um eine sogenannte Verschwörungstheorie, sondern um einen satirischen Text, der mit der offensichtlich abwegigen Behauptung, die unfraglich existente Stadt Bielefeld existiere in Wirklichkeit nicht und ihre Existenz sei eine Verschwörung, sogenannte Verschwörungstheorien ins lächerliche zog.

Die humoristische und dem Marketing dienende Ausrichtung der Auslobung war auch daran bereits deutlich zu erkennen, dass in der Pressemitteilung der Geschäftsführer der Beklagten damit zitiert wurde, den Spieß umzudrehen und gemeinsam mit den Bielefeldern nunmehr mit der „Bielefeld-Verschwörung“ Spaß zu haben. Auch der Autor der „Bielefeld-Verschwörung“ verdeutlichte mit seiner Äußerung in der Pressemitteilung, dass der Wettbewerb zeige, dass Bielefeld humorvoll mit der „Bielefeld-Verschwörung“ umgehe und er gespannt auf die Einsendungen sei, dass es sich allenfalls um eine kreative, künstlerische oder humorvolle Aktion und nicht um die Suche nach einem ernsthaften Beweis handelte.

Dies zeigte sich auch, wenn ausgeführt wurde wer neben den Mitarbeitern der Beklagten und der Stadt Bielefeld am Wettbewerb nicht teilnehmen dürfe: […]

Dass es sich um eine scherzhafte Auslobung handelte bei welcher von vorherein feststand, dass der geforderte Beweis nicht geführt werden könnte, verdeutlicht auch die Verwendung des Ausspruchs „Klingt doch zu schön, um nicht wahr zu sein“ der in seiner Verkehrung des bekannten Ausspruchs „zu schön um wahr zu sein“ gerade auf diesen Ausspruch und seine Aussage verwies.

Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit Formulierungen wie „Wenn niemand widerlegen kann, dass es uns gibt …“ und „… werden wir Bielefelder uns auf ewig mit ‚unserer Nichtexistenz‘ abfinden. Ehrenwort!“, die deutlich von der unfraglichen Existenz Bielefelds ausgehen und damit das Ergebnis der angeblichen Auslobung bereits als gegeben voraussetzten.

[…] Soweit die Bedingungen „Beweise in jeglicher Form“ benennen, ergibt der Kontext, dass dies sich auf die äußere Form bezieht, wenn dem vorgeht „wir freuen uns auf eure Kreativität“ und anschließend angegeben wird „Texte, Bilder und Videos sind zugelassen“. Dass auch der axiomatische Beweis innerhalb seines axiomatischen Systems erfasst sein sollte, ergibt sich daraus nicht.

Das wird auch deutlich, wenn von unumstößlichen Perlen der Weisheit, einem handfesten und unwiderlegbaren Beweis und einer erschöpfenden Beweisführung, die durch nichts und niemanden zu erschüttern ist, geschrieben wird. Der axiomatische Beweis ist gerade nur innerhalb des jeweiligen axiomatischen Systems gültig und darüber hinaus weder unumstößlich noch erschöpfend. Das zeigt auch der Kläger, wenn er immer nur angibt den erforderlichen Beweis innerhalb des gewählten axiomatischen Systems geführt zu haben. Er selbst gibt an, dass der Beweis außerhalb des gewählten axiomatischen Systems widerlegbar sei.

Die erforderliche Einschränkung, des Verbleibs innerhalb des gewählten axiomatischen Systems, hat der Kläger jedoch entgegen der Beklagten gesetzt, ausgehend von dem von der Beklagten gewählten Begriff „Beweis“. Nur wenn dieser Begriff so verstanden wird, dass er den axiomatischen Beweis erfasst, lässt sich die geforderte Bedingung der Beklagten so auslegen, wie es der Kläger wünscht. Ein solches Verständnis lässt sich bei dem objektiven Empfängerhorizont der allgemeinen Bevölkerung aber gerade nicht voraussetzen. Die klägerseits angeführte Definition des Begriffes „Beweis“ ist gerade keine allgemeinsprachlich zwingend gültige. An die allgemeine Bevölkerung aber, und nicht ausschließlich ein wissenschaftliches Publikum, richteten sich die Äußerungen der Beklagten.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte jeden eingereichten Beweis von Experten prüfen lassen wollte und darauf Bezug nahm, dass es in Bielefeld nicht nur eine Universität, sondern gleich sechs Fachhochschulen gebe. Im Kontext der Auslobung handelt es sich auch hierbei um eine offensichtlich humorvoll gemeinte Übertreibung und nicht um einen Hinweis darauf, dass der tatsächlich mögliche axiomatische Beweis innerhalb seines Systems als ausreichend erachtet werden sollte.

Auch aus der Tatsache, dass die Stadt Bielefeld fraglos existiert aber die sinnliche Wahrnehmung des Menschen nicht zwingend unmittelbar zur Feststellung entsprechender Wirklichkeit führen muss, ergibt sich nicht, dass deshalb ein theoretischer Beweis gesucht gewesen sein müsse. Daraus ergibt sich lediglich, dass ein von der sinnlichen Wahrnehmung abweichender Beweis möglich ist. Dass aber gerade kein möglicher Beweis, sondern all die unmöglichen besonders kreativen und humorvollen Pseudo-Beweise gesucht waren, ist oben bereits dargelegt.

2.

Außerhalb des gewählten axiomatischen Systems lässt sich der Beweis des Klägers jedoch widerlegen, sodass er den Erfolg eines unwiderleglichen Beweises der Nichtexistenz Bielefelds nicht herbeigeführt hat.

Dass die Stadt Bielefeld existiert ist eine offenkundige Tatsache und bedarf keines Beweises (im Sinne der ZPO), § 291 ZPO.

II.

Über die „hilfsweise“ gestellten Anträge war nicht zu entscheiden. […]

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf 1.000.000,00 EUR festgesetzt.

Heft 06 | 2024 | 73. Jahrgang