Richter- und Anwaltschaft im Dialog
Aktuelle Rechtsprechung des Kammergerichts zum Presse- und Äußerungsrecht
Am 14. Mai 2024 fand zum wiederholten Male in der Reihe „Richter und Anwaltschaft im Dialog“ die Veranstaltung zum Presse- und Äußerungsrecht statt. Referentin war auch dieses Jahr wieder Frau Richterin am Kammergericht Katrin Elena Schönberg vom 10. Zivilsenat, dem für Pressesachen zuständigen Senat des Kammergerichts. Seit dem 25. April 2024 steht Herr Richter am Kammergericht Dr. Elzer dem 10. Senat als neuer Vorsitzender vor. Frau Richterin Schönberg ist die regelmäßige Vertreterin des Vorsitzenden.
Frank Venetis | Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht | WMR Fiedler & Venetis Rechtsanwaltsgesellschaft mbH | www.wmr-kanzlei.de
Nach der Begrüßung gab die Referentin eine allgemeine Einführung darüber, was den 10. Senat in den letzten zwölf Monaten beschäftigt hat. Dies seien insbesondere Unterlassungsansprüche in der Wortberichterstattung gewesen, wobei es in der jüngeren Vergangenheit kaum reine Bildberichterstattungsfälle gegeben hätte, sondern bei anhängigen Streitigkeiten gemischter Wortbildberichterstattung immer der Schwerpunkt der vermeintlichen Rechtsverletzung in der Wortberichterstattung gelegen hätte. Dauerbrenner seien weiterhin Fälle der Verdachtsberichterstattung, wie eigentlich jedes Jahr. Aktuell würde im Senat auch über „neue Ansprüche“ diskutiert, wie zum Beispiel den „Hinwirkungsanspruch“.
Frau Richterin Schönberg brachte eine umfangreiche Präsentation mit, um dem Publikum die Grundlagen der den aktuellen Entscheidungen zugrundeliegenden Rechtsrahmen zu erläutern, um dann jeweils im Anschluss auf die aktuellen Entscheidungen des 10. Senats einzugehen. Die Referentin wies ausdrücklich darauf hin, dass sie die Veranstaltung nur dann für gelungen erachten würde, wenn sie am Ende nicht allein gesprochen hätte, sondern sich das Publikum entsprechend dem Motto der Veranstaltung auch auf einen regen Austausch einließe. Frau Richterin Schönberg bot an, gern die aktuellen Entscheidungen diskutieren zu wollen, wobei sie in erfrischender Offenheit selbstkritisch zugab, dass die Abwägungsergebnisse des Senats mit guter Begründung auch anders hätten ausfallen können und der Bundesgerichtshof nicht unbedingt immer die Auffassung des Senats geteilt hätte.
Frau Richterin Schönberg wies in Bezug auf die behandelten Unterlassungsansprüche in der Wortberichterstattung darauf hin, dass der Senat im Äußerungsrecht seine Prüfungskriterien vor allem nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) immer weiter aktualisieren würde. Neben der korrekten Erfassung des Aussagegehalts von Äußerungen sei die Bestimmung des von der Aussage betroffenen Schutzgutes von erheblicher Bedeutung. Dies vor allem deshalb, da erst hierdurch geprüft werden könne, mit welchem Gewicht eine streitige Aussage das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen im konkreten Einzelfall beeinträchtigen würde. In Bezug auf das vorherige Verhalten des oder der Betroffenen sieht der 10. Senat das Kriterium der Selbstöffnung/Selbstbegebung eines oder einer Prominenten immer mehr durch das vom OLG Köln angewandte Kriterium, ob eine prominente Person das Informationsinteresse an einer Berichterstattung selbst geweckt habe, verdrängt.
„Die Frage der Definition von Privatsphäre bei Prominenten“
Diskussionspunkt im 10. Senat sei auch immer wieder die Frage der Definition von Privatsphäre bei Prominenten. Hierbei vor allen Dingen die Unterscheidung in sachlicher sowie in räumlicher Hinsicht, bei Letzterer ginge es vor allem um die Frage, ob es bei Prominenten einen ganz privaten Bereich auch in der Öffentlichkeit geben kann, und wie weit dieser dann sein könne. Frau Richterin Schönberg äußerte sich dahingehend, dass es auch bei Prominenten nicht sein könne, dass Privatsphäre nur dann vorläge, wenn „Tür zu und Jalousien runter“ vorläge, das ginge ihr zu weit. Daher müssten auch prominente Menschen „normale Tätigkeiten“ in der Öffentlichkeit ausüben können und hierbei den Schutz ihrer Privatsphäre gewährleistet erhalten.
Die Referentin diskutierte mit dem Publikum, in dem sich auch einige Richter:innen des Landesgerichts befanden, über das Urteil des 10. Senats vom 13.5.2024 (10 U 82/22), welches dieser im Ergebnis zugunsten des beklagten Mediums entschieden hatte. Abwägungskriterien waren hier die Feststellung, dass bei Spekulationen über eine Beziehung es sich nicht nur um Belanglosigkeiten handeln könne, die die Betroffenen lediglich oberflächlich betreffen. Spekulationen über Beziehungen seien mit einem tieferen Einblick in die persönlichen Lebensumstände verbunden, wobei allerdings die reine Mitteilung, dass und mit wem man liiert sein könnte, nicht automatisch einen schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre darstellen würde. Ansonsten folgt der 10. Senat auch der Meinung des Bundesgerichtshofs, dass ein besonderes Informationsinteresse der Allgemeinheit dadurch gefördert würde, wenn ein Prominenter oder eine Prominiente wiederholt Äußerungen zu Liebesbeziehungen oder sein oder ihr Liebesleben tätigt. Dies sei insbesondere bei Influencern der Fall, welche regelmäßig und bewusst gezielte Inhalte zu ihrem Berufs- aber auch zu ihrem Privatleben äußern. Insoweit würden die Veröffentlichungen gerade darauf abzielen, das Interesse an ihrer Person zu begründen und auch wachzuhalten. Hierdurch würden Influencer Werbeeinnahmen generieren, indem sie sich bewusst und durch ihre allgemeinen Postings einer millionenstarken Medienöffentlichkeit aussetzen.
„Wiederverschluss der Privatsphäre nach erfolgter Selbstöffnung“
Ein weiterer Diskussionspunkt des 10. Senats ist die zeitliche Dimension in Bezug auf den Wiederverschluss der Privatsphäre nach erfolgter Selbstöffnung. Hierbei wollte sich die Referentin jedoch nicht auf zeitliche Spannen festlegen, sondern hielt eine Zäsur, also einen sichtbaren Akt des Wiederverschließens, für vorrangig. Sie wies darauf hin, dass es keine aktuellen Entscheidungen zur zeitlichen Dimension, sondern nur alte Entscheidungen des Senats hierzu gäbe, die jedoch gegebenenfalls aufgrund der fortschreitenden Medienentwicklung als überholt anzusehen wären.
Ansonsten sei für den Senat die Eingriffsintensität, sprich die Eingriffstiefe jeweils ausschlaggebend, zumindest dann, wenn es sich bei der Berichterstattung um zutreffende Tatsachen handele, die sich allenfalls oberflächlich mit der prominenten Person beschäftigten, ohne einen tiefen Einblick in ihre persönlichen Lebensverhältnisse zu vermitteln und ohne herabsetzend oder gar ehrverletzend zu sein. Eine lebhafte Diskussion wurde darüber geführt, ob eine in der Öffentlichkeit unbekannte Privatperson auch dann einen besonderen Schutz ihres Privatlebens beanspruchen könne, wenn sie mit einer sehr prominenten Person liiert sei. Der Senat entschied hier zugunsten des beklagten Mediums (Urteil v. 12.9.2019 – 10 U 164/18) und verwies auf die Selbstöffnung des oder der Prominenten (abgeleitetes Informationsinteresse an der Begleitperson eines oder einer Prominenten). Allerdings sah der BGH dies anders, da er keine zurechenbare Selbstöffnung der Begleitperson sah (BGH v. 14.12.2021 – VI ZR 403/19).
In Bezug auf die Verdachtsberichterstattung wusste Frau Richterin Schönberg nichts Neues im Senat zu berichten, nur eine Verfeinerung des Prüfungsschemas.
In erstaunlicher Offenheit kritisierte Frau Richterin Schönberg die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.4.2024 (1 BvR 2290/23), in welchem dieses eine Entscheidung des 10. Senats aufgehoben und an diesen zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen hatte (Beschluss v. 14.11.2023 – 19 W 184/23). Nach Auffassung von Frau Richterin Schönberg hatte hier das BVerfG in ein laufendes Hauptsacheverfahren „reingegrätscht“ und der Senat „sei geschockt gewesen“, dass durch die Entscheidung „der Instanzenzug abgekürzt“ worden sei. Kritikwürdig sei hier insbesondere die Feststellung des BVerfG gewesen, dass wegen einer nicht nur summarischen Prüfung des Kammergerichts dem Beschwerdeführer der fachgerichtliche Rechtsweg in der Hauptsache nicht mehr zumutbar, da aussichtslos, gewesen sei.
Frau Richterin Schönberg gab den anwesenden Rechtsanwält:innen noch den Rat mit auf den Weg, dass sie die angenommenen Streitwerte zumindest ansatzweise, besser noch etwas ausführlicher begründen sollten, so dass sie dem Gericht einen entsprechenden Ansatz zur Festsetzung liefern.
Insgesamt war es eine sehr gelungene Veranstaltung mit interessanten Einblicken in die Tätigkeit der Pressekammer und einem offenen Meinungsaustausch der Anwesenden. Der Unterzeichner freut sich schon auf die Veranstaltung im nächsten Jahr.