Richter- und Anwaltschaft im Dialog

Aktuelle Rechtsprechung des Kammergerichts und des Bundesgerichtshofs im Bau- und Architektenrecht.

Am 31. August 2023 fand im DAV-Haus in der Littenstraße die sehr gut besuchte Präsenzveranstaltung zur aktuellen Rechtsprechung des Kammergerichts und des Bundesgerichtshofs im Bau- und Architektenrecht mit VRiKG Björn Retzlaff im gewohnten Tempo und mit dem ebenfalls gewohnten Unterhaltungswert statt. In zwei Stunden führte uns Herr Retzlaff diesmal schwerpunktmäßig durch die aktuelle Rechtsprechung des BGH.

Georgia von der Wettern | LL. M. | Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht | Mediatorin | Kärgel de Maiziere & Partner

„FÜR DIE ERÖFFNUNG DER INHALTSKONTROLLE NACH § 307 BGB IST KEINE SUBSTANTIELLE ÄNDERUNG DER VOB/B ERFORDERLICH“ – ZUR WIRKSAMKEIT VON § 4 ABS. 7 SATZ 3 VOB/B, § 8 ABS. 3 VOB/B, BGH V. 19.01.2023, VII ZR 34/20

Dass, wenn die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden ist, die einzelnen Vorschriften der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterzogen werden können, dürfte nicht nur unter Baurechtlern als gesichertes Wissen gelten. Nicht erforderlich ist jedoch eine substanzielle Änderung der VOB/B durch den streitgegenständlichen Vertrag. Der BGH hatte seine Rechtsprechung, dass die Klauseln der VOB/B als vorformulierte Vertragsbedingungen allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB seien und daher dann keiner Inhaltskontrolle unterliegen, wenn der Verwender die VOB/B ohne ins Gewicht fallende Änderungen übernommen hat (BGH VII ZR 92/82, BGHZ 86, 135), bereits mit Urteil vom 22. Januar 2004 (BGH v. 22.01.2004 VII ZR 419/02, BGHZ 157, 346) dahingehend modifiziert, „dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist, unabhängig davon, welches Gewicht der Eingriff hat“. Damit ist die Inhaltskontrolle auch dann eröffnet, „wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichung von der VOB/B vorliegen“. Mit der Entscheidung aus dem Januar 2023 hat der BGH das nochmal klargestellt: Eine substanzielle Änderung der VOB/B ist für die Öffnung der Inhaltskontrolle nicht erforderlich.

EINE KÜNDIGUNG WEGEN EINES GERINGFÜGIGEN MANGELS IN DER AUSFÜHRUNGSPHASE IST NICHT MÖGLICH, WEDER NACH BGB NOCH NACH § 4 ABS. 7 SATZ 3 VOB/B, BGH V. 19.01.2023, VII ZR 34/20, RZ. 40

Im vorliegenden Fall ging es um eine Kündigung während der Ausführungsphase nach § 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B, § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B. § 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B lässt die Kündigung aus wichtigem Grund wegen eines Mangels auch dann zu, wenn der Mangel geringfügig ist. Nach Auffassung des BGH benachteiligt das den Unternehmer unangemessen, denn „die Voraussetzung einer Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass der Auftragnehmer durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage zum Auftraggeber derart erschüttert hat, dass diesem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann“ (BGH v. 19.01.2023,

VII ZR 34/20, Rz. 40). FÄLLIGSTELLUNG VON TEILLEISTUNGEN OHNE ZWISCHENFRISTEN, KG V. 26.04.2022, 21 U 1030/20

Auch ohne kalendermäßige Bestimmung einer Frist oder eines Termins kann die gesonderte Fälligkeit von Teilleistungen vereinbart sein. Eine solche Vereinbarung kann auch konkludent getroffen werden, der Fälligkeitszeitpunkt der Teilleistung ist gegebenenfalls durch Auslegung, notfalls mithilfe der Vermutung des § 271 Abs. 1 BGB zu bestimmen. Erbringt also der Werkunternehmer eine Teilleistung zum Fälligkeitszeitpunkt nicht, kann der Besteller unter den Voraussetzungen von § 323 Abs. 1 BGB vom Vertrag zurücktreten bzw. ihn aus wichtigem Grund kündigen; auf § 323 Abs. 4 BGB kommt es nicht an (KG v. 26.04.2022, 21 U 1030/20, Rn. 39).

KÜNDIGUNG NACH DER AUSFÜHRUNGSPHASE

In der Regel reichen geringfügige Mängel für eine Kündigung auch nach der Ausführungsphase nicht aus, § 323 Abs. 5 BGB. Geringfügige Mängel können dann ausreichen, wenn der Besteller auch nur mit einer Teilkündigung reagiert. Hierbei ist zu beachten, dass der Besteller nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 VOB/B mindestens einen in sich abgeschlossenen Teil der vertraglichen Leistung am Stück kündigen muss!

KÜNDIGUNGSVERGÜTUNG: TATSÄCHLICHE, NICHT KALKULIERTE ERSPARNISSE ZÄHLEN, BGH V. 01.08.2023, X ZR 118/22

Erspart im Sinne von § 648 Satz 2 BGB sind die Aufwendungen, die der Unternehmer ohne die Kündigung gehabt hätte, und die er infolge der Kündigung nicht mehr tätigen muss. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob der Unternehmer diese Aufwendungen in seine Preiskalkulation einbezogen und ob er die Kalkulation gegenüber dem Besteller offengelegt hat. Zur Darlegung der ersparten Aufwendungen kann auf die Urkalkulation oder eine nachträglich erstellte Kalkulation Bezug genommen werden. Behauptet der Auftraggeber in Abweichung zum Zahlenwerk des Auftragnehmers, dieser habe tatsächlich höhere Beträge erspart, trägt er hierfür die weitere Darlegungs- und die Beweislast (OLG Düsseldorf v. 27.08.2020 21, 22 U 267/20).

Bei den ersparten Aufwendungen sind die ersparten Eigenleistungen, die ersparten Fremdleistungen, die bereits beauftragt und bezahlt werden mussten, sowie ersparte Fremdleistungen, die noch nicht beauftragt sind, zu unterscheiden. Auch Kosten für einen geplanten, aber noch nicht genehmigten Nachunternehmereinsatz können erspart sein (KG v. 05.05.2023, 7 U 74/21).

VERBRAUCHERSCHUTZ IM BAURECHT: BAUVERTRAG ÜBER EINZELNES GEWERK IST KEIN VERBRAUCHERBAUVERTRAG

Der Unternehmer kann daher Sicherheit nach § 650f BGB vom Besteller verlangen, BGH v. 16.03.2023, VII ZR 94/22.

AUSSER-GESCHÄFTSRAUM-VERTRAG, BGH V. 06.07.2023, VII ZR 151/22

Kein Außer-Geschäftsraum-Vertrag (AGV), wenn der Verbraucher ein am Vortag vom Unternehmer, bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Parteien, unterbreitetes Angebot am Folgetag außerhalb der Geschäftsräume lediglich annimmt. Aber: Ein Zusatzauftrag kann gesonderter AGV sein (BGH vom 06.07.2023, VII ZR151/22, Rn. 15).

KEIN WERTERSATZ BEI AGV UND FERNABSATZ, EUGH V. 17.03.2023, C-97/22

Nach der Entscheidung des EuGH vom 17. März 2023 erhält der Unternehmer keinen Wertersatz für bereits erbrachte Leistungen, wenn er den Verbraucher nicht vor Abgabe der Vertragserklärung auf diese Rechtsfolge hingewiesen hat, und der Verbraucher der Ausführung von Leistungen durch den Unternehmer vor Ablauf der Widerrufsfrist nicht ausdrücklich zugestimmt hat. Eine Korrektur über die Anwendung des Grundsatzes des Verbots der ungerechtfertigten Bereicherung findet nicht statt. Eine Korrektur kann über § 242 möglich sein, KG v. 16.11.2021,21 U 41/21.

Dies setzt jedoch voraus, dass der Unternehmer die Widerrufsbelehrung nur fahrlässig unterlassen hat, die ausgeführten Leistungen mangelfrei sind und vom Verbraucher auch genutzt werden, sowie dass der beanspruchte Wertersatz sowohl aus der Sicht des Verbrauchers wie eines objektiven Dritten nicht unangemessen ist. Hierfür ist der Unternehmer darlegungspflichtig, KG v. 16.11.2021, 21 U 41/21, Rn. 47. Nach dem Urteil des EuGH dürfte an diese Voraussetzungen ein hoher Maßstab anzulegen sein.

EINE BERUFUNG AUF DIE FORMNICHTIGKEIT IST DEM ARCHITEKTEN NUR DANN VERSAGT, WENN DIES ZU EINEM SCHLECHTHIN UNTRAGBAREN ERGEBNIS FÜHREN WÜRDE

Zum Abschluss noch eine Entscheidung des BGH zur (doppelnichtigen) Mindestsatzunterschreitung, BGH v. 03.08.2023, VII ZR 102/22: „Auch bei Vorliegen der Rechtsgrundsätze des BGH zu den Voraussetzungen, unter denen sich der Architekt ausnahmsweise nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf die Berechnung seiner Vergütung nach den Mindestsätzen der HOAI berufen kann“, scheidet eine Berufung auf die Formunwirksamkeit nicht ohne weiteres aus.

Exklusiv für Mitglieder | Heft 11/2023 | 72. Jahrgang