Management von Anwaltskanzleien

Eine gewerbliche Tätigkeit?

Das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. September 2021 – 4 K 1270/19 – birgt Sprengkraft. Darin geht es um die gewerbliche Infizierung einer freiberuflichen Partnerschaft. Im konkreten Fall waren es Zahnärzte. Die Überlegungen sind aber durchaus auf Angehörige anderer freier Berufe wie insbesondere Rechtsanwälte übertragbar. Und dort nicht nur im Steuer-, sondern auch im Berufsrecht, mit kaum absehbaren Konsequenzen. Der nachfolgende Beitrag stellt den Sachverhalt und die Urteilsgründe dar und skizziert mögliche Auswirkungen auf Anwaltskanzleien.

Prof. Dr. Volker Römermann | Rechtsanwalt, FAHaGesR, FAInsR, FAArbR, ist Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG und Direktor des Forschungsinstituts für Anwaltsrecht der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er auch als Honorarprofessor lehrt | www.roemermann.com

A. AUSGANGSFALL

Strittig war im Ausgangsfall die Qualifizierung der Einkünfte: aus Gewerbebetrieb oder aus selbständiger Arbeit? In der Klägerin – einer Partnerschaftsgesellschaft – waren sieben approbierte Zahnärzte, darunter Herr Dr. AM, als Gemeinschaftspraxis „Zahnärzte …, Dr. M. und Partner“ zur gemeinsamen Ausübung der zahnärztlichen Behandlung von Privat- und Kassenpatienten zusammengeschlossen.

Im Zuge einer Außenprüfung übersandte die damalige Steuerberaterin der Klägerin eine Tätigkeitsbeschreibung des Dr. AM an den Beklagten. Es sei seit der Gründung der Praxis im Jahre 2006 „immer“ sein Aufgabenbereich gewesen, „alle Dinge für die Praxis zu erledigen, die außerhalb der eigentlichen Patientenbehandlung zum Betrieb einer Praxis gehören. Dazu gehören unter anderem alle vertraglichen Angelegenheiten, die Vertretung gegenüber der Bezirksärztekammer, Kassenzahnärztlichen Vereinigung, Gesundheitsamt, Röntgenstelle, Bauamt, Datenschutzbeauftragten, Gerichten, Lieferanten, Banken, Steuerberatung, Finanzamt, die interne Revision, die Instandhaltung sämtlicher zahnärztlicher Gerätschaften und Einrichtungsgegenstände, Erweiterung und Umbaumaßnahmen, Personalangelegenheiten, u.ä. Dinge“. Hierfür sei er regelmäßig dienstags und unregelmäßig an verschiedenen anderen Tagen in der Praxis vor Ort. Aufgrund der Größe der Praxis, der Anzahl der angestellten Zahnärzte und der Gesellschafter sei eine konsequente und auch für freiberufliche Gesellschaften typische Aufteilung der Arbeitsprozesse erfolgt. „Basierend auf der Seniorität“ sei Dr. AM „nicht mehr direkt behandelnd“ tätig. Seine Hauptaufgabe liege in der Führung der Gesellschaft, insbesondere indem er die Gesellschaft nach außen vertrete, „konsiliarisch für die Mitgesellschafter und die angestellten Ärzte tätig“ und „in unterschiedlichen internen Arbeitsprozessen eingebunden“ sei. Diese Arbeiten erledige er höchstpersönlich.

„Der Beklagte dürfe sich wegen des gewandelten Berufsbilds des Freiberuflers nicht mehr auf ein Begriffsverständnis des ‚klassischen Dentisten‘ als einer Form der Berufsausübung in den 1950er-Jahren beziehen“ Zudem berate er auch Patienten, die er „immer wieder im Wartezimmer antreffe“.

Der Beklagte dürfe sich wegen des gewandelten Berufsbilds des Freiberuflers nicht mehr auf ein Begriffsverständnis des „klassischen Dentisten“ als einer Form der Berufsausübung in den 1950er- Jahren beziehen. Das Tätigkeitsbild des selbständigen Zahnarztes entspreche allgemein auch nicht dem Tätigkeitsbild des angestellten Zahnarztes. Zahnärztliche Tätigkeiten könnten in ihrem „linearen Ablauf“ zerlegt werden von der Akquise, der Aufnahme des Patienten und der Weitergabe des erlernten und weiterzubildenden Know-hows über die Anamnese und Diagnose, der Behandlungsempfehlung und konkreten Behandlung bis hin zu stets zu überwachenden Hygiene- und Röntgenstandards und der Nachbetreuung. Zu einer freiberuflichen Tätigkeit gehöre insbesondere auch die Akquise.

Dies sei wie bei einem selbständigen Rechtsanwalt, der im Backoffice Tätigkeiten wie Vertragsprüfungen vornehme, ließ die Klägerin vortragen.

B. DIE ENTSCHEIDUNG

Das FG hat die zulässige Klage als unbegründet abgewiesen.

Die Klägerin sei insgesamt im Streitjahr gewerblich tätig geworden im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG. Die Tätigkeit des Mitunternehmers Dr. AM habe im Streitjahr überwiegend nicht dem Berufsbild eines eigenverantwortlich und leitend tätigen Zahnarztes entsprochen und sei daher weitgehend nicht als freiberufliche, sondern als gewerbliche Tätigkeit anzusehen gewesen. Hierdurch seien im Streitjahr die gesamten Einkünfte der Klägerin gewerblich infiziert worden.

Eine Personengesellschaft entfalte nur dann eine Tätigkeit, die die Ausübung eines freien Berufs im Sinne von § 18 EStG darstelle, wenn sämtliche Gesellschafter die Merkmale eines freien Berufs erfüllten. Die Hauptmerkmale des freien Berufs müsse dabei jeder Gesellschafter als Steuerpflichtiger in eigener Person positiv erfüllen.

Ausgehend von dem Berufsbild eines Zahnarztes hat das Gericht zwar zunächst zugunsten der Klägerin unterstellt, dass deren Mitunternehmer Dr. AM – wenn auch in äußerst geringem Umfang – eigene zahnärztliche Leistungen mit unmittelbarer Arbeit an Patienten erbracht habe. Allerdings würden die weiteren Tätigkeiten des Dr. AM, soweit sie bereits nach Vortrag der Klägerin und des Dr. AM nicht in der unmittelbaren Patientenbehandlung („alles außerhalb der Mundhöhle“) bestanden und daher nur im mittelbaren Zusammenhang mit den eigentlichen Behandlungsleistungen der übrigen Mitunternehmer gestanden hatten, nicht eigenverantwortlich und leitend ausgeübt, und überdies stellten seine übrigen Tätigkeiten bereits dem Grunde nach keine zahnärztlichen Tätigkeiten dar. Die Abgrenzung zwischen gewerblicher und freiberuflicher Tätigkeit sei nicht an einer „linearen“, prozesshaften Betrachtung eines Wertschöpfungsvorgangs aus Unternehmersicht ausgerichtet.

Aus der – insofern maßgeblichen und typisierend anzunehmenden – Patientensicht sei die Erwartung von Patienten an die Tätigkeiten approbierter Zahnärzte ganz vorrangig auf die Feststellung etwaiger Zahn-, Mundund Kieferkrankheiten und deren Prophylaxe bzw. Behandlung gerichtet. Im Gegensatz hierzu spielten die von der Klägerin angeführten Aspekte zunehmender Professionalisierung, rechtlicher Regulierung, wirtschaftlicher Sequenzierung und organisatorischer Arbeitsteilung der zahnärztlichen Tätigkeit im Allgemeinen oder bei der Klägerin im Besonderen allenfalls eine Nebenrolle für die Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen und sind für Patienten weder einsehbar noch von besonderem Interesse. Diese Patientenperspektive sei aus Sicht des Gerichts auch – trotz technischen Fortschritts bei konkreten Behandlungsmaßnahmen etc. – im Zeitablauf unverändert geblieben, sodass das Gericht keine Veränderung des außersteuerlichen Berufsbilds des Zahnarztes in dem Sinne erkannte.

C. AUSWIRKUNGEN

Ältere Berufsträger ziehen sich nicht selten sukzessive auf leitende und akquisitorische Tätigkeiten zurück und überlassen die konkrete Fallbearbeitung den jüngeren Kollegen. Das ist im medizinischen Bereich nicht grundlegend anders als im anwaltlichen. Die daraus erwachsenden Probleme werden häufig übersehen.

„,Gewerbliche‘, also nicht freiberufliche … Tätigkeiten können als ,unvereinbar‘ angesehen werden und führen dann grundsätzlich zum Entzug der Zulassung“

Es beginnt mit dem Berufsrecht. „Gewerbliche“, also nicht freiberufliche (vgl. § 2 BRAO) Tätigkeiten können als „unvereinbar“ angesehen werden und führen dann grundsätzlich zum Entzug der Zulassung, § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO. Persönlich gehe ich davon aus, dass vernünftigerweise keine Kammer diesen Gedanken zu Ende verfolgen würde, wenn es lediglich um die Verlagerung von beratender Tätigkeit mit Mandanten hin zu Managementaufgaben in einer Kanzlei ginge, ausschließen kann man es indes nicht.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PartGG kann eine Partnerschaft „zur Ausübung“ freiberuflicher Tätigkeiten gegründet werden. Die h. M. (siehe nur MWHLW/Lenz, 3. Aufl. 2015, PartGG § 1 Rn. 89 ff.) versteht darunter eine berufliche Aktivität, so wie sie im Zuge der Berufsrechtsreform in § 59b Abs. 1 Satz 1 BRAO festgeschrieben wurde. Was aber bedeutet das konkret (so bereits Michalski/Römermann, seit der 1. Auflage 1995, § 1 PartGG Rn. 10 ff.)? Niemand, auch aus der h. M., könnte das bis heute definieren, weder zeitlich (quantitativ) – zumal niemand gezwungen wäre, 40 Stunden zu arbeiten oder auch nur einem Beruf nachzugehen – noch inhaltlich (qualitativ). In der Begründung des Entwurfs zur BRAO-Reform heißt es indes, auch interne Tätigkeiten könnten als Berufsausübung ausreichen. Ob das FG in unserem Fall diese Begründung kannte? Hätte sie dann nicht als starkes Argument zugunsten der Klägerin erwähnt und diskutiert werden müssen?

Soweit man mit dem Wortlaut und der h. M. ein Aktivitätserfordernis bejaht und dessen Voraussetzungen im konkreten Fall hinsichtlich des Partners Dr. AM verneint, wäre Dr. AM nicht partnerschaftsfähig. Das könnte zur Unwirksamkeit seiner Partnerstellung führen (§ 134 BGB). Sähe man entsprechend der steuerrechtlichen Betrachtung die Partnerschaft „infiziert“, dann sogar zur Nichtigkeit des Partnerschaftsvertrages – mit der weiteren Folge, dass die Gesellschaft nicht existiert (§ 3 Abs. 1 PartGG schreibt einen schriftlichen Partnerschaftsvertrag vor) und aus dem Register zu löschen wäre.

D. AUSBLICK

Die Entscheidung des FG ist nicht rechtskräftig. Wie auch immer der BFH entscheidet, eines steht fest: Die Abgrenzung zwischen freiberuflicher und gewerblicher Tätigkeit bedarf fortwährender Anpassung, erst recht in Zeiten sich rasant wandelnder Berufsbilder und der rapiden Zunahme von Legal- und TaxTech mit der Auslagerung vieler „fachlicher“ Aufgaben auf die Technik.

Heft 05 | 2024 | 73. Jahrgang