Niedrigschwellige KI-Nutzung für kleine & mittelgroße Kanzleien
Sechs praktische Anwendungsfälle
Anwältinnen und Anwälte können von den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten künstlicher Intelligenz profitieren – auch ohne aufwendige Legal-Tech-Lösungen. Im Kanzleialltag gibt es zahlreiche praxisnahe Anwendungen, die einfach und schnell genutzt werden können.

Dr. Nadine Lilienthal | Gründerin und Partnerin legaleap.law | Podcast Host ZUKUNFT RECHTSMARKT | Mitgründerin des New Legal Network
KI bietet kleinen und mittelgroßen Kanzleien zahlreiche innovative Möglichkeiten, den Arbeitsalltag effizienter und zukunftsorientierter zu gestalten. Das gilt nicht nur für komplexe und oft kostspielige Legal-Tech-Lösungen – auch frei zugängliche KI-Anwendungen können die Kanzleiarbeit auf verschiedenen Ebenen spürbar erleichtern. Diese KI-Anwendungen, wie beispielsweise ChatGPT, Claude oder perplexity.ai bieten Möglichkeiten, die Potenziale von KI niedrigschwellig zu erkunden und für die tägliche (nicht rechtliche) Arbeit zu nutzen. Dies macht diese leicht verfügbaren Tools zu wertvollen Ressourcen für Anwaltskanzleien, die Erfahrungen im Bereich KI sammeln möchten, ohne sofort in teure Lösungen investieren zu müssen.
Dieser Beitrag hat nicht den Anspruch, einen abschließenden Rat für die rechtskonforme Nutzung zu erteilen, es werden jedoch einige rechtliche und Compliance-Aspekte, die bei der Nutzung beachtet werden sollten, exemplarisch umrissen. So sind etwa die Regelungen der EU-KI-Verordnung (KIVO) zu beachten, die am 1. August 2024 in Kraft getreten ist und nach und nach Anwendung findet. So gelten seit dem 2. Februar 2025 beispielsweise die KI-Schulungspflichten nach Art. 4 KI-VO, wonach die Betreiber von KISystemen sicherzustellen haben, dass ihr Personal über ausreichende KIKompetenz verfügt. Sobald KI im Kanzleikontext eingesetzt wird, sollten Mitarbeitende daher über die entsprechenden Kompetenzen verfügen. In diesem Zusammenhang bietet sich etwa die Erstellung von kanzleiinternen KI-Guidelines mit einer dazugehörigen Schulung für die Mitarbeiter an.
Im Folgenden kommen wir zur praktischen Anwendung. Gerade im Bereich KI & Prompten ist das eigenständige Nutzen von KI für die Partner und Mitarbeiter einer Kanzlei essenziell, um die sinnvollen Einsatzmöglichkeiten (auch im Bereich der anwaltlichen Arbeit) besser einschätzen zu können. Hier sind sechs leicht zugängliche Anwendungsbereiche, wie KI-Lösungen schon jetzt in die tägliche Kanzleiarbeit integriert werden können.
„Gerade im Bereich KI & Prompten ist das eigenständige Nutzen von KI für die Partner und Mitarbeiter einer Kanzlei essenziell“
1. EIN SCHNELLER ÜBERBLICK ÜBER NEUE GESETZE & REGULIERUNGEN
Besonders beim Erfassen von neuen Gesetzeswerken kann eine KI wie ChatGPT sehr hilfreich sein, um einen ersten Überblick zu bekommen und nach bestimmten Normen oder Schlagworten zu suchen. Um dabei Fehler zu reduzieren und die Qualität zu verbessern, empfiehlt es sich, relevante Gesetzestexte bei ChatGPT als Anhang beizufügen und im Prompt darauf zu verweisen, dass ausschließlich auf diese Quelle(n) zurückgegriffen werden sollte.
Ein einfacher Prompt für ChatGPT bei der Arbeit mit der EU KI-Verordnung kann beispielsweise lauten:
„Stelle dir vor du bist eine deutsche Rechtsanwältin. Erstelle einen tabellarischen Überblick über alle relevanten Klauseln zum Thema […]. Die Tabelle soll folgende Struktur haben: Spalte 1: Relevanter Artikel, Spalte 2: Zusammenfassung des Artikelinhalts, Spalte 3: Verweis auf die jeweilige Randnummer. Stelle die Informationen klar und übersichtlich dar.“
Die Vorarbeit von ChatGPT kann nun als Ausgangspunkt für eine tiefergehende juristische Analyse dienen. Durch die Angabe der Randnummer im Dokument können die Inhalte leicht kontrolliert werden. Eine kritische Prüfung der Inhalte, am besten anhand der Originalquelle ist natürlich notwendig.
2. SCHNELLE ERSTELLUNG VON NEUEN ENTWÜRFEN – BESONDERS FÜR DIE KANZLEIINTERNE NUTZUNG
KI kann auch dabei helfen, einen ersten Entwurf beispielsweise für einen internen Gesellschafterbeschluss oder andere interne Dokumente zu generieren. Das kann für alle, die nicht gern mit einem leeren Blatt beginnen, ein Vorteil sein, besonders wenn es sich um Randthemen handelt, bei denen noch keine kanzleiinternen Templates vorhanden sind. Selbstverständlich sind solche ersten Entwürfe im Anschluss juristisch zu präzisieren und an die weiteren spezifischen Bedürfnisse anzupassen. Die Eingabe von sensiblen Daten sollte vermieden werden. Denn sowohl die direkten Eingaben (Prompts) der Nutzer von KI-Modellen als auch die verwendeten Zusatzdaten (z. B. angefügte Dokumente, Mails etc.) werden bei vielen KI-Modellen zur Verbesserung des Sprachmodells verwendet werden, was bei Eingabe solcher Daten sowohl datenschutzrechtlich als auch berufsrechtlich problematisch ist.
3. KREATIVITÄTSBOOST FÜR MARKETINGMASSNAHMEN
KI kann zudem als Formulierungshilfe für LinkedIn-Posts oder Blogbeiträge dienen. Dabei empfiehlt es sich, möglichst konkrete Vorgaben zum Inhalt des gewünschten Outputs zu machen. Alternativ kann auch ein fertiggestellter Text von der KI überarbeitet werden, etwa um ihn leichter verständlich zu machen oder unter SEO-Gesichtspunkten zu optimieren. Bei solchen (Nach-) Bearbeitungen von Texten ist es wichtig, die Grenzen von KI zu verstehen: Echte neue Ideen, eigenwillige Formulierungen oder gewollt scharfsinnige Satzelemente können von der KI oft nicht erfasst werden. Solche Ideen oder Formulierungen können bei einer Überarbeitung durch KI aus den Posts oder Blogbeiträgen verschwinden. Auch hier ist daher eine sorgfältige Prüfung notwendig, um sicherzustellen, welche Korrekturen oder Ergänzungen über-
nommen werden sollen. Schließlich können auch Grafiken mit Texten von KIs wie ChatGPT mittlerweile auf gutem Niveau einfach und recht schnell erstellt werden. Falls Logos, Farben oder Schriften genutzt werden, sollte überprüft werden, ob die Verwendung rechtlich einwandfrei möglich ist.
4. EFFIZIENTE GESPRÄCHSVORBEREITUNG FÜR MITARBEITERMEETINGS
Eine gelungene Methode, die KINutzung in einer Kanzlei als selbstverständlich zu etablieren, kann es sein, KI im Rahmen von Teammeetings zu nutzen. Das kann etwa bei wöchentlichen Zusammenkünften des Teams sein, bei denen ein Austausch über wechselnde Themen stattfindet. ChatGPT kann hier etwa mit folgendem Prompt zu Inspiration verhelfen:
„Erstelle 10 Vorschläge für Reflexionsfragen für ein Teammeeting einer Kanzlei.“
Um das Ziel zu erreichen, dass die KI-Nutzung selbstverständlich in die Kanzleiarbeit integriert wird, sollte eine solche Befragung von einer KI, wie beispielsweise ChatGPT, am besten im Teammeeting selbst erfolgen, so dass alle Mitarbeitenden erleben können, wie nahtlos KI genutzt werden kann. Aus den von der KI vorgeschlagenen Fragen können nun eine oder mehrere im Team gemeinsam erörtert werden.
5. SPRACHLICHE ÜBERPRÜFUNG UND ÜBERSETZUNGEN
ChatGPT kann, ebenso wie etwa Deepl, auch dafür genutzt werden, um z. B. englische Sätze und Formulierungen zu überprüfen und zu verbessern. Dies kann insbesondere nützlich sein für die internationale Korrespondenz. Insbesondere eignet sich KI für die schnelle Übersetzung von Schriftstücken – juristischer und nichtjuristischer Art. Wichtig ist dabei wiederum, sensible Daten zu schützen und diese gegebenenfalls vor der Eingabe zu anonymisieren, um so rechtliche Risiken, insbesondere in Bezug auf die Vorschriften der DSGVO, BRAO und der KI-VO, zu vermeiden. Auch hier ist KI ein kompetenter Helfer, aber die Ergebnisse sollten natürlich nicht ungeprüft übernommen werden. Es ist wichtig zu verstehen, dass sich immer Fehler einschleichen können und gerade bei juristischen Formulierungen die nötige rechtliche Genauigkeit an manchen Stellen erst durch eine Korrektur erreicht werden kann.
6. ERSTE RECHERCHE BEI EXOTISCHEN RECHTSTHEMEN
Schließlich kann KI gut für eine initiale Recherche bei ungewöhnlichen Rechtsthemen verwendet werden. Die generierten Schlagworte, Konzepte und Zusammenhänge können als Grundlage für eine tiefergehende juristische Recherche dienen. Häufig hilft KI dabei, über den Tellerrand hinauszuschauen und relevante Randthemen zu benennen. Auch hier bietet es sich an, sich die Quellen des Arbeitsergebnisses von der KI nennen zu lassen, um die Ergebnisse strukturiert und möglichst effizient überprüfen zu können. Auf das erarbeitete Vorwissen lässt sich mit traditionellen juristischen Recherchemethoden gut aufbauen.
FAZIT
Die vorgestellten Anwendungen berühren in der Regel keine sensiblen Daten der Mandantschaft oder Dritter und können dennoch den Kanzleialltag erheblich erleichtern. Sie bieten aktuell eine Möglichkeit, die Effizienz in kleinen und mittelgroßen Kanzleien zu steigern und gleichzeitig effektiver und in vielen Fällen wahrscheinlich auf eine angenehmere Art und Weise zu arbeiten. Um KI perspektivisch sinnvoll in den Kanzleialltag zu integrieren, empfiehlt es sich, eigene Erfahrungen im Umgang mit Prompten zu machen. KI-Tools können als Unterstützung, aber nicht als Ersatz für die juristische Expertise dienen.
„Um KI perspektivisch sinnvoll in den Kanzleialltag zu integrieren, empfiehlt es sich, eigene Erfahrungen im Umgang mit Prompten zu machen“
Die letztendliche rechtliche Beurteilung und Verantwortung für die Nutzung von KI-Tools liegen bei uns Anwältinnen und Anwälten selbst. Wir sind hier gefordert, uns in rechtlicher und technischer Hinsicht fortzubilden und unsere Arbeitsweise anzupassen, um die Vorteile der KI im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten effektiv auszuschöpfen.