Neuer Bundestag – auch auf ein Neues?!
Über Gesetzentwürfe, die es ins Bundesgesetzblatt schafften, und einige, die auf eine Wiederaufnahme im neuen Bundestag hoffen (dürfen)
„Ich will den Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, die dem nächsten Bundestag angehören werden, sagen: (…) Trotz aller Vorarbeiten sind am Ende dieser verkürzten Wahlperiode auch im Bundestag noch ein paar Baustellen offen, und die sollte das Parlament zügig und entschlossen angehen.“ Mit diesen Worten schloss Bärbel Bas, Bundestagspräsidentin, die letzte reguläre Sitzung des 20. Deutschen Bundestages am 11. Februar 2025.
Dieser Beitrag wirft einen Blick zurück – auch darauf, welche Gesetzentwürfe rechtzeitig beschlossen wurden – und führt dann ausgewählte Gesetzentwürfe auf, die in der neuen Wahlperiode Thema sein könnten bzw. müssen.

Judith C. Nikolay | Volljuristin | Gründerin und Inhaberin von JCN Consulting – Beratungsagentur für Public und Regulatory Affairs | www.jcn-consulting.de
„DÜRFEN WIR ÜBERHAUPT NOCH GESETZE BESCHLIESSEN?“
Das Ende der „alten“, der 20. Wahlperiode wurde mit einer öffentlichkeitswirksamen Entlassung des Bundesfinanzministers durch den Bundeskanzler eingeleitet. Das politische Berlin diskutierte umgehend hinter den Kulissen, ob der Bundestag nach seiner „Auflösung“ durch den Bundespräsidenten, die der auflösungsgerichteten Vertrauensfrage des Bundeskanzlers folgte, überhaupt noch arbeiten und Gesetze beschließen dürfe.
Zwar ermöglicht Art. 68 GG dem Bundespräsidenten die „Auflösung“ des Bundestages nach einem entsprechenden Antrag und verlorener Vertrauensfrage des Bundeskanzlers. Diese Auflösung dient jedoch nur der Durchführung von vorgezogenen Neuwahlen.
„Der alte Bundestag blieb bis zur Konstituierung des neuen Bundestages vollständig arbeitsund beschlussfähig“
Da es nach dem Grundgesetz keine parlamentslose Zeit gibt (Art. 39 Abs. 1 GG) und der „alte“ Bundestag bis zum Zusammentritt des „neuen“ Bundestages arbeits- und beschlussfähig bleibt, hätten noch viele Gesetzentwürfe in den an sich verbliebenen acht Sitzungswochen nach der Ankündigung der Vertrauensfrage durch den Bundeskanzler beraten und beschlossen werden können. Der Bundestag beschloss jedoch Anfang Dezember 2024, die an sich verbliebenen fünf Sitzungswochen im Jahr 2025 auf eine Sitzungswoche im Januar 2025 plus einen Sitzungstag im Februar 2025 zu reduzieren. So war spätestens Anfang Dezember 2024 Kennern der parlamentarischen Abläufe klar, dass die meisten dort befindlichen Gesetzentwürfe nicht mehr verabschiedet werden würden. Und genauso kam es.
GESETZE, DIE DIE KLIPPE DER DISKONTINUITÄT ÜBERWUNDEN HABEN
Die Liste derjenigen Gesetzentwürfe, die nach dem Bruch der Regierungskoalition durch die Koalitionsfraktionen der Minderheitsregierung mit Stimmen der Oppositionsfraktionen die nötige parlamentarische Mehrheit im Bundestag erreichten, ist länger, als man aufgrund der Medienberichterstattung annehmen konnte: In der Zeit zwischen dem Bruch der Regierungskoalition am 7. November 2024 und der letzten Plenarsitzung am 11. Februar 2025 wurden mehr als 30 Gesetzentwürfe in Zweidrittellesung beschlossen. Und nicht alle stammten von der Regierung oder den verbliebenen Regierungsfraktionen. Es waren auch Oppositions-Gesetzentwürfe dabei. Einige Gesetzentwürfe, die beschlossen wurden, sind:
- die beiden Gesetze zur Änderung des Grundgesetzes und weiterer Gesetze zur Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts – beide Gesetze erreichten sogar die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Bundestag,
- Gesetz zur Änderung der Höfeordnung – an diesen Gesetzentwurf wurde eine strafrechtliche Gesetzesänderung im Omnibusverfahren angehangen: Die zunächst bis 12/2024 befristete Möglichkeit, die Telekommunikation von Verdächtigen von Wohnungseinbruchdiebstählen zu überwachen, wurde verlängert,
- Gesetz zur Neuregelung der Vormünder- und Betreuervergütung und zur Entlastung von Betreuungsgerichten und Betreuern,
- Mutterschutzanpassungsgesetz,
- Gesetz für dringliche Änderungen im Finanzmarkt und Steuerbereich.
ES BLEIBT AUCH MAL WAS „HÄNGEN“
Tatsächlich gibt es auch Gesetzentwürfe, die es zwar rechtzeitig durch den Bundestag geschafft haben, aber im Vermittlungsausschuss faktisch gestoppt wurden. Der Vermittlungsausschuss ist die Ausnahme vom Grundsatz, dass Gesetzentwürfe nicht der Diskontinuität unterfallen, die vom Bundestag beschlossen wurden. Denn der Vermittlungsausschuss wird nur für die Dauer einer Wahlperiode eingesetzt und ist paritätisch mit Vertretern des Bundestages und des Bundesrates besetzt. Er kann keine Gesetze in geänderter Fassung beschließen, sondern nur Kompromisse vorschlagen, über die dann der Bundesrat und ggf. auch der Bundestag nochmals abstimmen müssen.
„Alles, was zum Ende einer Wahlperiode dem Vermittlungsausschuss vorliegt, unterfällt auch der Diskontinuität“
Demnach gilt: Alles, was zum Ende einer Wahlperiode dem Vermittlungsausschuss vorliegt, unterfällt auch der Diskontinuität.
Der Diskontinuität unterfällt dieses Mal neben Änderungen des Düngegesetzes und des Hochbaustatistikgesetzes auch ein rechtspolitischer Gesetzentwurf: das Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG-E). Der Gesetzentwurf in der vom Bundestag beschlossenen Fassung sah ab dem Jahr 2030 eine bundesweite Pflicht zur Tondokumentation an Land- und Oberlandesgerichten vor. Der Bundesrat äußerte in seiner Anrufung des Vermittlungsausschusses im Dezember 2023 tiefgreifende Bedenken und forderte eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzentwurfs. Hierzu kam es jedoch nicht mehr. Die weitere Digitalisierung der Justiz haben sich einige Parteien in ihren Wahlprogrammen vorgenommen – ob dies bei den neuen Regierungsfraktionen auch Maßnahmen wie im DokHVG-E umfassen wird, werden erst die kommenden Monate zeigen.
VIELE GESETZENTWÜRFE GINGEN ZWAR IN DEN BUNDESTAG REIN, KAMEN ABER NICHT WIEDER RAUS – UND EINIGE SCHAFFTEN ES ERST GAR NICHT IN DEN BUNDESTAG
Sie alle gehen nun wieder „auf Start“ zurück. Hierbei ist irrelevant, wie weit diese Entwürfe im Gesetzgebungsverfahren gekommen sind – ob noch im Stadium des Referentenentwurfs, als Kabinettsbeschluss oder schon in 1. Lesung im Bundestag debattiert und in die Fachausschüsse überwiesen. Sie alle sind abhängig davon, ob die neuen Regierungsfraktionen sie wiederbeleben werden. Und auch die „Neuen“ entscheiden dann nicht nur über das „Ob“, sondern auch, in welcher Fassung sie erneut in das Gesetzgebungsverfahren eingespeist werden. Hier ist eine kleine Auswahl solcher Gesetzentwürfe:
- Online-Verfahren in der Zivilgerichtsbarkeit,
- Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts,
- Modernisierung des Computerstrafrechts,
- Gebäudetyp E,
- Mietpreisbremse,
- Tariftreuegesetz,
- Neuregelung der Arbeitszeiterfassung,
- Reform des Kindschaftsrechts,
- Modernisierung des Unterhaltsrechts,
- Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb,
- Gesetz gegen digitale Gewalt.
WELCHE GESETZENTWÜRFE UNTER ZEITDRUCK STEHEN – EU-VORGABEN MÜSSEN UMGESETZT WERDEN
Klar ist, dass der neue Bundestag dringend einige nationale Umsetzungen von EU-Vorgaben diskutieren und vor allem auch beschließen muss. Zum Teil laufen hierzu schon Vertragsverletzungsverfahren. Zu nennen sind hier vor allem:
- CSRD-Umsetzungsgesetz (Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen): Hier lief die Umsetzungsfrist bereits am 6. Juli 2024 ab. Die neue Bundesregierung und der neue Bundestag werden den gordischen Knoten durchschlagen dürfen, bei der Umsetzung auch die aktuellen Entwicklungen in Brüssel mit der Omnibus- Initiative der EU-Kommission zu Änderungen der CSRD-Richtlinie im Auge zu behalten. Zudem bleibt spannend, wie sich künftige Koalitionäre in diesem Zusammenhang zur Frage der Überarbeitung bzw. Modifikation des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) verhalten werden – alle demokratischen Parteien hatten eine solche am Ende der 20. Wahlperiode angekündigt bzw. teilweise sogar die Abschaffung des LkSG dem Bundestag vorgeschlagen.
- NIS2-Umsetzungsgesetz & KRITIS-Dachgesetz (Cybersicherheit/ Schutz kritischer Infrastrukturen): Beide Gesetzentwürfe hätten bis Mitte Oktober 2024 beschlossen werden müssen, um die Umsetzungsfrist einzuhalten. Insbesondere beim KRITIS-Dachgesetz war dies jedoch unmöglich, da die „alte“ Bundesregierung ihren Entwurf erst Anfang November 2024 beschloss und dann – als besonders eilbedürftig – dem Bundesrat und dem Bundestag zuleitete.
- Gesetz zur Umsetzung der KI-Verordnung: Mit diesem Gesetz soll die künftige Governance der Marktüberwachung bei KI-Systemen geregelt werden. Ein Thema, das alle Jurist:innen, die sich mit Product-Compliance befassen, beschäftigen wird. Am 1. August 2024 ist die KI-Verordnung in Kraft getreten, deren Regelungen grundsätzlich unmittelbar ab 2. August 2026 gelten werden. Die gemeinsam federführenden Bundesministerien der Justiz und für Wirtschaft haben daher bereits Ende 2024 die Ressortabstimmung durchgeführt und planen – nach der Länder- und Verbandsbeteiligung – das parlamentarische Verfahren frühestmöglich in der neuen Wahlperiode einzuleiten.
So spannend die letzte Wahlperiode endete – noch spannender wird es nun. Denn jetzt muss wieder Handlungsfähigkeit und Beschlusswille gezeigt werden. Und bei allem soll dann auch noch der Bürokratieabbau vorangetrieben werden. Dieses Versprechen haben alle Parteien im Wahlkampf gegeben.