Richter- und Anwaltschaft im Dialog
Aktuelle Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg zur Zweckentfremdung von Wohnraum
Am 9. September 2025 referierte Frau Andrea Erbslöh, Vizepräsidentin des Oberverwaltungsgerichts Berlin- Brandenburg und Vorsitzende Richterin des – u.a. – mit der Zweckentfremdung befassten V. Senats zur aktuellen Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg zur Zweckentfremdung von Wohnraum – ausdrücklich „unter vorsichtiger Erweiterung des Themas in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht“.
Der Berichterstatter, der sehnlichst auf die Entscheidung in zwei Verfahren wartet (an denen er allerdings nicht beteiligt ist), nahm sich anfangs die Frechheit heraus, nach dem Sachstand zu fragen, und das Publikum erhielt interessante Einblicke in die Arbeitsabläufe: Offenbar versucht das OVG den Arbeitsanfall dadurch in den Griff zu bekommen, dass die Verfahren blockweise nach Themen abgearbeitet werden. Derzeit stehen anscheinend sehr viele Verfahren aus dem Hochschulrecht an.
Die Referentin brachte anfangs durch einen historischen Abriss wieder ins Bewusstsein, dass das Zweckentfremdungsrecht keine neue „Erfindung“ ist, sondern solche Regelungen schon in der Weimarer Republik bestanden und z.B. im – aus anderen Gründen – unsäglichen Jahr 1936 das „Gesetz über Mieterschutz und Mieteinigungsämter“ in Kraft trat. In Westberlin gab es nach dem Krieg Regelungen im Kontrollratsgesetz. Eine Zäsur im gesamten Wohnungsrecht brachte 1971 das Mietrechtsverbesserungsgesetz,1MRVerbG v. 4.11.1971, BGBl. I S. 1745/ GVBl. S. 2042. auf dessen Grundlage 1994 in Berlin die 2. Zweckentfremdungsverbot-Verordnung erlassen wurde, die dann wiederum im Jahr 2002 vom OVG2OVG Berlin v. 13.6.2002, Az. 5 B 22.01. außer Kraft gesetzt wurde, weil die Mangellage nicht mehr bestand. Interessant war auch die Erkenntnis, dass die Regelungen schon sehr früh ähnliche Instrumente enthielten wie das aktuelle Gesetz. 2006 ging die Zuständigkeit für das Wohnungswesen auf die Länder über. Das aktuelle Gesetz stammt aus dem Jahr 20133Zweckentfremdungsverbot Gesetz, GVBl. 2013, S. 626, mehrfach geändert, zuletzt §§ 5a und 6a eingefügt durch Gesetz v. 27.9.2021, GVBl. S. 1131. und wurde – ebenso sowie die Verordnungen – bisher mehrfach überarbeitet.4Zuletzt wurde die ZwVbO durch Verordnung v. 12.11.2024, GVBl. 2024 S. 564 geändert; die aktuellen Ausführungsvorschriften stammen v. 12.12.2024, ABl. Nr. 54/20. Dezember 2024 S. 4256.
Die Referentin machte nochmals die Reichweite von § 1 Abs. 3 Satz 2 ZwVbG deutlich: Danach sind vom Zweckentfremdungsverbot Räumlichkeiten ausgenommen, die zu anderen Zwecken errichtet worden sind und zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung nach Abs. 2 auch entsprechend genutzt werden. In dem Wort „und“ ergibt sich, dass Wohnraum, der zwar zu gewerblichen Zwecken errichtet wurde, aber tatsächlich als Wohnraum genutzt wurde, „zweckentfremdungverstrickt“ ist. Dieser Umstand ist nach Erfahrung des Berichterstatters Mandanten schwer zu vermitteln.
Zu § 4a ZwVbG sind beim OVG anscheinend keine Verfahren anhängig. Eine Umfrage beim Publikum ergab, dass auch dort nur zwei Fälle aus der Presse bekannt sind.
Einen kleinen Hinweis auf die Statistik gab die Referentin auch: Vom Verwaltungsgericht kommen – im Vergleich zu anderen Bereichen – wohl überdurchschnittlich viele Verfahren zum OVG. Das mag die Streitanfälligkeit der Materie dokumentieren. Sodann stellte sie die Entscheidungen des OVG seit 2016 kompendiumsartig in chronologischer Reihenfolge dar. Einen größeren Teil machte natürlich die Vorlagefrage im Jahr 2017 zum Bundesverfassungsgericht aus, die im Jahr 2022 – also nach fünf Jahren – recht humorlos mit dem Hinweis zurückkam, dass das OVG bei der Vorlagefrage nicht bedacht habe, dass die vorgelegten Fälle schon baurechtlich unzulässig gewesen wären. Von diesen Verfahren sind mittlerweile zwei durch Rücknahme erledigt, eines wurde entschieden und zwei sind noch offen.5Leider genau die, auf die der Berichterstatter wartet.
Die Fallgestaltungen sind vielfältig, sie reichen von der Ferienwohnungsnutzung im Einzelfall über die gewerbliche Zwischenvermietung bis hin zu den Zusammenhängen des Zweckentfremdungsrechts zum Bauplanungs- und Bauordnungsrecht. Und ja, auch eine Einliegerwohnung unterfällt dem Zweckentfremdungsverbot.
Einen breiten Raum nahm die Problematik der zulässigen Miete ein, die der Eigentümer nach Abriss eines Gebäudes für den Ersatzwohnraum verlangen kann. Nachdem das OVG die ursprüngliche Regelung der Verordnung zwar nicht ausdrücklich, aber durch ein seitenlanges obiter dictum doch faktisch gekippt hat,6OVG Berlin-Brandenburg v. 23.5.2023 – 5 B 29.19 –, juris Rn. 35 ff. wurde diese geändert, ebenso die Ausführungsbestimmungen.
Hier zeigte sich die Stärke des Formats: Offenbar hegte das OVG die Hoffnung, dass aufgrund der Hinweise im Urteil sozusagen Bewegung bei der Frage der Miethöhe im konkreten Einzelfall erfolgen würde. Diese wurde von den teilnehmenden Kolleginnen deutlich enttäuscht, sinngemäß mit dem Hinweis: „Zur Verhandlung gehören immer zwei. Wenn man aber immer wieder Vorschläge macht, die dann einfach immer wieder abgelehnt werden, ist das einfach nur frustrierend.“ Nach dem Eindruck des Berichterstatters dürfte diese Information nicht unberücksichtigt bleiben.
Fazit: Wie immer in diesem Format erhielten die Teilnehmenden Informationen aus erster Hand und – bei aller nachvollziehbaren Vorsicht – doch auch den einen oder anderen Hinweis „zwischen den Zeilen“. Umgekehrt scheinen die Rückmeldungen aus dem Publikum auch für die Referentin durchaus erhellend gewesen zu sein. Und ein Nebeneffekt: Wer anwesend war und die Folien hat, braucht eigentlich kaum weitere Literatur zu diesem Thema.
- 1MRVerbG v. 4.11.1971, BGBl. I S. 1745/ GVBl. S. 2042.
- 2OVG Berlin v. 13.6.2002, Az. 5 B 22.01.
- 3Zweckentfremdungsverbot Gesetz, GVBl. 2013, S. 626, mehrfach geändert, zuletzt §§ 5a und 6a eingefügt durch Gesetz v. 27.9.2021, GVBl. S. 1131.
- 4Zuletzt wurde die ZwVbO durch Verordnung v. 12.11.2024, GVBl. 2024 S. 564 geändert; die aktuellen Ausführungsvorschriften stammen v. 12.12.2024, ABl. Nr. 54/20. Dezember 2024 S. 4256.
- 5Leider genau die, auf die der Berichterstatter wartet.
- 6OVG Berlin-Brandenburg v. 23.5.2023 – 5 B 29.19 –, juris Rn. 35 ff.


