Neun Fragen an den Leitenden Oberstaatsanwalt Jörg Raupach

„Dabei gleichen wir eher einer Notaufnahme als einer Wellnessoase“

Die Staatsanwaltschaft Berlin ist nicht nur die größte Staatsanwaltschaft Deutschlands, sondern eine der wichtigsten Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik. Jörg Raupach (62) steht als Leitender Oberstaatsanwalt an der Spitze dieser Institution und spricht mit dem Berliner Anwaltsblatt über Erfahrungen, Herausforderungen und Reformen im Berliner Justizalltag.

LOStA Jörg Raupach
Das Interview führten Rechtsanwalt Mirko Röder und Rechtsanwalt Gregor Samimi

Berliner Anwaltsblatt (BAB): Herr Raupach, die Berliner Justiz steht häufig in der Kritik, überlastet zu sein. Wie bewerten Sie die derzeitige Situation der Strafverfolgungsbehörden in der Hauptstadt?

Jörg Raupach: Die Belastung ist ohne Frage hoch, aber das war in Berlin schon immer so. Wir nehmen die Kritik an und machen das Beste daraus. Die Zahl der Verfahren steigt, gleichzeitig sind die Anforderungen an die Ermittlungsarbeit komplexer geworden. Dennoch arbeiten unsere Staatsanwältinnen und Staatsanwälte mit großem Engagement, um dem gerecht zu werden. Wir sehen Fortschritte durch gezielte Schwerpunktbildung und den Ausbau der Digitalisierung. Natürlich gibt es weiterhin Herausforderungen, insbesondere im Bereich der Personalressourcen, aber wir sind handlungsfähig. Dabei gleichen wir eher einer Notaufnahme als einer Wellness oase.

„Dabei gleichen wir eher einer Notaufnahme als einer Wellnessoase“

BAB: Berlin gilt als Hochburg der organisierten Kriminalität. Welche Strategien verfolgen die Staatsanwaltschaft und die Ermittlungsbehörden, um diesen Strukturen wirksam entgegenzutreten?

Jörg Raupach: Wir haben in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Durch den Ausbau der Vermögensabschöpfung können wir kriminelle Gewinne abschöpfen und den finanziellen Anreiz für solche Strukturen schwächen. Gleichzeitig setzen wir auf eine konsequente Verfolgung von Straftaten – unabhängig von der Herkunft der Täter. Wichtig ist, dass wir dabei rechtsstaatliche Grundsätze wahren, denn es geht um die Bekämpfung von Kriminalität, nicht um Pauschalisierungen. Dabei nutzen wir das Instrumentarium, das uns der Gesetzgeber an die Hand gibt.

BAB: Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft ist entscheidend für eine effektive Strafverfolgung. Gibt es hier aus Ihrer Sicht Verbesserungsbedarf?

Jörg Raupach: Die Zusammenarbeit ist grundsätzlich gut, aber es gibt immer Optimierungsmöglichkeiten. Gerade bei komplexen Verfahren, etwa im Bereich der Wirtschafts- oder Cyberkriminalität, müssen wir noch stärker interdisziplinär arbeiten. Auch die technische Ausstattung und die Schulung der Ermittlungsbehörden sind entscheidende Faktoren. Wir sind in engem Austausch, um hier kontinuierlich besser zu werden.

BAB: In Berlin gibt es eine hohe Anzahl an Verfahren wegen politisch motivierter Kriminalität, sowohl von rechts als auch von links. Wie stellt sich die Staatsanwaltschaft hier auf?

Jörg Raupach: Wir verfolgen solche Straftaten mit der gebotenen Neutralität und Konsequenz. Egal, ob es sich um rechts- oder linksextremistisch motivierte Taten handelt: Gewalt, Einschüchterung und Sachbeschädigung sind nicht hinnehmbar. In den vergangenen Jahren haben wir spezialisierte Abteilungen geschaffen, um diesen Phänomenen noch gezielter entgegenzutreten. Einen zentralen Beitrag leistet auch die Zentralstelle Hasskrimi nalität in Berlin, die auch dazu beigetragen hat, dass sich die Anzeigenbereitschaft der Geschädigten erhöht hat.

„Natürlich wünschen sich alle eine schnellere Justiz – aber wir arbeiten hier nicht nach dem Prinzip Drive-in-Strafrecht“

BAB: Häufig beklagen Verteidiger lange Ermittlungszeiten und Verzögerungen bei Anklageerhebungen. Woran liegt das, und was könnte verbessert werden?

Jörg Raupach: Die Dauer eines Ermittlungsverfahrens hängt von vielen Faktoren ab: der Komplexität des Falls, der Zahl der Beteiligten und der verfügbaren Ressourcen. Wir arbeiten daran, Verfahren effizienter zu gestalten, beispielsweise durch den verstärkten Einsatz digitaler Aktenführung. Allerdings müssen wir auch realistisch sein: Eine gründliche und faire Ermittlung braucht Zeit, um am Ende belastbare Anklagen erheben zu können. Natürlich wünschen sich alle eine schnellere Justiz – aber wir arbeiten hier nicht nach dem Prinzip „Drive-in-Strafrecht“.

BAB: Das Thema „Deal im Strafprozess“ ist in der Anwaltschaft umstritten. Welche Rolle spielt die Verständigung im Strafverfahren aus Sicht der Staatsanwaltschaft?

Jörg Raupach: Verständigungen können in geeigneten Fällen sinnvoll sein, insbesondere wenn sie zur Verfahrensbeschleunigung beitragen und den Interessen der Strafverfolgung sowie der Verteidigung gerecht werden. Wichtig ist aber, dass Transparenz und Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleiben. Deals dürfen nicht dazu führen, dass Wahrheitsermittlung oder Opferschutz in den Hintergrund geraten. Eine frühzeitige Kontaktaufnahme der Prozessbeteiligten untereinander erscheint mir sinnvoll und hat sich bewährt, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Beispielsweise ist es mitunter hilfreich zu erfahren, ob tatsächlich alle Zeugen in der Hauptverhandlung benötigt werden.

BAB: Die Digitalisierung der Justiz ist ein Dauerthema. Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf, und welche Fortschritte wurden bereits erzielt?

Jörg Raupach: Die Digitalisierung ist entscheidend für eine moderne Justiz. Wir haben in Berlin bereits Fortschritte gemacht, etwa bei der Einführung der elektronischen Akte. Dennoch gibt es Nachholbedarf, insbesondere bei der technischen Infrastruktur und der Schulung des Personals. Hier müssen wir weiter investieren, um langfristig effizienter arbeiten zu können. Derzeitig haben wir drei Pilotabteilungen, die den Einsatz der digitalen Akte weiter erproben. Zum 1.1.2026 soll die Digitalisierung in der Strafgerichtsbarkeit abgeschlossen sein, entsprechend den Vorgaben des Gesetzgebers.

BAB: Wie nehmen Sie die öffentliche und politische Einflussnahme auf die Strafverfolgungsbehörden wahr? Gibt es Fälle, in denen Staatsanwälte unter Druck geraten?

Jörg Raupach: Wir arbeiten unabhängig und lassen uns nicht von politischem oder öffentlichem Druck beeinflussen. Natürlich gibt es Fälle, die besonders im Fokus stehen, aber unsere Aufgabe ist es, nach Recht und Gesetz zu entscheiden. Das ist nicht immer populär, aber essenziell für den Rechtsstaat.

BAB: Zum Abschluss: Was wünschen Sie sich von der Anwaltschaft in Berlin für eine noch bessere Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft?

Jörg Raupach: Ein offener, professioneller und respektvoller Umgang ist entscheidend. Wir haben in Berlin eine engagierte Anwaltschaft, mit der wir in vielen Bereichen gut zusammenarbeiten. Wenn wir gemeinsam daran arbeiten, Verfahren effizient und fair zu gestalten, profitieren am Ende alle – vor allem die Bürgerinnen und Bürger, für die wir den Rechtsstaat stärken.

BAB: Herr Raupach, wir danken Ihnen für dieses Interview.

Heft 05 | 2025 | 74. Jahrgang