MUT
Drei Buchstaben. Klingt einfach. Oder?
Entschlossenheit und Resilienz prägen nicht nur individuelle Karrieren, sondern bewirken auch strukturelle Veränderungen in unserer Branche. Dabei wird deutlich, wie essenziell Diversität, Netzwerkbildung und finanzielle Unabhängigkeit sind – insbesondere für Frauen und Migrantinnen in der juristischen Welt.
Wir reden gern über Mut, posten kluge Sprüche auf LinkedIn und nicken bei Vorträgen über Empowerment. Doch wenn es darauf ankommt, ziehen wir uns in unsere Komfortzone zurück. Ich verstehe das – wirklich. Denn Mut ist anstrengend. Aber ich werde ehrlich sein: Ohne meinen Mut wäre ich (auch beruflich) nicht da, wo ich heute bin.

Chrysanthi Fouloglidou, Rechtsanwältin und Verfahrensbeistand | Kanzlei Recht Fouloglidou | www.fouloglidou.de
JURISTIN UND UNERMÜDLICHE STREITERIN
Ich bin Rechtsanwältin. Unternehmerin. Migrantin. Überlebende einer Krebserkrankung. Und jemand, der sich nach dem zweiten Staatsexamen gesagt hat: „Jetzt erst recht!“ Ich habe unmittelbar nach meiner Genesung und bestandener mündlicher Prüfung meine eigene Kanzlei gegründet. Kein festes Einkommen, keine Sicherheit, keine Ahnung, wie man eine Kanzlei führt. Klingt romantisch? Ist es nicht. Ohne Sicherheiten. Ohne Netz. Ohne Anleitung. Statt einer sicheren Stelle mit geregeltem Einkommen im Ministerium habe ich mir dieses Leben ausgesucht. Spoiler: Es ist schwer – und wunderbar zugleich.
Im Studium lernt man eine Menge – nur nichts, was einem hilft, eine Kanzlei zu führen. Rechnungen schrei ben? Mandant*innen akquirieren? Mitarbeitende finden? Fehlanzeige. Steuerfragen? Keine Ahnung. Mitarbeitende führen? Learning by doing. Aber ich habe es geschafft. Heute lebe ich von dem und für das, was ich mache. Jackpot, oder?
Als Migrantin und Frau wurde ich immer wieder mit Sexismus und Rassismus konfrontiert. Meine Wurzeln werden auch heute als Hindernis wahrgenommen: Teilweise sind sie es, das ist die Wahrheit. Doch ich sehe sie als Stärke. Sie zwingt uns zugleich, anders zu denken, kreativer zu sein. Sie macht uns zu Brückenbauer*innen in einer Welt, die oft Mauern bevorzugt. Und wir besitzen eine Resilienz, die unerschütterlich ist.
Als Migrantin habe ich im Übrigen früh gelernt, dass man sich immer „ein bisschen mehr“ beweisen muss. Nicht nur als Frau, sondern auch als „die mit dem fremden Namen“. Das fordert mir und uns mehr ab, in der Schule, in der Uni und im Gerichtssaal.
Die Zeit bis zum ersten Staatsexamen empfand ich als herausfordernd, aber machbar. Der wahre Prüfstein kam nach dem Studium: das zweite Staatsexamen und die Entscheidung, wie es insbesondere nach der schweren Erkrankung weitergehen sollte.
Die ersten drei Jahre meiner Selbständigkeit waren geprägt von Zweifeln und Unsicherheiten. Doch jede Hürde war eine Lektion, die mich weitergebracht hat. Heute weiß ich: Der Anwaltsberuf ist der schönste Beruf der Welt – wenn man bereit ist, sich den Herausforderungen zu stellen und aus Fehlern zu lernen.
FÖRDERUNG DES NACHWUCHSES: UNTERSTÜTZUNG, DIE EINEN UNTERSCHIED MACHT
Deshalb setze ich mich unter anderem für die Nachwuchsförderung ein. Junge Jurist*innen brauchen nicht nur Fachwissen, sondern auch Unterstützung und ein starkes Netzwerk, um sich zu entfalten. Sie benötigen Vorbilder, die zeigen, dass Mut und Durchhaltevermögen der Schlüssel zum Erfolg sind. Das FORUM Junge Anwaltschaft ist eine Arbeitsgemeinschaft innerhalb des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und richtet sich speziell an junge Rechtsanwält*innen und Referendar*innen, die sich am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn befinden. Es bietet eine Plattform für den Austausch, die Weiterbildung und die Interessenvertretung junger Jurist*innen in Deutschland. Es dient als wichtiger Treffpunkt für diejenigen, die sich mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sehen – sei es der Aufbau einer Kanzlei, der Einstieg in eine Großkanzlei oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es ermöglicht Mitgliedern, sich über berufliche Erfahrungen auszutauschen und von den Erfolgen und Herausforderungen anderer zu lernen.
NETZWERKEN: EIN UNTERSCHÄTZTER ERFOLGSFAKTOR
Als ich mich selbständig machte, war mir nicht bewusst, wie wichtig ein gutes Netzwerk ist. Erst im zweiten Jahr meiner Berufstätigkeit begann ich aktiv, Kontakte zu knüpfen – und es hat meinen beruflichen Weg entscheidend geprägt. Ein starkes Netzwerk ist mehr als eine Sammlung von Visitenkarten. Es bietet Unterstützung in schwierigen Zeiten, Orientierung in unklaren Situationen und eröffnet neue Möglichkeiten. Durch das Netzwerken habe ich nicht nur Kolleg*innen gefunden, die meine Herausforderungen nachvollziehen können, sondern auch Organisationen entdeckt, die meine Werte teilen.
„Ein starkes Netzwerk ist mehr als eine Sammlung von Visitenkarten“
Beispiele dafür sind das Netzwerk Multikultureller Jurist*innen e. V. oder der Verein Mutterschutz für Selbständigen. Beide Organisationen haben mir ge zeigt, wie viel wir erreichen können, wenn wir uns zusammenschließen und unsere Kräfte bündeln.
Deshalb rate ich jungen Jurist*innen: Beginnt so früh wie möglich mit dem Netzwerken – bestenfalls schon während des Studiums. Es geht nicht nur um berufliche Kontakte, sondern um den Aufbau eines unterstützenden Umfelds, das Sicherheit bietet und Perspektiven eröffnet.
MUTTERSCHUTZ: EIN SYSTEM, DAS FRAUEN IM STICH LÄSST
Selbständige schwangere Frauen stehen unfreiwillig vor der Wahl: arbeiten oder pausieren? Und uns allen ist klar: in der Selbständigkeit zu pausieren stellt ein hohes Risiko dar. Hinzu kommt: keine Absicherung, keine Unterstützung. Stattdessen viele Erwartungen und jede Menge Gegenwind. Unser System zwingt Frauen dazu, persönliche und finanzielle Risiken einzugehen, die ihre Existenz gefährden können. Und das Schlimmste? Es wird als „normal“ hingenommen.
„Unser System zwingt Frauen dazu, persönliche und finanzielle Risiken einzugehen, die ihre Existenz gefährden können. Und das Schlimmste? Es wird als „normal“ hingenommen“
Der Verein „Mutterschutz für Selbstständige e. V.“ setzt sich für die Rechte und Bedürfnisse selbständiger Frauen in Deutschland ein. Gegründet von der engagierten Aktivistin Johanna Röh zielt der Verein darauf ab, die gravierenden Lücken für selbständig tätige Frauen zu schließen und für mehr Gerechtigkeit zu sorgen.
Viele Frauen müssen zwischen beruflicher Existenz und Familiengründung wählen, da weder finanzielle Absicherung noch ein gesetzlich garantierter Schutz vor Einkommenseinbußen besteht. Johanna Röh hat die strukturellen Nachteile selbst erfahren, die mit einer fehlenden Absicherung während Schwangerschaft und Elternzeit einhergehen. Diese persönlichen Erfahrungen haben sie motiviert, den Verein zu gründen und aktiv für Veränderungen zu kämpfen. Gemeinsam versuchen wir, Betroffene und Unterstützer*innen zusammenzubringen. Durch ihren Einsatz hat sie es geschafft, ein weiteres gesellschaftliches Bewusstsein für das Thema zu schaffen und politische Debatten darüber anzustoßen.
ZU SICH SELBST STEHEN – UND ANDERE STÄRKEN
Eine weitere Erkenntnis, die ich im Verlauf meiner beruflichen Tätigkeit gewonnen habe, ist die Notwendigkeit, sich selbst treu zu bleiben. Das mag auf den ersten Blick trivial erscheinen, erfordert jedoch nicht selten einen erheblichen Mut.
In einer Zeit, in der Optimierungsstrategien, Social- Media-Präsenz und Selbstvermarktung nahezu unverzichtbar scheinen, besteht die Gefahr, den Blick für die eigenen Überzeugungen zu bewahren. Doch gerade in einer solch anspruchsvollen Umgebung ist es essenziell, die eigenen Werte nicht aus den Augen zu verlieren.
Man kann es nicht allen recht machen. Also muss man aufhören, es zu versuchen. Natürlich gibt es Menschen, die sagen: „Das ist zu laut, zu direkt, zu viel“. Aber genau das ist der Punkt.
Wir müssen unbequem sein, wenn wir etwas verändern wollen. Und das beginnt bei uns selbst.
FINANZIELLE UNABHÄNGIGKEIT: EIN SCHLÜSSEL ZUR GLEICHBERECHTIGUNG
Ein weiteres Thema, das ich immer wieder betone, ist die Bedeutung finanzieller Unabhängigkeit. Viele Frauen, auch in meinem Umfeld, stehen vor der Herausforderung, ihre Finanzen zu organisieren – sei es durch Scheidung, berufliche Veränderungen oder unvorhergesehene Lebensumstände. Ich bin der festen Überzeugung, dass jede Frau sich mit ihren Finanzen auskennen sollte. Wer Steuern versteht, gezielt spart und investiert, schafft nicht nur Sicherheit, sondern auch Freiheit.
„Ich bin der festen Überzeugung, dass jede Frau sich mit ihren Finanzen auskennen sollte. Wer Steuern versteht, gezielt spart und investiert, schafft nicht nur Sicherheit, sondern auch Freiheit“
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist beispielsweise der bewusste Umgang mit Eheverträgen und der Vorsorge. Viele Frauen scheuen sich davor, das für sich einzufordern, weil sie glauben, es würde ihre Beziehung belasten. Doch ein gut durchdachter Ehevertrag schafft Klarheit und verhindert Konflikte im Falle einer Trennung. Er ist ein Zeichen von Respekt und Weitsicht – und er gibt Frauen die Möglichkeit, ihre finanzielle Zukunft aktiv zu gestalten. Begriffe wie Genderpaygap, Genderpensiongap sind keine Fremdworte. Schauen Sie sich beispielsweise die Statistiken an, wieviel Prozent weniger Einkommen Frauen erzielen im Gegensatz zu Männern, oder wieviel Prozentanteil Frauen Partnerinnen in Großkanzleien werden. Das muss endlich ein Ende finden, indem wir mutig an die Dinge rangehen, die wir bewegen wollen.
MUT: DER SCHLÜSSEL ZUR VERÄNDERUNG
Mut bedeutet nicht immer, große Schritte zu machen. Manchmal reicht es, den ersten kleinen Schritt zu wagen: eine schwierige Entscheidung zu treffen, ein Tabuthema anzusprechen oder sich für eine Sache einzusetzen, die einem am Herzen liegt. Ich kann nicht sagen, dass Mut leicht ist. Ich kann sagen, dass es einfacher wird, wenn man einmal damit angefangen hat.
Meine Hoffnung: dass meine Geschichte und mein Werdegang andere inspiriert, ihren eigenen Weg zu finden und für ihre Überzeugungen einzustehen.
Mein Appell: Trauen Sie sich. Es könnte gut werden!