Legal Tech für DSGVO-Schmerzensgelder

Die Website dsgvo-schmerzensgelder.de enthält eine praktische interaktive Schmerzensgeldtabelle für Datenschutzverstöße.

Seit Anwendbarkeit der europäischen Datenschutz- Grundverordnung (DSGVO) sind insbesondere die Schmerzensgelder aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO ein großes Thema bei Unternehmen, Anwälten und Gerichten. Die Bedeutung des Themas DSGVO-Schmerzensgelder kann kaum überschätzt werden, denn schließlich ist das Ziel der DSGVO, die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen zu schützen. Das Schmerzensgeld ist ein wirksames Werkzeug, um rechtswidrige Datenverarbeitung auszugleichen und zu sanktionieren.

Corinna Bernauer, Rechtsanwältin | JURAPORT.SH Rechtsanwälte und Notar | juraport.sh bzw. dsgvo-schmerzensgelder.de

„Wie hoch sollen und müssen die DSGVO-Schmerzensgelder sein?“

Eine entscheidende Frage lässt der Gesetzestext der DSGVO allerdings völlig offen: Wie hoch sollen und müssen die DSGVO-Schmerzensgelder sein? Welche Beträge sind nötig, um den entstandenen Schaden auszugleichen und den Verantwortlichen von weiterer rechtswidriger Datenverarbeitung abzuschrecken? Während EuGH-Urteile bei anderen Rechtsfragen zur DSGVO zunehmend für Klarheit sorgen, ist bei der Frage nach der Höhe der Schmerzensgelder kaum abschließende höchstrichterliche Klärung in Sicht oder auch nur realistisch denkbar.

SCHMERZENSGELDER ALS RICHTERRECHT

Mangels höchstrichterlicher Entscheidungen zur Höhe der DSGVO-Schmerzensgelder richtet sich der Blick von Anwälten und Gerichten daher auf erst- und zweitinstanzliche Entscheidungen. Schließlich liefern die bereits gesprochenen Urteile wichtige Anhaltspunkte für zukünftige Verfahren. Für welchen Verstoß gegen die DSGVO wurde wie viel Schmerzensgeld zugesprochen? Haben andere Gerichte vergleichbare Entscheidungen getroffen oder handelt es sich um Extreme in die eine oder andere Richtung? Und vor allem: Welche Faktoren haben die Richter zugrunde gelegt, um bei den jeweiligen Entscheidungen ein bestimmtes Schmerzensgeld zu begründen?

Zwar kennt das deutsche Recht kein Präzedenzfallrecht. Allerdings ist es bei der Zumessung von Schmerzensgeldern – auch außerhalb der DSGVO – seit vielen Jahrzehnten gang und gäbe, sich an sogenannten Schmerzensgeldtabellen zu orientieren. Diese Tabellen beschreiben zunächst grob die Art des Verstoßes (z.B. Unterschenkelamputation), sodann die individuellen Auswirkungen des Verletzten (z.B. Prothesenanpassungsschwierigkeiten, Gehbehinderung, Phantomschmerzen, Einschränkungen der Lebensqualität, drohende Folgeschäden), dann das für diesen Fall ausgeurteilte Schmerzensgeld, und schließlich das erkennende Gericht, Urteilsdatum und Aktenzeichen. Solche Tabellen sind zwar natürlich kein bindendes Recht, aber eine gute Orientierung für Gerichte, die mit Schmerzensgeldklagen konfrontiert sind.

LEGAL TECH STATT KLASSISCHER TABELLE

Was liegt also näher, als auch Entscheidungen zu DSGVO-Schmerzensgeldern zu sammeln und zu kategorisieren? Angesichts der Vielzahl von Entscheidungen (allein in den letzten Monaten gab es mehrere Dutzend schmerzensgeldzusprechende Urteile zum sog. Scraping) wird eine klassische Tabelle schnell unübersichtlich, wie einige Angebote auf dem Markt zeigen. Durch Legal-Tech-Methoden kann dieses Problem jedoch gelöst werden.

„Die Website dsgvo-schmerzensgelder.de informiert niedrigschwellig über datenschutzrechtliche Schmerzensgelder“

Die Website dsgvo-schmerzensgelder.de informiert niedrigschwellig über datenschutzrechtliche Schmerzensgelder. Sie ist so gestaltet, dass sie sowohl für Laien verständlich als auch für Rechtsanwälte hilfreich ist. Mit dieser innovativen Art der Schmerzensgeldtabelle, die sich in verständlicher Weise an Fachkollegen, an Gerichte und an die Allgemeinheit richtet, wird eine Lücke im Angebot geschlossen: Andere Tabellen, wie beispielsweise die von ZD-Aktuell, sind deutlich komplexer, da die Zielgruppe eher Datenschutzexperten sind.

INTERAKTIVE SCHMERZENSGELDTABELLE

Kern der Website ist die interaktive Schmerzensgeldtabelle. In dieser ist – wie in der klassischen Schmerzensgeldtabelle – jeweils in einem Schlagwort der Verstoß benannt, wie beispielsweise „Videoüberwachung“ oder „Einmeldung an die Schufa“. Daneben enthält jeder Eintrag eine kurze Beschreibung, welche Umstände des Einzelfalls für die Schmerzensgeldzumessung relevant war. Schließlich wird das Urteil mit Datum und Aktenzeichen benannt und der genaue Schmerzensgeldbetrag genannt.
Es ist jedoch nicht notwendig, die ganze Schmerzensgeldtabelle zu überfliegen, um nach dem gewünschten Urteil zu suchen: Mit der praktischen Suchfunktion können Nutzer auch gezielt nach bestimmten Begriffen in den Urteilen suchen. So findet man beispielsweise mit dem Stichwort „Gesundheitsdaten“ schnell Entscheidungen, in denen es spezifisch um sensible Daten nach Art. 9 DSGVO ging.
Hat der Nutzer dann ein passendes Urteil gefunden, so kann er direkt auf der Seite den Volltext des Urteils aufrufen. Alle in der Schmerzensgeldtabelle genannten Urteile sind auch im Volltext auf der Website https://dsgvo-schmerzensgelder.de enthalten, sodass man die Argumentation des Gerichts direkt nachlesen oder Zitate einfügen kann.

AUTOMATISIERTE KATEGORIEN

Doch auch wenn Nutzer sich erst mal näher informieren wollen, werden sie fündig: Die häufigsten Bereiche, in denen Schmerzensgelder zugesprochen werden, sind als übersichtliche Kategorien (z.B. Arbeitnehmer, Videoüberwachung, Werbung und Tracking) dargestellt. Wird ein neues Urteil eingefügt, so kann dieses einfach den passenden Kategorien zugeordnet werden und ist somit für Nutzer sofort auch in dieser Kategorie abrufbar. So ist beispielsweise „Arbeitnehmer“ eine eigene Kategorie auf der Seite. Die Website wird ständig aktualisiert, damit sich die Nutzer immer auf dem neuesten Stand informieren können. Einige wichtige Entscheidungen wurden sogar auf der Plattform erstmalig veröffentlicht, wie etwa die inzwischen vielfach zitierte und besprochene Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein (Beschluss vom 01.06.2022 – 6 Ta 49/22) über Verwendung von Videos einer Arbeitnehmerin für einen Werbefilm.

EU-WEITE SCHMERZENSGELDER

Ein Alleinstellungsmerkmal der Website https://dsgv-oschmerzensgelder.de ist schließlich die EU-weite Schmerzensgeldtabelle. Der Gedanke dahinter ist, dass die DSGVO als europäische Norm autonom auszulegen ist, sodass deutsches Schadensersatzrecht nicht zur Auslegung verwendet werden darf. Aus diesem Verbot ergeben sich auch die verhältnismäßig hohen Schmerzensgelder, denn die unfassbar geringen Schmerzensgelder, die deutsche Gerichte seit Jahrzehnten für Körperverletzungen verhängen, dürfen nicht zum Vergleich mit dem Schaden aus Datenschutzverletzungen herangezogen werden. Der in der Praxis leider häufig anzutreffende Vergleich eines Datenschutzverstoßes mit einer Körperverletzung verbietet sich damit aus systematischen Gründen von selbst. Die Urteile anderer europäischer Gerichte können jedoch durchaus dafür herangezogen werden. Beispielsweise kristallisiert sich der Betrag von 500,00 Euro Schmerzensgeld pro Monat der verspäteten Auskunft nach Art. 15 DSGVO zunehmend europaweit heraus. Auch Gerichte in Österreich ziehen die deutsche Rechtsprechung bei der Schmerzensgeldzumessung zu Rate.

FINALISTIN DES IT-PREISES DER DAVIT

Auch die Arbeitsgemeinschaft IT-Recht im Deutschen Anwaltverein (davit) hat das Potenzial derartiger Legal- Tech-Angebote erkannt. Seit 2022 vergibt sie daher jährlich einen Preis für Medien, die komplexe IT-rechtliche Sachverhalte allgemeinverständlich erklären. In diesem Jahr war die Website https://dsgvo-schmerzensgelder.de als einer von drei Finalisten für den Preis nominiert.

AUSBLICK: WEITERE ENTWICKLUNG DER WEBSITE

Wie jedes zeitgemäße Projekt wird auch https://dsgvo-schmerzensgelder.de weiterhin ausgebaut werden: Natürlich werden weitere Urteile hinzugefügt werden, aber es werden auch neue Kategorieseiten eröffnet und weitere Features eingebaut werden. Für das kommende Jahr ist beispielsweise ein Inflationsrechner für die Schmerzensgeldtabelle geplant – schließlich entspricht ein Schmerzensgeld von 1000,00 Euro aus dem Jahr 2018 heute inflationsbereinigt bereits ca. 1150,00 Euro. Auch die „klassischen“ Schmerzensgeldtabellen berücksichtigen die Inflation bei der Berechnung der Schmerzensgelder. Die Kaufkraft der Schmerzensgelder muss schließlich bei der Schmerzensgeldzumessung berücksichtigt werden.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass auf der Website natürlich gern auch Schmerzensgeldurteile von Kollegen veröffentlicht werden. Ob zu Videoüberwachung, Werbung, Tracking oder der Schufa, und ob aus Deutschland oder Dänemark, Italien oder Portugal – jedes Schmerzensgeldurteil wird gern in die Website eingefügt!

Exklusiv für Mitglieder | Heft 09/2023 | 72. Jahrgang