Maden sind nicht einsam

Tatortreiniger Kundt beim AK Erbrecht

Traditionen sind gerade am Jahresende wichtig. Und so fand sich der Arbeitskreis Erbrecht im Berliner Anwaltsverein auch im Dezember des Jahres 2024 zu einer besonderen Veranstaltung im DAV-Haus zusammen. Eingeladen und vertreten waren zudem die Arbeitskreise Miet-, Familien- und Strafrecht. Der gemeinsame Nenner? Maden. Zu Gast war der Tatortreiniger Thomas Kundt. Er stammt aus Leipzig und ist mit seinen Mitarbeitenden bundesweit tätig. Seine Erlebnisse sind so bunt, dass er darüber berichtet, auf Instagram, auf Bühnen, in Radiound Fernsehinterviews – und nun auch bei uns. Dafür, dass dies für die übliche Vergütung in der Form einer Flasche Wein und ewiger Dankbarkeit erfolgen konnte, sei ihm auch hier noch einmal herzlich gedankt.

Dr. Dietmar Kurze | Rechtsanwalt | Fachanwalt für Erbrecht und VorsorgeAnwalt | Kärgel de Maizière & Partner   | Sprecher des Arbeitskreises Erbrecht im Berliner Anwaltsverein sowie dessen stellvertretender Vorsitzender
Dr. Dietmar Kurze (re.) mit Thomas Kundt und Tina von Kiedrowski

Der Gruselfaktor war vorhanden: Ein Treppenhaus, bei dem Blut- und Tomatenreste schwer zu unterscheiden waren – auf den Täter wurden zur Verteidigung Tomatendosen geworfen. Schon länger nicht vermisste, verstorbene Menschen – oder das, was die Maden von ihnen übriggelassen hatten. Aber er stand nicht im leeren Raum. Es konnte einiges gelernt werden, wie beispielsweise: Eine schnelle Erstsicherung der Wohnung erleichtert das spätere Säubern erheblich. Vaseline unter der Nase eliminiert den Leichengeruch nur zum Teil. Allerdings wird man sich später immer an das Erlebnis in der Wohnung erinnern, wenn man irgendwo Vaseline riecht, so genanntes olfaktorisches Gedächtnis. Aufwand, Ablauf und Kosten einer Tatortreinigung werden die Zuhörenden nun deutlich besser einschätzen können – hilfreich bei der Vertretung eines Vermieters, bei der Nachlassabwicklung oder im Zusammenhang mit der einen oder anderen Straftat und ihrer juristischen Aufarbeitung.

NASSE UND TROCKENE MESSIS

Nun muss nicht immer jemand tot sein oder viel Blut verteilt haben, damit ein Tatortreiniger kommt. Herr Kundt berichtete so ausführlich wie sensibel über so genannte „Messi-Wohnungen“. Dass es dabei nicht um den ge nialen Fußballer gehen würde, wird den meisten bewusst gewesen sein. Der Unterschied zwischen nassen und trockenen Messis war weniger geläufig. Bei nassen Messis häuft sich ungeordnet alles: Kleidung, Müll, Möbel, Unrat – und fast immer eine unüberseh bare Zahl von Flaschen. Die ganz legal abgefüllte und abfüllende Massendroge. Trockene Messis haben dagegen meist eine Ordnung in ihren bis zu den Decken vollgepfropften Wohnungen. Es wird gesammelt; gekauft oder gefunden und immer mehr. Eine Packung Handtücher, noch eine und noch eine. Sie häufen sich ungeöffnet mit vielem anderen an, bis die Wohnung aus allen Nähten platzt. Dann veranlassen das Sozialamt und der Sozialpädagogische Dienst eine Räumung oder der Vermieter hat eine Aufgabe. Konstellationen, die sich immer wieder im Betreuungs-, Erb- und Mietrecht finden.

Ableben ohne unmittelbares Auffinden, vermüllte Wohnungen: Beeindruckend und bedrückend ist bei beiden die Verbreitung. Nach den Ausführungen des Referenten handelt es sich um keine Einzelfälle, im Gegenteil. Tag und Nacht verhangene Fenster können dafür sprechen, dass dahinter ein Mensch voller Scham für seine Situation wohnt. Thomas Kundt machte an Beispielen deutlich, dass tragische Schicksalsschläge diesen Entwicklungen vorangegangen sein können. Verluste von nahestehenden Menschen, Arbeit, Geld und schließlich auch dem Selbstwertgefühl. Dann tröstet der Alkohol irgendwann nicht mehr, sondern betäubt.

VEREINSAMUNG: ERSCHRECKEND VERBREITET

Zeitpunkt des Todes: „Zwischen dem 18.12.2024 und 4.1.2025“. Ein Eintrag in einer Sterbeurkunde, der zum einen den Einsatz eines Tatortreinigers annehmen lässt. Zum anderen beinhaltet er die Antwort auf die naheliegende Frage: Hat das denn niemand gemerkt? Nein – hat es nicht. Und auch diese Fälle sind keine vereinzelten. Nach dem Tod möge es Herrn Kundt sowie Erb- und Mietrechtler beschäftigen. Aber was heißt das eigentlich für die Zeit davor? Der Mensch war einsam. Wird sein Versterben nicht bemerkt, weil er nicht vermisst wurde, hat dies wohl auch zu Lebzeiten niemand. Und so schloss die beeindruckende Veranstaltung mit einem Appell: Aufmerksamkeit ist ein Geschenk. Wir können sie geben. Und wenn es nur fünf Minuten für ein Schwätzchen im Treppenhaus mit der alleinstehenden Nachbarin sind. Vielleicht ist das ihr einziger sozialer Kontakt an diesem Tag.

Heft 03 | 2025 | 74. Jahrgang