Rede von Dr. Angelika Schlunck

Unser Ziel ist eine moderne, effiziente Justiz, die ihrer herausragenden Funktion für den Rechtsstaat gerecht werden kann.

Der Austausch zwischen Rechtsanwaltschaft und Justiz ist eine unabdingbare Voraussetzung für gute Rechts-politik – und dieses traditionsreiche Abendessen des Berliner Anwaltsvereins bietet hierfür eine besondere Gelegenheit.
Der Berliner Anwaltsverein setzt sich nun seit fast 170 Jahren für die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft und den Austausch der Rechtsanwaltschaft mit der Justiz und Politik ein. Dafür, dass Sie diese Tradition fortsetzen, danke ich Ihnen! Denn der Rechtsstaat, der mir und Ihnen am Herzen liegt, ist ohne eine unabhängige Rechtsanwaltschaft schlicht nicht denkbar. Ohne sie gibt es keinen effektiven Rechtsschutz.

Dr. Angelika Schlunck | Staatssekretärin |
Exklusiv für Mitglieder | Heft 11/2022 | 71. Jahrgang

Darauf hat auch das Bundesverfassungsgericht hingewiesen: „Dem Bürger müssen schon aus Gründen der Chancen- und Waffengleichheit Rechtskundige zur Seite stehen, denen er vertrauen kann und von denen er erwarten kann, dass sie seine Interessen frei und unabhängig von staatlicher Einflussnahme wahrnehmen.“1 Zitat und vergleiche: BVerfG, Urteil vom 30. März 2004 – 2 BvR 1520/01; 2 BvR 1521/01, Rn. 100 (zitiert nach juris); Beschluss vom 22. März 1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 366 <284>

Doch die unabhängige und freie Rechtsanwaltschaft ist nicht bereits dadurch garantiert, dass die Bundesrechtsanwaltsordnung dies in ihren §§ 1 bis 3 festhält. Entscheidend ist, dass auch die Fachgesetze die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft – und dazu gehört auch der Schutz des Berufsgeheimnisses – achten und gewährleisten. Das Bundesjustizministerium setzt sich daher sowohl auf nationaler als auch auf europäischer und auf internationaler Ebene nachdrücklich für die Unabhängigkeit und das Berufsgeheimnis der rechtsberatenden Berufe ein.
Auf Ebene des Europarats beteiligen wir uns – und binden dabei Ihre Berufsorganisationen ein – sehr aktiv an den Verhandlungen zu der geplanten Konvention zum Schutz des Berufs des Rechtsanwalts ein. Diese Konvention soll einheitliche Mindeststandards schaffen, die einen besseren Schutz der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte garantieren. Auch wenn die Beratungen gerade erst gestartet sind: In dieser Konvention sehe ich einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Hier besteht die Chance, zu einem auch über die Mitgliedstaaten des Europarates hinausreichenden, international anerkannten Standard zu kommen. Denn die Stärkung des Rechtsstaats auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene ist angesichts des tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels eine der wichtigsten Aufgaben moderner Justizpolitik. Denn stark kann nur ein Rechtsstaat sein, der sich fortentwickelt und den digitalen Wandel nutzt. Der digitale Wandel und insbesondere die heutige Kommunikationswirklichkeit müssen sich auch in den Verfahren und Arbeitsweisen der Justiz abbilden.
Digitalisierung ist jedoch kein Selbstzweck. Sie kann die Effizienz und Transparenz im Justizbereich deutlich steigern und so das Vertrauen in den Rechtsstaat stärken. Digitale Prozesse können helfen, indem sie den Zugang zum Recht erleichtern. Darauf sind auch unsere Digitalisierungsvorhaben gerichtet:

Unser Ziel ist eine moderne, effiziente Justiz, die ihrer herausragenden Funktion für den Rechtsstaat gerecht werden kann. Dieses Ziel vor Augen, haben wir die ersten wichtigen Projekte bereits in Angriff genommen. Lassen sie mich vier Beispiele dafür herausgreifen:

Erstens: Ein zentrales Instrument der Digitalisierung ist der Einsatz von Videokonferenztechnik. Der Einsatz von Videotechnik ist Ausdruck einer modernen, digitalen und bürgernahen Justiz, denn Videoverhandlungen ermöglichen eine effizientere, kostengünstige und ressourcenschonende Verfahrensführung. Deshalb sollten sie in Zukunft zum gerichtlichen Alltag gehören. Während der Corona-Pandemie sind die Möglichkeiten für Videoverhandlungen im Zivilprozess verstärkt genutzt worden. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass die gesetzlichen Regelungen angepasst und konkretisiert werden müssen: Wir brauchen klare und praxistaugliche Regelungen, die einerseits den Gerichten möglichst große Gestaltungsspielräume bei der Planung, Anordnung und Durchführung von Videoverhandlungen einräumen und andererseits den Interessen der Parteien und ihrer Prozessvertreter umfassend Rechnung tragen. Auch im Strafverfahren werden wir die Aufzeichnung der Hauptverhandlung in Bild und Ton ermöglichen. Eine vollständige digitale Dokumentation dient einer besseren Wahrheitsfindung – dies ist eines der wesentlichen Ziele des Strafprozesses. Sie beschleunigt und vereinfacht das Verfahren insgesamt. Wir wollen deshalb schon bald einen Gesetzentwurf vorlegen.
Zweitens: Ein weiteres zentrales Anliegen ist die Absenkung von Zugangsschranken zur Justiz. Hier wollen wir neue digitale Zugänge zu den Gerichten im Bereich der Ziviljustiz erproben. Gerade kleinere Forderungen sollen Bürgerinnen und Bürger im Rahmen des zivilgerichtlichen Online-Verfahrens mit geringem Aufwand online geltend machen können.
Drittens: Außerdem wollen wir mit der Entwicklung einer Digitalen Rechtsantragstelle einen Beitrag dazu leisten, dass das Vertrauen der Bürger und Bürgerinnen in die Gerichte, den Rechtsstaat und einen effektiven Rechtsschutz gestärkt wird. Sie soll einen niedrigschwelligen Zugang zum Recht, also zu verlässlichen Rechtsinformationen und elektronischer Antragstellung ermöglichen. Zusätzlich bietet der Aufbau einer Digitalen Rechtsantragstelle die Möglichkeit, die Arbeit der Gerichte effizienter, ressourcenschonender und moderner zu gestalten.
Viertens: Die fortschreitende Digitalisierung spielt auch im Gesellschaftsrecht eine wichtige Rolle: Am 27. Juli 2022 ist das Gesetz zur dauerhaften Regelung der virtuellen Hauptversammlung von Aktiengesellschaften in Kraft getreten. Hauptversammlungen können unter Wahrung der Aktionärsrechte rein virtuell abgehalten werden. Dadurch wird ihnen die Teilnahme an der Versammlung erleichtert und die Schwelle für die Ausübung wichtiger Rechte wie des Frage- und des Rederechts herabgesetzt.

Ich bin überzeugt, dass uns diese Projekte einen wichtigen Schritt in Richtung digitale Gesellschaft voranbringen werden. Damit sie gelingen, sind wir auf das Feedback und den Austausch mit Ihnen angewiesen. Ich freue mich auf den Austausch mit Ihnen heute Abend!

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    Zitat und vergleiche: BVerfG, Urteil vom 30. März 2004 – 2 BvR 1520/01; 2 BvR 1521/01, Rn. 100 (zitiert nach juris); Beschluss vom 22. März 1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 366 <284>